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An der deutschen Grenze: Würde ein Zaun die Flüchtlinge davon abhalten, ihre Heimat zu verlassen.

© Günter Schiffmann/AFP

Flüchtlingskrise: Sollte Deutschland seine Grenzen abriegeln?

Politiker der Union denken wegen der Flüchtlingskrise darüber nach, Deutschlands Grenzen dichtzumachen. Doch welche Folgen hätte dies?

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Vom Zaun ist viel die Rede in der Flüchtlingskrise. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigt ein ums andere Mal, dass „Zäune das Problem nicht lösen“ werden und dass es gar nicht möglich sei, 3000 Kilometer deutscher Landesgrenze hermetisch abzuriegeln.

Kritiker in den eigenen Reihen halten dagegen, dass das sehr wohl funktionieren würde – vielleicht nicht hermetisch, aber doch weitgehend. Das zentrale Argument dieser Seite hat der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zuletzt im Bundestag vorgetragen: Es könne doch nicht wahr sein, dass ein Staat seine Außengrenzen nicht mehr sichern könne!

Der Gedanke wirkt auf diejenigen verlockend, die die Völkerwanderung rasch gedrosselt sehen wollen. Über die Konsequenzen wird seltener geredet. Dabei zeigen schon die Bilder, welche die Öffentlichkeit hierzulande aus Slowenien und Kroatien erreichen, einen Teil des Problems auf. Wenn Deutschland seine Grenzen schließen würde, käme eine Kettenreaktion in Gang – mit weitreichenden Folgen.

Kann Deutschland seine Grenzen überhaupt schließen?

Selbst unter denen, die von Berufs wegen als Experten gelten sollten, ist schon die praktische Frage umstritten. Exemplarisch deutlich wurde das, als vorige Woche die beiden Polizei-Gewerkschaften aneinander gerieten: Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Reiner Wend, forderte einen Zaun entlang der bayerischen Grenze zu Österreich, der Vizechef der konkurrierenden Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, verwies das ins Reich des Wunschdenkens: „Ein Flüchtlingsstrom verhält sich wie in der Physik das Wasser, er sucht sich einen anderen Weg.“ Der Bund Deutscher Kriminalbeamter warf Wend sogar vor, er betätige sich als geistiger Brandstifter.

Tatsächlich ist die Bundespolizei mit ihren rund 40 000 Beamten auf eine umfassende Grenzsicherung nicht mehr vorbereitet. Verfügte sie als „Bundesgrenzschutz“ bis 2005 noch über ein dichtes Netz von Kontrollstellen, ist ein Großteil dieser Infrastruktur verfallen oder abgerissen. Mit dem Schengen-Abkommen verlagerte sich ihre Aufgabe auf Stichproben- Kontrollen in einem 30-Kilometer-Streifen entlang der nun offenen Landesgrenzen. Dazu hat die Bundespolizei inzwischen eine Fülle weiterer Aufgaben wie die Sicherheit bei der Bahn und an Flughäfen.

Wie schwer eine lückenlose Überwachung der Grenzen wäre, hat zuletzt der G7-Gipfel gezeigt: Um Schloss Elmau vor ein paar tausend Demonstranten abzuschirmen und die Handvoll benachbarten Grenzübergänge zu Österreich zu kontrollieren, waren 17 000 Polizeibeamte im Einsatz.

Trotzdem wäre es nach Einschätzung von Innenpolitikern mit äußerster Anstrengung technisch und personell denkbar, die Landesgrenze im Süden der Republik weitgehend abzuriegeln.

Was würde eine Schließung der deutschen Grenzen bewirken?

Interessanterweise sind sich Zaun-Anhänger und Zaun-Gegner darin sogar einig: Wenn Deutschland dicht macht, wäre die Folge ein Rückstau durch alle Länder der sogenannten „Balkanroute“ hindurch. Schon der Versuch, die Zahl der Ankömmlinge in Deutschland deutlich zu reduzieren, würde Tausende andere in Österreich stranden lassen. Für den Fall hat Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in Wien bereits im vergangenen Monat angekündigt, dass Österreich ebenfalls die Grenzen schließt. Damit käme die Kettenreaktion in Gang – Rückstau in Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, zuletzt in Griechenland. Ein Vorgeschmack ist derzeit zu erleben, seit einige Balkanstaaten versuchen, den Strom zu kanalisieren.

Vor allem Slowenien wird immer mehr zum Brennpunkt in der Flüchtlingskrise. Das kleine EU-Mitgliedsland kann nach Angaben der dortigen Behörden pro Tag nur 2500 Flüchtlinge aufnehmen. Doch seit Ungarn am vergangenen Wochenende die Grenze nach Kroatien dichtmachte, sieht sich Slowenien einem Ansturm der Flüchtlinge gegenüber. Wie die slowenische Polizei am Donnerstagmorgen mitteilte, kamen innerhalb der vergangenen 24 Stunden mehr als 12.600 Menschen in die Alpenrepublik.

„Die Belastung ist enorm“, sagte der slowenische Außenminister Karl Erjavec dem Tagesspiegel. Dennoch bemühe sich sein Land, den Zustrom „kontrolliert zu steuern und in Abstimmung mit unseren Nachbarländer zu behandeln“. Allerdings ließ Erjavec auch keinen Zweifel daran, dass Slowenien seinerseits zur Schließung der Grenze gezwungen wäre, falls sich Deutschland und Österreich für ein derartiges Vorgehen entscheiden sollten: Die Entscheidungen Sloweniens in der Flüchtlingskrise würden sich „auch künftig stark nach den deutschen und österreichischen Vorgehensweisen richten“, sagte der Außenminister.

Polizeigewerkschaftschef Wend sagt ganz offen, dass er sich dieses Szenario wünscht. Andere denken aber genauso: So lange die Länder entlang der Flüchtlingsrouten sich auf die Rolle des Busunternehmers Richtung Deutschland zurückziehen könnten, sagt einer, bleibe europäische Solidarität eine Illusion. Erst wenn möglichst viele selbst betroffen wären, werde sich etwas ändern. Außerdem werde der Flüchtlingsstrom rasch versiegen, wenn sich die neue Lage herumspreche.

Welchen Preis würde der Zaun fordern?

Die Folgen für die Menschen, die zur Zeit quer durch Südeuropa unterwegs sind, zeigen sich gerade in drastischer Weise. Die Hilfsorganisation Care vergleicht die Zustände an der serbisch-kroatischen Grenze mit Somalia und Jemen: „Die Menschen schweben hier in Lebensgefahr“. Unter den Flüchtlingen seien in jüngster Zeit zunehmend auch Frauen und kleine Kinder; sie litten besonders unter Hunger, Kälte und Regen, von Überfällen und sexuellen Übergriffen ganz zu schweigen.

Aber auch für Deutschland, warnen Kritiker der Abschottungsidee, würde die Rückkehr zu Grenzkontrollen nicht die Rückkehr zu dem Scheinidyll bedeuten, als man hierzulande Flüchtlingswellen für ein Problem ferner Länder halten konnte. Zum einen gelten das deutsche Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention auch am Schlagbaum weiter. Sehr viele Flüchtlinge könnten die Grenzer gar nicht an Ort und Stelle zurückweisen.

Selbst die Einrichtung von „Transitzonen“ mit Schnellverfahren hätte nur einen begrenzten Effekt auf die Zahlen: Die Zentren könnten die Registrierung erleichtern und einige tausend Asylbewerber aus Balkan-Staaten rasch wieder auf den Weg zurück nach Hause schicken – am Zustrom weiterer Tausende, die zu Recht Zuflucht suchen, würden sie nichts ändern.

Dazu kommt der politische Preis. Unstrittig ist, dass die Sicherung der EU-Außengrenzen nicht mehr dem Schengen-Abkommen und den Regeln des Dublin-Verfahrens folgt. Beide übertragen die Grenzsicherung und die Erstaufnahme von Asylbewerbern den Randstaaten Europas – ein für den Zentralstaat Deutschland sehr bequemes Modell. Doch es funktioniert nicht mehr. „Die Geschäftsgrundlage ist entfallen“, sagt ein Anhänger der Grenzen-zu-Fraktion. Damit sei Deutschland auch juristisch zur Selbsthilfe befugt.

Die Befürworter von Merkels Kurs halten dagegen: Wenn Deutschland Schengen für erledigt erkläre, werde Europa nicht nur bei der Grenzkontrolle in Nationalstaaterei zurückfallen. Dann werde die Solidarität auf dem Kontinent sehr schnell grundsätzlich in Frage gestellt. Zumal ein deutscher Zaun bedeuten würde, das Problem genau den Ländern aufzuladen, die die Gemeinschaft gerade erst mit großer Anstrengung stabilisiert habe, wie zum Beispiel Griechenland.

Welche Alternativen zu Grenzzäunen gibt es?

Interessanterweise sind Zaun-Freunde und Zaun-Gegner bei der Frage nach praktikablen Lösungen gar nicht so weit auseinander. Der wichtigste Unterschied liegt im Tonfall und der politischen Psychologie: Die Zaun-Freunde setzen auf Abschreckung und Druck auf andere Staaten, die Zaun-Gegner glauben nicht an Abschreckungseffekte und setzen auf kooperatives Vorgehen. Doch beide einen das übergeordnete Ziel: Die meisten Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens und aus Afghanistan sollen möglichst gar nicht erst den Weg über die Ägäis in die Europäische Union antreten.

Wenn das gelingen soll, muss sich national wie international einiges tun. In Deutschland selbst arbeitet die Bundesregierung – ungeachtet der Skepsis in der SPD – weiter konkret an dem Plan für grenznahe „Transitzonen“. Die würden auch funktionieren, wenn die grüne Grenze offen bliebe, hofft man in Regierungskreisen; denn die Registrierung in diesen Zentren werde dann zur Voraussetzung für staatliche Hilfen gemacht.

Zugleich setzen auch Merkels Zuarbeiter durchaus auf einen gewissen Abschreckungseffekt. Bilder von Bussen oder Flugzeugen mit abgelehnten Bewerbern, die Richtung Westbalkan aufbrechen, dürften sich per Facebook und Twitter sehr schnell in die Herkunftsländer verbreiten. Der Einsatz von Bundeswehrmaschinen, mit dem sich das Kabinett am Mittwoch befasst hat, gilt intern übrigens als Nebensache: Charterflüge seien billiger.

Was ist beim Treffen der betroffenen Länder in Brüssel zu erwarten?

Am Sonntag wollen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der Länder entlang der Balkanroute treffen. Neben den EU-Ländern Deutschland, Österreich, Bulgarien, Kroatien, Griechenland, Ungarn, Rumänien und Slowenien sind das Serbien und Mazedonien. Wenn es nach der Bundesregierung geht, werden bei dem Treffen Verfahren vereinbart, um das Chaos an den Grenzen zu ordnen. Denkbar wären etwa Kontingentlösungen, bei denen Kroaten und Slowenen einen Teil der Ankömmlinge selbst registrieren und aufnehmen und die übrigen in geordneten Bahnen an die Nachbarländer weiterleiten.

Dass am Ende dann die meisten trotzdem in Deutschland landen werden, darüber macht sich niemand Illusionen. Zweiter Schwerpunkt der Verhandlungen soll die bessere Sicherung der EU-Außengrenze in der Ägäis sein. Die griechische Küstenwache soll durch weitere Beamte der europäischen Grenzagentur Frontex unterstützt werden.

Damit richten sich die Erwartungen bei dem Treffen in Brüssel nicht zuletzt auf den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Griechenland sei aufgefordert, mehr bei der Koordinierung des Grenzschutzes mit den türkischen Nachbarn zu unternehmen, hieß es in EU-Diplomatenkreisen. Dass der Zustrom der Flüchtlinge in Griechenland weiter ungebrochen ist, zeigen die jüngsten Zahlen. Mehr als 2000 Flüchtlinge kamen am Donnerstagmorgen erneut von den ägäischen Inseln im Hafen von Piräus an.

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