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Die Parteien streiten um's Geld.

© Daniel Reinhardt/dpa

Steuerpolitik: Erfolg und Gewinnstreben gelten als verdächtig

In Deutschland will der Staat immerzu mehr verteilen. Die Politik hat den Kontakt zur Realität verloren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Es ist ein kleines Wunder, dass Deutschland immer noch so erfolgreich ist. Dass Millionen Menschen jeden Tag mit Leistungsbereitschaft zur Arbeit gehen und helfen, die Qualität deutscher Produkte und die nationale Wirtschaftsleistung insgesamt weiter zu steigern. Davon lebt unsere Gesellschaft schließlich, daraus finanziert sie die Solidarität mit den Hilfsbedürftigen.

Ein kleines Wunder darf man das nennen angesichts der Tonlage, in der Politiker und Medien sich oft über Menschen äußern, die Überdurchschnittliches leisten. Erfolg und Gewinnstreben gelten als verdächtig und in erster Linie als Quelle für höhere Besteuerung, besonders in Wahlkampfzeiten.

Gute Bürgerinnen und Bürger sind diejenigen, die der Staat, also die Politiker mit Wohltaten umgarnen können. Vorbild ist nicht mehr, wer für sich selbst sorgt und dem Staat mehr gibt, als er von ihm erhält. Zum Vorbild wird, wer seine Existenz aus öffentlichen Geldquellen bestreitet. Dazu gehören, notabene, auch Politiker.

Nur: Wie soll diese Rechnung auf Dauer aufgehen, wenn die Zahl der Leistungsempfänger steigt und die der Zahler sinkt? In Deutschland erhält heute rund die Hälfte der Einwohner mehr Geld aus Staatskassen, als sie an Steuern oder Abgaben einzahlen. Der übliche Reflex zur Abwehr solcher Hinweise ist das Schüren von Neid auf „die Reichen“.

Unverständliche Empörung

Vor wenigen Tagen empörte sich die veröffentlichte Meinung darüber, dass rund ein Viertel der Bundestagsabgeordneten noch andere Einkünfte als die Diäten habe. Eigentlich ist es doch wünschenswert, dass Volksvertreter Kontakt zum realen Wirtschaftsleben behalten, als Unternehmer, Rechtsanwälte, Landwirte. Vermutlich wächst dann das Verständnis für ökonomische Zusammenhänge. Und zahlen tun sie bei diesem Einkommensniveau ohnehin: den Höchststeuersatz.

Die Steuerpolitik ist ein weiteres Beispiel, dass die Politik den Kontakt zur Realität verloren hat und nur noch in Einnahmenmaximierung denkt, um mehr verteilen zu können. Siehe die Kritik am Vorschlag der Mittelstandsvereinigung der Union zur Steuerreform. Dabei könnte der auch von der SPD und den Grünen stammen – sofern die sich erinnern, wen sie noch kürzlich als ihre Kernklientel definierten: Facharbeiter, Ingenieure, technische Intelligenz, die neue Mitte.

Der Vorschlag lautete, die Werbungskostenpauschale auf 2000 Euro zu verdoppeln, was auch Geringverdienern hilft, den Spitzensteuersatz erst ab 60.000 Euro zu erheben und den Grundfreibetrag ab 2020 Kindern ebenso wie Erwachsenen zu geben, was Familien entlastet. SPD und Grüne mäkelten, dies helfe Mietern nicht und es sei ungerecht, wenn nicht nur Niedrig-, sondern auch Besserverdienende entlastet werden.

Was haben sie bloß dagegen, dass der Steuertarif ähnlich der Beitragsbemessungsgrenze für die Sozialversicherungen mit der Inflation nach oben angepasst wird? Dass die Linkspartei so argumentiert, wundert nicht. Aber SPD und Grüne? Wollen sie nur noch die Parteien der Sozialhilfeempfänger und Alleinerziehenden sein?

Entschädigung für alle?

Der Spitzensteuersatz sollte, das legt der Name nahe, den Spitzenverdienern vorbehalten sein. 2016 greift er bei einem zu versteuernden Einkommen von 53.665 Euro. Das verdient ein Facharbeiter bei VW im SPD-regierten Niedersachsen oder bei Bosch im grün regierten Stuttgart.

Der deutsche Steuertarif kennt keine automatische Inflationsanpassung. Seit 2000 ist der durchschnittliche Arbeitsverdienst um 26 Prozent gestiegen; die Grenze für den Spitzensteuersatz blieb nahezu gleich. Facharbeiter zählen sich vermutlich zur Mittelschicht. Aber Spitzenverdiener?

Dafür hat der Justizminister eine neue Klientel für staatliche Entschädigungen im Blick: Homosexuelle. Es ist ja gut, dass die diskriminierenden Strafparagrafen abgeschafft wurden. Gott sei Dank ändern sich Moral- und Rechtsvorstellungen.

Aber soll der Staat wirklich jede Gruppe, die man früher rechtlich anders stellte als heute, entschädigen? Oder dies nicht besser auf Fälle beschränken, die schon damals im krassen Widerspruch zum zeitgenössischen Rechtsempfinden standen?

Falls es um Stimmen geht: Der Effekt wäre am größten, wenn der Staat demnächst alle Frauen entschädigt, die bis 1957 die Erlaubnis des Ehemann brauchten, um ein eigenes Bankkonto zu eröffnen – und bis 1977, um eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Deutschlands Sozialmodell beruht auf international herausragenden Wirtschaftsleistungen. Wie lange kann das gut gehen, wenn sich die Denkschemata der aktuellen Wahlkämpfe durchsetzen?

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