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Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, fordert eine Migrantenquote in der Politik.

© Thilo Rückeis

Vor der Bundestagswahl: Türkische Gemeinde fordert Migrantenquote

Deutschtürken fühlen sich in der Politik kaum repräsentiert. Viele gehen deshalb selten zur Wahl.

Das Problem beginnt schon bei den Zahlen. Sind es 1,3 Millionen oder 720 000 türkischstämmige Wahlberechtigte in Deutschland? So ganz genau weiß offenbar niemand, wie viele Deutschtürken berechtigt sind, am 24. September ihre Stimme abzugeben. Selbst wenn man die kleinere Zahl zugrunde legt, wäre ihr Anteil an allen Wahlberechtigten jedoch immer noch etwas höher als ein Prozent.

Ein wichtiges Prozent, das seit Monaten im Fokus steht. Die Armenien-Resolution, die Inhaftierung von Deutschen in der Türkei, die Forderung von Spitzenpolitikern, die EU-Beitrittsgespräche zu beenden – all das hat das Verhältnis beider Länder massiv verschlechtert. „Die Stimmung in der Gemeinde ist schlecht“, sagt Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD). Gerade die Debatte um die Beitrittsverhandlungen habe viele verärgert. Laut Sofuoglu werde das aber kaum Auswirkungen auf die Wahl haben. Selbst den Boykott-Aufruf des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht SPD, CDU oder Grüne zu wählen, hält Sofuoglu für unwirksam: „Manchmal löst das eher eine Gegenreaktion aus.“

In den Parlamenten sitzen nur drei bis fünf Prozent Migranten

Voraussetzung dafür wäre erst einmal, dass die berechtigten Deutschtürken überhaupt wählen gehen. Die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe lag bisher stets signifikant unter dem Schnitt. Aber: „Wenn man den sozialen Status mitrechnet, der bei Migranten ebenfalls niedriger ist, liegen wir nicht mehr ganz so weit darunter“, sagt TGD-Sprecher Cihan Sinanoglu.

Eine mögliche Erklärung für das geringe Interesse ist, dass sich Migranten in der deutschen Politik nicht ausreichend repräsentiert fühlen. Während knapp 20 Prozent der Bevölkerung laut Statistischem Bundesamt einen Migrationshintergrund haben, sind es in den Parlamenten nach Angaben der TGD lediglich drei bis fünf Prozent.

Ihr Co-Vorsitzender Atila Karabörklü fordert deshalb eine „Quote für Menschen mit Migrationshintergrund“, analog zur Frauenquote. Die Forderung ist Teil eines Katalogs, den die TGD als „Wahlprüfsteine“ vor der Bundestagswahl erstellt hat. Darin setzt sich die Gemeinde auch für ein kommunales Wahlrecht ein, fordert, die Mehrstaatigkeit zuzulassen und ein Migrationsministerium einzurichten.

Die Union ist bei Migrationsfragen konservativ

Danach hat der Verein die Direktkandidaten aller sechs Parteien gefragt, die wohl in den Bundestag einziehen werden. Herausgekommen ist eine Art Wahl-O- Mat zu Integrationsfragen. Auffallend an den Ergebnissen: Die Meinungskoalitionen verlaufen eindeutig. Im linken Spektrum Rot-Rot- Grün, auf der anderen Seite Schwarz-Gelb-Blau. Die Union wirkt hier konservativer als in anderen gesellschaftlichen Fragen. Etwa beim Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige. Hier sind Linke, Grüne und SPD mit je über 90 Prozent dafür, AfD und Union mit ähnlichem Wert dagegen. Die Liberalen lehnen das zu 75 Prozent ab.

Gegen die Migrantenquote sind die drei Letztgenannten ebenfalls mit klarer Mehrheit. SPD und Grüne stimmten mehrheitlich dafür, die Linken befürworteten das zu 27 Prozent, der Großteil enthielt sich. Gökay Sofuoglu versucht sich in Zweckoptimismus: „Es muss ja nicht gleich verpflichtend sein. Wir müssen auch nicht gleich von 20 Prozent reden. Das würde die Parteien überfordern. Aber wir wollen einen Anstoß geben.“

Unsicher ist, ob Parteien wie die SPD bei den türkischstämmigen Wählern mit ihren Antworten punkten können. Einigen Umfragen zufolge büßte sie hier deutlich an Zustimmung ein. Bei vergangenen Bundestagswahlen profitierten vor allem die Sozialdemokraten von der türkischstämmigen Wählerschaft. Bei einer repräsentativen Umfrage des Instituts „Data-4U“ kam die SPD in dieser Gruppe 2013 auf 64 Prozent der Stimmen. Die CDU landete mit sieben Prozent hinter Linken und Grünen, die jeweils zwölf Prozent erreichten.

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