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© X90075

Griechenland: "Sind die Deutschen unsere Freunde?"

Flüge fielen aus, Fähren sowie Busse verkehrten nicht, Ministerien blieben geschlossen und auch die Akropolis konnte nicht besichtigt werden: Die Griechen streiken gegen das von der landeseigenen Regierung verhängte Sparprogramm – und hadern mit dem großen Partner im Norden.

Streik? Nicht bei Dimitris Velogiannis. Die Flugzeuge blieben am Mittwoch in Griechenland am Boden, die Fährschiffe lagen fest vertäut in den Häfen, die Behörden und viele Schulen waren geschlossen. Auch die Journalisten streikten: In Radio und Fernsehen gab es keine Informationssendungen. Aber Dimitris schwang sich um kurz vor acht auf sein Moped und fuhr zur Arbeit. An gewöhnlichen Tagen nimmt der 25-Jährige die U-Bahn, aber die fuhr wegen des Streiks nicht. „Ich kann es mir nicht leisten zu streiken“, sagt der junge Mann, der als Buchhalter bei einem Großhandelsunternehmen arbeitet. Wenn er dort um fünf Feierabend macht, besorgt er noch bei einem Lebensmittelladen in seiner Nachbarschaft die Buchführung. Am Wochenende fährt Dimitris mit seinem Moped abends Pizza aus. Dank seiner drei Jobs kommt Dimitris auf rund 1300 Euro netto im Monat.

Nicht nur Dimitris ignorierte am Mittwoch den Aufruf der Gewerkschaften, gegen die Sparpläne der Regierung zu streiken. Fast alle Geschäfte und viele Banken hatten geöffnet, in den meisten Privatunternehmen und auf vielen Baustellen wurde gearbeitet. In der Privatwirtschaft haben die Gewerkschaften keinen großen Einfluss, überdies gibt es keine Streikkassen. Wer nicht zur Arbeit kommt, muss mit Lohnabzug rechnen. Im öffentlichen Dienst dagegen sind die Gewerkschaften stark und die Beschäftigten streikfreudig. „Es ärgert mich, dass jetzt wieder jene streiken, die ohnehin Privilegien haben“, sagt Dimitris.

Aber nicht nur darüber ärgert sich der Buchhalter. Wenn er im Internet deutsche Zeitungen liest, ist er „ziemlich frustriert“. Denn da kommen Griechenland und die Griechen derzeit schlecht weg. „Man stellt uns in den Medien pauschal als Trickser, Betrüger und Faulpelze hin, die es sich auf Kosten des deutschen Steuerzahlers gut gehen lassen“, klagt Dimitris. Viele Griechen finden das ungerecht.

Den Anstoß für die neuerliche Debatte der Griechen über Deutschland lieferte das Titelbild des Nachrichtenmagazins „Focus“, auf dem die Liebesgöttin Aphrodite den Stinkefinger zeigt – nach dem Motto: Europa kann uns mal. Selten hat eine einzelne Veröffentlichung das Deutschlandbild in Griechenland innerhalb weniger Tage so stark verdüstert. Der griechische Parlamentspräsident Filippos Petsalnikos hatte den deutschen Botschafter zu sich gebeten, um gegen die deutschen Medienberichte zu protestieren. „Ich kenne die Deutschen – sie neigen zur Hysterie“, sagt Petsalnikos. Und die Zeitung „To Vima“ widmete der Historie der griechisch-deutschen Beziehungen eine Doppelseite und fragte: „Sind die Deutschen unsere Freunde?“

Auch Athens Bürgermeister Nikitas Kaklamanis schaltete sich ein: „Die Deutschen schulden uns Kalavrita und Distomon“ – zwei griechische Orte, die Schauplatz von Massakern der SS und der Wehrmacht waren. Die Deutschen hätten „das griechische Gold weggenommen, das bei der Zentralbank lag, sie haben das griechische Geld weggenommen und es nie zurückgezahlt“, klagte Vizepremier Theodoros Pangalos in einem BBC-Interview. In Berlin wies Außenamts-Sprecher Andreas Peschke die Vorwürfe zurück. Nach einem Abkommen von 1960 habe Deutschland 115 Millionen D-Mark an Griechenland für Opfer nationalsozialistischer Verbrechen gezahlt, sagte er.

Die SPD-Europaexpertin Angelica Schwall-Düren warnte davor, Athen in der Debatte um die griechische Schuldenkrise an den Pranger zu stellen. Die Vertreter von CDU, CSU und FDP sollten sich angesichts der angespannten Lage in Griechenland „zurückhalten, statt sich als Klassenprimus aufzuspielen“, sagte die SPD-Vizefraktionschefin dem Tagesspiegel. „Die Griechen wissen selbst am besten, welche Fehler sie in der Vergangenheit gemacht haben. Sie können auf den deutschen Zeigefinger gut verzichten.“ Stattdessen solle die Bundesregierung darlegen, wie sie die wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der EU künftig ausgleichen will. „Das griechische Leistungsbilanzdefizit ist auch ein Ergebnis des deutschen Exportüberschusses, der durch übertriebene Lohnzurückhaltung auf Kosten deutscher Beschäftigter und auf Kosten anderer EU- Mitgliedstaaten erzielt wurde“, sagte sie. Die europäische Solidarität verbiete es hingegen, dass einige EU-Staaten auf Kosten anderer prosperieren.

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