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Update

DIW-Studie: Reiche sollen für Krisenländer bluten

Krisenländer wie Griechenland oder Spanien kommen beim Schuldenabbau nicht voran. Helfen könnte eine Idee deutscher Ökonomen. Sie schlagen Zwangsanleihen für Reiche vor. Damit ließen sich hunderte Milliarden eintreiben. Die Bundesregierung ist aber dagegen.

In der Debatte um die Bewältigung der Euro-Schuldenkrise schlägt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor, zur Haushaltssanierung stärker Bürger mit hohen Einkommen heranzuziehen. Der Staat könne das Vermögen entweder durch eine einmalige Abgabe, die dann sukzessive abgezahlt werde, belasten, heißt es in einer Handelsblatt Online vorliegenden DIW-Studie. „Man könnte das aber auch mit einer Zwangsanleihe kombinieren, indem die betroffenen Abgabepflichtigen Schulden übernehmen müssen“, erklärt der Studienleiter Stefan Bach. „Je nach Konsolidierungsfortschritt beim Staat können diese Anleihen dann später zurückgezahlt und auch verzinst werden.“ Wenn das nicht der Fall sei, dann gehe das Ganze in eine Vermögensabgabe über.

DIW-Berechnungen für Deutschland kommen zu dem Ergebnis, dass sich bei einer Abgabe, die ab einem individuellen Vermögen von 250.000 Euro (Ehepaare 500.000 Euro) erhoben wird, eine Bemessungsgrundlage von immerhin 92 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ergibt. „Ein Zwangskredit oder eine Abgabe in Höhe von zum Beispiel zehn Prozent auf diese Bemessungsgrundlage könnten somit gut neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts mobilisieren – rund 230 Milliarden Euro“, heißt es in der Studie. Der Schuldenstand in Deutschland ließe sich damit „ein deutliches Stück näher“ an die 60-Prozent-Grenze nach Maastricht zurückführen.  

Die deutsche Schuldenquote beträgt derzeit 83,5 Prozent. Wenn der Staat 9 Prozent des BIP mit einer Zwangsanleihe mobilisiert und damit Schulden tilgt, sinkt die Schuldenquote auch um 9 Punkte, dann auf 74,5 Prozent.

Steuerpflichtig wären laut der Expertise die reichsten acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Sie müssten dann damit rechnen, dass, wie das DIW vorschlägt, auf die einschlägigen Vermögensarten, also Immobilienvermögen, Geldvermögen und Betriebsvermögen zugegriffen würde.  

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Die DIW-Experten sind überzeugt, dass  auf diesem Weg auch in den Krisenländern  erhebliche Einnahmen erzielt werden könnten. Studienleiter Bach sagt dazu: „Gerade für die Krisenländer wären solche Instrumente eine sinnvolle Option, um die durchaus vorhandenen und zum Teil stark konzentrierten Privatvermögen zur Refinanzierung der Staaten heranzuziehen.“ Statistiken zeigten, dass auch in Ländern wie Griechenland, Spanien und Italien beträchtliche Privatvermögen vorhanden seien, die die Staatsschulden deutlich übersteigen.

Die DIW-Experten raten allerdings mit Rücksicht auf die konjunkturelle Entwicklung und die politische Akzeptanz Zwangsanleihen und einmalige Vermögensabgaben in den Krisenländern nur längerfristig und schrittweise umzusetzen. Dann allerdings wären diese „außerordentlichen fiskalischen Instrumente“ auch ein Signal an die Geberländer und die Hilfsfonds, „dass man sich besonders anstrengt“.

Je nach Konsolidierungsfortschritt könnten die Zwangsanleihen später getilgt oder in Vermögensabgaben oder in andere Reichensteuern überführt werden. Darüber hinaus könnten Vermögensabgaben dazu eingesetzt werden, die Staatsschulden über Tilgungsfonds längerfristig zu reduzieren.  

Die Konzentration der Belastungen auf die Vermögens- und Einkommenseliten wirke zudem der zunehmenden Verteilungsungleichheit entgegen, heben die Forscher positiv hervor. „Ferner setzt dies für die zu Abgaben herangezogenen Personen Anreize, sich stärker um die fiskalische und wirtschaftliche Gesundung ihrer Länder zu kümmern“, heißt es in der Studie weiter. Nicht zuletzt dürften solche Abgaben nach Einschätzung der Experten „auch die Akzeptanz von Arbeitsmarkt- und Sozialreformen oder von Ausgabenkürzungen erhöhen, die häufig ärmere Bevölkerungsschichten treffen und soziale Spannungen auslösen“.

Welche Schwierigkeiten gäbe es bei der Umsetzung?

Die Bundesregierung sieht in einer Zwangsanleihe für Reiche zur Finanzierung der hohen Staatsschulden eher kein Modell für Deutschland. Der Sprecher des Finanzministeriums, Martin Kotthaus, sagte am Mittwoch in Berlin, Deutschland sei ganz solide aufgestellt und habe derzeit „keinerlei Probleme“ mit dem Steueraufkommen. Das deutsche Haushaltssystem sei erfolgreich. Weitere Spekulationen verböten sich daher, zumal er die gesamten Überlegungen nicht kenne, sagte Kotthaus. Er fügte aber hinzu, für andere Staaten, in denen Steueraufkommen und Privatvermögen in einem Missverhältnis stünden, stelle sich die Frage eher.

Die DIW-Experten räumten in ihrer Studie ein, dass die Erhebung von Zwangsanleihen und einmaligen Vermögensabgaben nicht einfach sei, da die zu belastenden Vermögenswerte ermittelt und im Fall von Finanzvermögen gesichert werden müssten, um Hinterziehung und Kapitalflucht zu unterbinden. Um sogenannte Erhebungskosten zu begrenzen und Härtefälle zu vermeiden, schlagen die Forscher vor, Normalbürger durch höhere Freibeträge von den Abgaben auszunehmen. Auch bei den Betriebsvermögen müssten wohl Freibeträge gewährt werden, um Liquiditäts- und Finanzierungsproblemen kleinerer Unternehmen Rechnung zu tragen. „Dies dürfte auch die politische Umsetzung deutlich erleichtern“, sind sich die Forscher sicher. Außerdem seien die Vermögen in Deutschland und den anderen Ländern stark auf den sehr wohlhabenden Teil der Bevölkerung konzentriert. Daher bleibe auch dann noch eine „erhebliche Vermögenssubstanz“ übrig.

Der Zwangsanleihe-Vorschlag wird auch gerne von linken Politikern und Gewerkschaften als Alternative zu Vermögensabgaben ins Spiel gebracht. IG-Metall-Chef Berthold Huber etwa forderte schon 2009, Deutsche mit einem Vermögen von über 750.000 Euro zum Kauf von Staatsanleihen zu verpflichten.

Reiche auf diese Weise zu schröpfen hat hierzulande Tradition. Bereits in der Weimarer Republik mussten alle Bürger, die am 1. Januar 1923 über ein Vermögen von mindestens 100.000 Reichsmark verfügten, Staatsanleihen kaufen. Von den ersten 100.000 Mark Vermögen musste ein Prozent in Anleihen gesteckt werden, für größere Vermögen stieg der Satz bis auf zehn Prozent. Die Anleihen sollten von November 1925 an sukzessive zurückgezahlt werden, wurden aber wegen der Hyperinflation wertlos. Die Zwangsanleihe mutierte somit zur Vermögensabgabe.

Von August 1970 bis Juni 1971 forderte die sozialliberale Koalition einen "Konjunkturzuschlag" von zehn Prozent auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer, der zinslos bei der Bundesbank geparkt und von Juni 1972 an zurückgezahlt wurde - ohne Inflationsausgleich. Faktisch handelte es sich also um eine Zwangsanleihe.

Experten halten schon länger Ähnliches auch heute für denkbar. So warnte der Finanzwissenschaftler Bernhard Scherer, schon vor zwei Jahren, dass der Staat "dem Bürger in Zukunft Geld wegnehmen wird - etwa über eine Erbschaft- oder Vermögensteuer, Zwangsanleihen oder Inflation". Der Professor an der EDHEC Business School in London rät Anlegern, sich vor Enteignung zu schützen, indem sie ihre Depots auf verschiedene Länder verteilen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Handelsblatt Online.

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