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Romneys Weltsicht: Um 47 Prozent der Amerikaner will er sich nicht kümmern

Ein heimlich mitgeschnittenes Video brachte es an den Tag: Der US-Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Mitt Romney, hat vor ausgewähltem Publikum fast die Hälfte der Amerikaner als „Opfer“ bezeichnet, die vom Staat abhängig seien - und ohnehin Obama wählten. Wie stark schadet ihm das?

Die einen sprechen von einem Wahlkampfgeschenk des Republikaners Mitt Romney an Barack Obama. Andere würdigen die Vorratshaltung des Wahlkampfteams des Präsidenten. Das Video, das die USA erregt und dem Rennen sieben Wochen vor dem Wahltag eine unerwartete Wende gibt, stammt vom 17. Mai. Warum wird es erst jetzt veröffentlicht? Bisher ist nicht bekannt, wer es an das Mother Jones Magazin weitergegeben hat, das links der Mitte steht.

Das Video wurde mit versteckter Kamera aufgenommen und zeigt ein Treffen Romneys mit wohlhabenden Unterstützern in Florida. Darin behauptet er, dass 47 Prozent der Wähler in jedem Fall für Obama stimmen werden, weil sie von staatlichen Leistungen leben und keine Einkommensteuer bezahlen. Politisch gefährlich für Romney ist nicht die Darstellung, dass die steuerzahlende Mittel- und Oberschicht den Lebensunterhalt von annähernd der Hälfte der Einwohner über staatliche Umverteilung wie Sozialhilfe, Lebensmittelmarken, Wohngeld und Zuschüsse zur Grundrente mitfinanziert. Seine Absicht, den Umfang der Sozialleistungen zu korrigieren, könnte ihm sogar Wähler zutreiben.

Video: Obamas Auftritt bei Letterman

Eine Mehrheit der US-Gesellschaft ist der Ansicht, dass jeder Mensch selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen soll. Die Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge wird als schädlich betrachtet, weil sie die Eigeninitiative lähme. Dieses Denken ist auch unter ärmeren Amerikanern verbreitet. In Deutschland liegt der Anteil der Einwohner, die mehr vom Staat erhalten, als sie in Form von Steuern und Abgaben zahlen, sogar noch höher als in den USA. Hierzulande wird der Sozialstaat aber nicht im selben Maße infrage gestellt.

Bildergalerie: Mitt Romney im Wahlkampf gegen Barack Obama

Bedrohlich für Romney sind Sätze, die danach folgen: „Um diese Leute kümmere ich mich nicht. Ich werde sie niemals überzeugen können, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen müssen.“ Sie verstärken das Bild, das Obama von seinem Gegner zeichnet: Romney sei ein Multimillionär, der reich auf die Welt kam, nie Armut gekannt habe und kein Mitgefühl für Menschen empfinde, die weniger Glück im Leben hatten. Die Bemerkung, dass Romney sich um 47 Prozent nicht kümmern wolle, lässt sich im Wahlkampf zu der These zuspitzen, Romney weigere sich, im Fall seiner Wahl der Präsident aller Amerikaner zu sein.

Die Rahmendaten der Spendengala, bei der Romney die Aussagen machte, unterstreichen den Eindruck: Jeder Teilnehmer musste 50 000 Dollar bezahlen.

Obamas Team nutzt Romneys Steilvorlage:

Obama weiß aus eigener Erfahrung, welchen Schaden eine Bemerkung anrichten kann, die ein Kandidat im scheinbar privaten Gespräch mit Spendern macht. Im Frühjahr 2008, als er mit Hillary Clinton um die Präsidentschaftskandidatur kämpfte, wurde er in einem nicht öffentlichen Treffen mit Unterstützern in Kalifornien gefragt, warum er sich in Staaten mit einem hohen Anteil weißer Arbeiter wie Pennsylvania so schwer tue. Er sagte, angesichts der Wirtschaftskrise seien sie „verbittert“ und „klammern sich an Waffen und Religion“.

Auch dort lief eine versteckte Kamera mit. Die Bloggerin Mayhill Fowley hatte sich in das Treffen geschmuggelt und postete das Video rasch auf einer Internetseite, die zur Mediengruppe Huffington Post gehört, die mit den Demokraten sympathisiert. Im Rückblick war dies Obamas Glück. Bis zum Wahltag im November 2008 hatte sich die Aufregung gelegt.

In diesem Video spricht Romney vor Spendern und wird heimlich gefilmt:

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Für Romney ist der Zeitpunkt, zu dem das neue Video öffentlich wird, gefährlicher. Es dürfte die Dynamik der letzten zwei Wochen zugunsten Obamas verstärken. Bis zum Parteitag der Demokraten in der ersten Septemberwoche herrschte ein annäherndes Patt in den Umfragen. Beim Treffen der Demokraten war dann deutlich mehr Energie, Begeisterung für den Spitzenkandidaten und Siegeszuversicht zu spüren als beim Parteitag der Republikaner eine Woche zuvor. Auch die Unruhen in der arabischen Welt, die auf das in den USA gedrehte Mohammed-Video folgten, und der Streit zwischen Obama und Romney, welche Politik die USA in der Region verfolgen sollen, haben dem Präsidenten genützt. Romney warf ihm vor, er sei zu weich gegenüber Amerikas Feinden und entschuldige sich zu oft für angebliche Fehler der USA, statt Respekt einzufordern. Das wirkte unpassend, als drei US-Diplomaten ermordet wurden.

Im Schnitt der Umfragen hat Obama nun eine Führung von drei Prozentpunkten. Entschieden ist die Wahl aber noch nicht. DerVorsprung liegt immer noch im Fehlerbereich der Umfragen. Und in den sieben Wochen bis zur Wahl kann viel Unvorhersehbares geschehen, was dem Rennen eine neue Wende gibt, zum Beispiel Terroranschläge oder eine Verschärfung des Iran-Konflikts, die den Ölpreis stark steigen lässt. Möglicherweise hat auch das Wahlkampfteam Romney noch Angriffsmaterial gesammelt, von dem Amerika heute noch nichts weiß, und bereitet die sprichwörtliche „October Surprise“ vor: eine Überraschung kurz vor der Wahl. Christoph von Marschall

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