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© Pieper-Meyer

Religionsfreiheit: Minarett-Bauverbot: Es geht um den Ruf

Die Schweizer haben in einem Referendum den Bau von Minaretten abgelehnt. Welche Folgen hat das für die Religionsfreiheit in Europa?

Das Nein der Schweizer zum Bau von Minaretten, hat eine Debatte ausgelöst – um die Religionsfreiheit insgesamt.

Was bedeutet das Referendum?

Die Schweizer Regierung versuchte sich in Schadensbegrenzung. Nach dem klaren Sieg einer islamfeindlichen Volksinitiative verbreitete das Kabinett erstmals eine Erklärung auf Arabisch. Und Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf beeilte sich zu versichern: Das Bauverbot für Minarette habe keinen Einfluss auf die 150 bestehenden Moscheen und muslimischen Gebetsstätten. „Muslime können ihren Glauben also auch nach dem Volksentscheid wie bis dahin ausüben“, sagte die Bundesrätin.

Das Referendum hat aber nicht nur gesellschaftspolitische Folgen, sondern möglicherweise auch sicherheitspolitische. Agenten des Schweizer Nachrichtendienstes suchen im Internet nach Gewaltaufrufen, Kontaktleute observieren die Moscheen. „Die Spezialisten des Bundes können ferner nicht ausschließen, dass es zu Ausschreitungen oder gar Terrorakten kommt“, schreibt der seriöse Tages-Anzeiger aus Zürich.

Experten diskutieren auch, ob das Verbot umsetzbar ist. Falls in der Schweiz eine muslimische Gemeinde trotz Verbot ein Minarett bauen will, müsste sie vor den Gerichten gegen den Verfassungsartikel klagen – bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.


Was verlangt die Religionsfreiheit?

Religionsfreiheit ist in Deutschland ein Grundrecht, international ein Menschenrecht. Im deutschen Grundgesetz-Artikel vier heißt es, die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses sei unverletzlich, die ungestörte Religionsausübung werde gewährleistet. Die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), welche die Schweiz unterzeichnet hat, wird genauer: Sie gibt den Bürgern in Artikel neun das Recht, ihre Religion „einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.“ Völkerrechtlich gebunden ist die Schweiz seit 1992 zudem an den UN-Zivilpakt, der Religions- Gedankens- und Gewissensfreiheit garantiert.



Welche Grenzen hat die Religionsfreiheit?

In Deutschland keine ausdrücklichen. Nur Grundrechte Dritter oder andere geschützte Verfassungswerte können Eingriffe rechtfertigen. Der EMRK nach sind Einschränkungen möglich, wenn sie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Gesundheit, Moral oder zum Schutz der Freiheiten anderer notwendig sind.

Wie würden Richter den Fall entscheiden?

Ein Minarett-Verbot hätte vor dem Bundesverfassungsgericht kaum Chancen, schon aus Gründen einer offenkundigen Ungleichbehandlung der Religionen. Ähnlich sieht es vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus, die EMRK kennt ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot für Religionen. Das Straßburger Gericht lässt den ihm unterworfenen Staaten dennoch mehr Freiraum. So hatte es etwa in dem Kopftuchverbot für Studentinnen an den türkischen Universitäten keine Menschenrechtsverletzung gesehen. Wenn staatlicherseits allerdings ein bestimmter Glaube bevorzugt wird, sind die Richter strikt: Erst kürzlich hat das Gericht Italien verurteilt, die Pflicht-Kruzifixe aus Klassenzimmern zu entfernen.

Wie wird sich die Religionsfreiheit in Europa entwickeln?

In den Ländern wird es weiter unterschiedliche Handhabungen geben, aber es kristallisieren sich Ansätze für ein einheitliches Mindest-Schutzniveau heraus. Allerdings wird auch immer wieder deutlich, dass Elemente von Religionsbekenntnis und -ausübung herausgegriffen und symbolisch aufgeladen werden. In Deutschland war das Kopftuch als Zeichen der unterdrückten Frau ausgemacht worden. Auch bei den Minaretten ging es weniger um diese selbst als um die Zuschreibung, wofür sie angeblich stehen: Islamisierung und Genitalverstümmelung etwa. Die Konturierung eines religiös-kulturellen Eigenwerts angesichts westlich-liberaler Deutungsmuster wird die schwerste Aufgabe für die Gerichte sein.

Was ist überhaupt ein Minarett?

Aus der Sicht von Wissenschaftlern und Architekten sind Minarette zuerst architektonische Elemente von Moscheebauten. Aus historischer oder religiöser Sicht sind sie keineswegs zwingender Bestandteil des islamischen Sakralbaus. „Die erste Moschee, das Wohnhaus des Propheten, hatte kein Minarett. Der Gebetsrufer stand auf dem Dach“, erklärt Jens Scheiner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin. Wie und warum Minarette ab dem späten siebten Jahrhundert aufkamen, sei noch weitgehend ungeklärt, sagt Scheiner. Heute sind sie ein Standardelement des islamischen Sakralbaus. Genutzt werden sie teilweise zum Ausrufen der Gebete, aber auch als Wegweiser im Stadtbild seien sie wichtig.


Wie reagiert die Türkei?

In den Zeitungen ist von einem „Sieg der Islamophobie“ die Rede, die Regierung kritisiert ein mittelalterlich-engstirniges Verständnis vom gesellschaftlichen Zusammenleben mitten in Europa: Das Nein der Schweizer zum Neubau von Minaretten stößt in der Türkei auf scharfe Kritik. Angesichts der zahlreichen Mahnungen aus Europa, den türkischen Christen mehr Rechte zu gewähren, erscheint das Schweizer Votum aus türkischer Sicht als weiterer Beweis europäischer Heuchelei. Experten erwarten deshalb, dass das Ergebnis jene Kräfte in der Türkei stärken wird, die aus Enttäuschung über Europa für eine stärkere Hinwendung zur islamischen Welt plädieren.

„Uneuropäisch“ – wie oft haben sich die Türken dieses Wort in den vergangenen Jahren anhören müssen. , wenn die EU wieder einmal über Reformrückstände am Bosporus schimpfte.Nach dem Schweizer Referendum kann die Regierung in Ankara das Schlagwort nun selbst ins Feld führen: „Die Schweiz liegt zwar in Europa, hat Europa aber nicht verinnerlicht“, sagt Kulturminister Ertugrul Günay. Für den türkischen Normalbürger ist es unerheblich, dass die Schweiz nicht EU-Mitglied ist, sagt die Europa-Expertin Beril Dedeoglu von der Istanbuler Galatasaray-Universität. „Die Leute sehen die Schweiz als Mitglied Europas.“ Deshalb werde sich nun das Gefühl verstärken, von den Europäern abgelehnt zu werden. „Die wollen uns nicht, weil wir Muslime sind“, laute die Grundstimmung.



Hat das Referendum Einfluss auf die Diskussion um Volksentscheide in Deutschland?

Johannes Rux, Privatdozent an der Universität Tübingen, der sich über direkte Demokratie habilitiert hat, glaubt nicht, dass es Auswirkungen haben wird. Der Jurist verweist auf die hohen Hürden für Volksentscheide hierzulande und darauf, dass Bürgerbegehren in Deutschland, die Moscheebauten verhindern sollten, bislang immer scheiterten.

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