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China ist überall gegenwärtig und zugleich Zukunft, mit Batteriezellen für Elektroautos, Computerchips, selbst bei Corona-Schnelltests.

© imago images/Rupert Oberhäuser

Russland ist eine Warnung: Die deutsche China-Politik muss sich ändern – jetzt

Der Ukraine-Krieg macht im Westen das Verhältnis zu Autokratien zum Thema - das betrifft auch China. Und auch hier gilt: Wegsehen war gestern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Und jetzt China. Seit längerem schon warnen die USA sehr grundsätzlich, gerade erst Außenminister Antony Blinken, und auch Olaf Scholz sagt: Wir können nicht wegsehen. Was wir sehen? Rohen Kapitalismus als kommunistische Fratze. Dieses Thema ist mit Macht da. Auch in Deutschland. Die große Selbstvergewisserung im Fall Russland reicht halt bei Weitem nicht. Sage keiner, die Weltpolitik könnte nicht noch komplizierter werden.

Jetzt geht es um Menschen und Mächte und das Verhältnis zu Autokraten, Tyrannen insgesamt. Und hier steht China ganz vorn. Ganz vorn auch im Handel mit Deutschland, was auch diesen Fall wieder so prekär macht. Aber Ausweichen war gestern.

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China: Großmacht, Supermacht. Weit mehr als eine Milliarde Menschen. Deutschlands wichtigster Handelspartner. Acht Prozent aller deutschen Exporte gehen in die Volksrepublik. Mehr als 5000 deutsche Unternehmen sind in China unterwegs, was hierzulande eine Million Jobs sichert. Modernität, teuer erkauft; Prosperität, durch Wegschauen erkauft. Wen das nun an Russland erinnert, diese Abhängigkeit - falsch. Es ist größer.

Die Veröffentlichungen widerlegen alle Beschwichtigungen

China ist überall gegenwärtig und zugleich Zukunft, mit Batteriezellen für Elektroautos, Computerchips, selbst bei Corona-Schnelltests. Die düstere Seite aber ist unübersehbar geworden. Wer sein Gesicht nicht verlieren will, darf es nicht leugnen: Die verstörenden Fotos von Internierungslagern für Uiguren – sie sind nur ein erster Einblick. Die Veröffentlichungen widerlegen alle beschwichtigende Propaganda der chinesischen Staatsführung.

Olaf Scholz sagte in Davos: "Wir können nicht wegsehen."
Olaf Scholz sagte in Davos: "Wir können nicht wegsehen."

© Fabrice COFFRINI / AFP

Niemand ist so schnell in Wachstum und Großprojekten, aber wohl auch niemand so hart, so systematisch in der Überwachung seiner Bürger – und in der Unterdrückung. Dazu rüstet sich das autoritäre System militärisch hoch, und mag es auch behaupten, es gebe da keinerlei Expansionsdrang, aggressives Verhalten in seinem Hinterhof spricht eine andere Sprache.

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Die Lage ist ernst. Die freiheitlichen Demokratien sind wie nie herausgefordert. Denn jetzt wissen alle: Sie können auf Dauer ins Hintertreffen geraten. Russland ist eine Warnung, China ist es in Potenz. Das Mega-Land folgt aggressiv und rücksichtslos seinen Machtinteressen.

Die deutsche Außenpolitik der letzten 25 Jahre war schlechterdings eine absolute Katastrophe. Sie hat jetzt Dank einer total produzierten wirtschaftlichen Abhängigkeit von Schurkenstaaten wie Russland und China zur Lähmung des Landes geführt. Alles mit Blick auf die heiligen Kühe Wirtschaft, Wachstum und Globalisierung.

schreibt NutzerIn Calahan

Insofern sind alle Forderungen doch mehr als berechtigt, dass Deutschland, gerade vor dem Hintergrund seiner Verflechtung, auch hier eine strategische Neuausrichtung seiner Politik benötigt. Was sind die deutschen Interessen, und zwar über wirtschaftliche Zusammenarbeit hinaus?

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Die EU und die Nato sind – wieder – Teil der Antwort. Sie haben Anforderungen an eine der größten Volkswirtschaften der Welt, an eine führende Macht in Europa. Deutschland muss klären, mit sich und seinen Partnern, was dauerhaft politisch und auch militärisch zu leisten ist. Die europäische Verteidigung zum Beispiel ist keine fixe Idee, keine Fiktion – sie ist endgültig eine Notwendigkeit.

Und was bedeutet das für den Umgang mit China? Wie Friedrich Merz sagte: Kritik ist noch keine Strategie. Die muss so aussehen, und da sind sich alle mit ihm einig, Robert Habeck, Annalena Baerbock, Olaf Scholz, Christian Lindner: Entflechtung. Das ist das Gebot der Stunde.

Von Zwangsarbeit weder profitieren noch beteiligt sein

Drei Punkte: Deutschland muss insgesamt seine Abhängigkeit auch von China reduzieren. Deutsche Unternehmen dürfen an Zwangsarbeit weder beteiligt sein noch davon profitieren. Und deutsche Offizielle müssen bei allen Gelegenheiten chinesische auf die Menschenrechtslage ansprechen. Offen, klar. „Samtpfötig“, um ein Lindner-Wort aufzugreifen, kommt keine:r weiter.

Die Frage allerdings, an der sich alles entscheidet, hat Kanzler Scholz auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum aufgebracht: Wie schaffen wir eine Ordnung, in der ganz unterschiedliche Machtzentren im Interesse aller verlässlich zusammenwirken? Kompliziert, sicher. Nur, so ist Weltpolitik. Und wir wissen ja jetzt: Ausweichen war gestern. Wegsehen auch.

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