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Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verlangt von Serbien eine Änderung der Visa-Politik.

© Foto: Reuters/Lisi Niesner

Steigende Flüchtlingszahlen auf der Balkanroute: Die neue Härte der Nancy Faeser

Die Zahlen der Flüchtlinge auf der Balkanroute steigen. Zwar sind die Zustände nicht mit der Krise von 2015 zu vergleichen. Aber Innenministerin Nancy Faeser baut schon einmal vor.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) muss sich an diesem Freitag beim Mittagessen mit ihren EU-Amtskolleginnen und -kollegen in Luxemburg mit einem Problem befassen, das der Gemeinschaft seit einigen Wochen zunehmend Kopfzerbrechen bereitet. Weil das Nicht-EU-Land Serbien Visafreiheit für Menschen gewährt, denen ansonsten der Weg in die EU versperrt wäre, steigt in der Europäischen Union auch wieder die Zahl der Asylanträge und illegalen Einreisen.

Faeser hat vor dem Treffen schon einmal klar gemacht, dass sie von Serbien eine Änderung der Visa-Politik erwartet: „Um es klar zu sagen, die Visa-Praxis Serbiens ist inakzeptabel, auch diese trägt zu den Bewegung auf der Balkanroute bei.“

Für Faeser sind das vergleichsweise harsche Töne. Zu Beginn des Jahres hatte die Ministerin noch für einen liberaleren Kurs in der EU-Migrationspolitik geworben – gegen den Willen des damaligen französischen EU-Vorsitzes. Faeser hatte seinerzeit vorgeschlagen, dass sich Deutschland mit anderen EU-Ländern zusammentut und eine „Koalition der Willigen“ bei der Flüchtlingsaufnahme eingeht, weil sich die EU-Staaten weiterhin nicht auf ein neues Asylsystem einigen können.

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Prozent der Ukraine-Flüchtlinge hat Deutschland in der EU anteilig aufgenommen

Doch dann kam die russische Invasion in der Ukraine. Seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar hat die EU inzwischen Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine aufgenommen. Gegenwärtig stehen laut EU-Kommission 4,2 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in der Gemeinschaft unter vorübergehendem Schutz.

Deutschland hat nach Polen die meisten Ukraine-Flüchtlinge aufgenommen

Faesers Innenministerium weist darauf hin, dass Deutschland nach Polen die meisten Ukraine-Flüchtlinge aufgenommen hat. Den Angaben zufolge hat Polen mit Blick auf die absoluten Zahlen 32 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge aufgenommen, gefolgt von Deutschland (23 Prozent), Tschechien (zehn Prozent) sowie Italien und Spanien (jeweils 3,3 Prozent).

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic muss sich wegen seiner Visapolitik viel Kritik aus der EU anhören.

© Foto: AFP/Ludovic Marin

Gäbe es die zahlreichen Flüchtlinge aus der Ukraine nicht, wären für Faeser und ihre EU-Amtskollegen die großzügige serbische Visafreiheit wohl nur ein kleines Problem. In EU-Diplomatenkreisen heißt es indes angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen auf der Balkanroute, dass es sich um einen „neuen Trend“ bei der Migration handele, den man sehr wohl ernst nehmen müsse.

70 Prozent mehr irreguläre Grenzübertritte als 2021

Insgesamt profitieren Menschen aus weltweit 30 Staaten, darunter Indien und Tunesien, von den laxen Visabestimmungen in Serbien. Wie die EU-Grenzschutzagentur Frontex am Donnerstag mitteilte, wurden an den EU-Außengrenzen zwischen Januar und September insgesamt rund 228.240 irreguläre Grenzübertritte registriert. Dies entspricht einem Anstieg um 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Die Folgen sind auch in Deutschland zu spüren. Im Bundesland Sachsen, das die Flüchtlinge über die Grenzen zu Tschechien und Polen erreichen, registrierte die Dresdner Bundespolizei-Inspektion im September bereits 2400 ankommende Migranten – eine Verfünffachung im Vergleich zum Juli.

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Derartige Zahlen sind es, die zu Faesers harter Ansage an die Adresse Serbiens geführt haben. An einigen ihrer liberalen Grundsätze – etwa die Mithilfe Deutschlands nach der Seenotrettung von Flüchtlingen – will die Ministerin weiterhin festhalten. Aber dennoch kommt die neue Härte der SPD-Politikerin in der Ampel-Koalition nicht überall gut an.

Die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze wurden verlängert.

© Foto: dpa/Armin Weigel

Grünen-Politiker sieht keine „substanzielle Herausforderung für Europa und das EU-Asylsystem“

Der Grünen-Innenpolitiker Julian Pahlke gehört zu denen, die den Kurs der Innenministerin mit Blick auf eine stärkere Begrenzung der Flüchtlingszahlen kritisch sehen. „Da liegt Frau Faeser schlicht falsch“, sagt der Bundestagsabgeordnete. Es gebe zwar eine Zunahme bei den Zahlen der Flüchtenden, die über die Balkanroute kommen, so Pahlke. „Wir sind aber weit davon entfernt, dass man von einer substanziellen Herausforderung für Europa und das EU-Asylsystem sprechen kann.“

Statt die öffentliche Debatte über die steigenden Zahlen auf der Balkanroute hochzutreiben, ist es nach den Worten des Grünen-Abgeordneten besser, mehr Solidarität zwischen den EU-Staaten an den Tag zu legen. Dann wäre die Aufnahme der Flüchtlinge auch „eine wirklich überschaubare Aufgabe“, so Pahlke.

Grenzkontrollen zu Österreich wurden für ein halbes Jahr verlängert

Trotzdem hat Faeser wegen der steigenden Flüchtlingszahlen die Grenzkontrollen zu Österreich über den November hinaus für ein weiteres halbes Jahr verlängern lassen. Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh hält das zwar für „bedauerlich“.

Dennoch hat Lindh Verständnis für die weitere Verlängerung der Kontrollen, die normalerweise im Schengen-Raum wegfallen sollen. Dass an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich weiter Überprüfungen stattfinden, sei „der aktuellen Lage durch erhebliche Sekundärmigration, zum Beispiel über die Slowakei, geschuldet“, erklärt er.

Experten: Flüchtlingszahlen auf der Balkanroute weit geringer als 2015/2016

Nach der Einschätzung von Experten liegen die Zahlen der Menschen, die derzeit über die Balkanroute nach Deutschland kommen, weit unter denen, die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise von 2015/2016 registriert wurden. Trotzdem erinnern einige Reaktionen in den Staaten entlang der Balkanroute an die Krise vor einem halben Jahrzehnt.

Denn nicht nur haben sich Deutschland und Österreich auf die Verlängerung der Überprüfungen verständigt. Auch weiter östlich sollen die Grenzen für Flüchtlinge weniger durchlässig werden: Österreich und Tschechien halten ebenfalls bis auf Weiteres an den Personenkontrollen an der Grenze zur Slowakei fest.

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