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Mikrofone am Bundestag.

© Imago/Metodi Popow

Transparenz zu Strafverfahren von Parlamentariern: Wie viel kriminelle Energie steckt im Bundestag?

Über Strafverfahren gegen Abgeordnete erfährt die Öffentlichkeit meist nichts. Nach einer Tagesspiegel-Klage prüft nun Europas Menschenrechtsgerichtshof den Fall – mit womöglich weit reichenden Folgen.

Abgeordnete des Deutschen Bundestags sind auch nur Menschen. Sie machen Fehler, haben Laster – und manche sogar ein Strafverfahren am Hals. Stets wird die Bundestagsverwaltung einschließlich der Präsidentin Bärbel Bas (SPD) darüber informiert. Grund dafür ist die Immunität der Abgeordneten, die sie vor Strafverfolgung schützen soll. Oft werden solche Verfahren auch wieder eingestellt, mangels Tatverdacht oder gegen Geldauflagen. Die Öffentlichkeit erfährt von solchen Fällen zumeist: nichts.

Jetzt befasst sich erstmals der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit dieser Praxis. Anlass ist ein fast zehn Jahre währender Rechtsstreit, den der Tagesspiegel gegen die Bundestagsverwaltung führt.

Sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch das Bundesverfassungsgericht hatten Auskunftsklagen des Tagesspiegels abgewiesen. Eine Beschwerde dagegen hat der EGMR nun der Bundesregierung zugestellt und um Stellungnahme gebeten (Application no. 47935/19). Die geschieht nur in einem Bruchteil von jährlich mehreren Hundert Beschwerden, die sich gegen die Bundesrepublik richten. Seit Beginn des Jahres sind es erst sechs Verfahren.

Die Garantie des freien Mandats hat nicht zur Folge, dass sich Abgeordnete einer öffentlichen Diskussion über ihr Verhalten entziehen könnten.

Das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil von 2015

Die Klage des Tagesspiegels auf Grundlage des presserechtlichen Auskunftsanspruchs zielt darauf, statistische Informationen über diese sogenannten Immunitätsverfahren öffentlich zu machen. Anlass war der Fall des früheren SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy, gegen den wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften und Videos ermittelt wurde. Das Landgericht Verden stellte das Verfahren 2015 gegen eine Zahlung von 5000 Euro ein.

Die Reichweite des Auskunftsanspruchs ist umstritten

Die hinter dem Streit stehenden Rechtsfragen gehen über den Fall weit hinaus. Es geht generell um die Transparenz der Staatsgewalt: Werden auch Sachverhalte aus der Legislative, also parlamentarische Angelegenheiten vom Auskunftsanspruch der Presse erfasst? Oder beschränkt sich dieser Anspruch bloß auf das Handeln der Exekutive, also auf Verwaltungshandeln?

Die Antwort darauf hat unmittelbar Bedeutung für die Recherchen von Medien und die Transparenzpflichten von Behörden, wozu – etwa neben Kanzleramt und Ministerien – auch die Bundestagsverwaltung zählt. Diese verfügt über eine Fülle von Informationen über das parlamentarische Geschehen, das ohne Zuschauer stattfindet, beispielsweise über die Inhalte von nicht öffentlichen Ausschusssitzungen. Ähnlich ist es beim Bundespräsidenten, wenn er Straftäter begnadigt, Orden verleiht oder Gesetze unterschreibt. Alles kein Verwaltungshandeln, alles nichts für die Medien.

Für den Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden gibt es bislang kein Gesetz. Die Koalition hat zwar verabredet, ein solches zu schaffen, bisher ist aber noch kein Entwurf bekannt geworden. Grundlage des Anspruchs ist nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts daher bislang die in Artikel fünf des Grundgesetzes geschützte Pressefreiheit. Ohne behördliche Auskünfte könne Presse nicht arbeiten und ihre Kontrollfunktion nicht wahrhnehmen, lautet der einsichtige Schluss.

Die Reichweite dieses verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs ist allerdings umstritten. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte der Tagesspiegel-Klage auf Informationen zu Immunitätsverfahren 2015 noch in vollem Umfang stattgegeben.

Die Informationsrechte beschränkten sich nicht allein auf die Exekutive, hieß es damals. „Gerade in Bezug auf den parlamentarischen Bereich erfüllt die Presse eine wichtige Aufgabe“, und es sei „fernliegend“, den parlamentarischen Bereich in seiner Gesamtheit auszunehmen. Es stellten sich „zahlreiche Fragen, an deren Beantwortung ein Interesse der Presse und der Öffentlichkeit besteht“.

Nach Ansicht der Richter schützt die Volksvertreter auch ihr formaler Status nicht vor derlei Veröffentlichungen: „Die Garantie des freien Mandats hat nicht zur Folge, dass sich Abgeordnete einer öffentlichen Diskussion über ihr Verhalten entziehen könnten.“

Sowohl das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wie das Bundesverwaltungsgericht bewerteten den Fall jedoch vollkommen anders. „Parlamentarische Angelegenheiten sind von dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse nicht erfasst“, urteilte das oberste Verwaltungsgericht in Leipzig 2018. Zur Begründung wurde auf das traditionelle Verständnis der Landespressegesetze verwiesen. Erwägungen zum Sinn und Zweck des Anspruchs und der Funktion der Presse, wie das Berliner Verwaltungsgericht sie drei Jahre zuvor noch angestellt hatte, fehlten.

Auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wies eine Beschwerde des Tagesspiegels ab, die mit Unterstützung des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) erhoben worden war. Eine Begründung gab es nicht.

Die Medien sind unverzichtbare Kontrolleure der Staatsgewalt.

Mika Beuster, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV)

Nun prüft der EGMR den Fall. Der Tagesspiegel beruft sich in dem Verfahren auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der neben der Meinungsfreiheit die Freiheit einschließt, „Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben“. Nach der Rechtsprechung des Gerichts kann unter besonderen Umständen daraus auch ein Informationsanspruch gegenüber dem Staat oder staatlichen Institutionen resultieren.

Aus den an die Prozessparteien gerichteten Fragen des EGMR geht hervor, dass die Richterinnen und Richter Bedenken gegen die pauschale und nicht näher begründete Herausnahme der „parlamentarischen Angelegenheiten“ aus dem Informationsrecht haben. Sie wollen aber auch prüfen, ob es andere, tragfähige Einwände gegen eine Mitteilung der Daten gibt. So hatte etwa der Bundestag argumentiert, das Ansehen des Parlaments sei insgesamt gefährdet, wenn die Informationen öffentlich bekannt würden.

Möglich, dass der EGMR noch im laufenden Jahr eine Entscheidung verkündet – die von den hiesigen Gerichten wie ein deutsches Gesetz beachtet werden muss. „Die Medien sind unverzichtbare Kontrolleure der Staatsgewalt“, betont der kürzlich gewählte neue Bundesvorsitzende des DJV Mika Beuster. Der Auskunftsanspruch der Presse müsse deshalb gegenüber allen Bundesbehörden gelten und auch parlamentarische Angelegenheiten umfassen.

Beuster fordert zudem den Gesetzgeber zum Handeln auf: „Der Bundestag darf sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen.“ Die Ampelregierung habe versprochen, den Auskunftsanspruch der Presse in einem Bundesgesetz festzuschreiben. „Das muss endlich umgesetzt werden, damit für Journalistinnen und Journalisten Rechtssicherheit besteht.“ 

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