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Soldaten bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten in Cherson.

© Foto: dpa/ Bernat Armangue

Ukraine-Offensive Tag 264: Experten rechnen mit russischer Offensive in Donezk

Selenskyj in Cherson, Ausbildungsmission für die Ukraine, Biden und Xi verurteilen Atomwaffen-Drohung. Der Überblick am Abend.

Überraschend hat Wolodymyr Selenskyj das befreite Cherson besucht. „Wir kommen Schritt für Schritt in unserem ganzen Land voran“, sagte der ukrainische Präsident in der Stadt im Süden der Ukraine. Acht Monate lang besetzten die Russen Cherson, vor wenigen Tagen dann verkündeten sie den Rückzug.

US-Präsident Joe Biden nannte diesen heute einen „bedeutenden Sieg“ für die Ukraine. Die Armee sei „wirklich wunderbar“. Und: „Ich kann nur applaudieren.“

Die „New York Times“ hat nun mit einigen in Cherson lebenden Menschen gesprochen und dokumentiert, wie sie sich ihren Besatzern in den vergangenen Monaten immer wieder in den Weg stellten – und zwar auch ohne Waffengewalt. In einer Schule widersetzten sich Lehrer der russischen Anweisung, den Kindern die russische Nationalhymne beizubringen. Von einer Angestellten bei einem Taxiunternehmen heißt es, sie hätte Rechnungen in Rubel begleichen sollen. Aber sie zahlte weiter in der ukrainischen Währung Griwna.

Ein Mann vergleicht in dem Bericht den Einmarsch der beiden Armeen nach Cherson. Im Winter kamen die Russen, jetzt vor wenigen Tagen die Ukrainer: „Als unsere Soldaten einfuhren, waren ihre Maschinengewehre in die Luft gerichtet. Als die Russen einfuhren, waren ihre Waffen auf die Menschen gerichtet. Das erklärt alles. Und sie sagten, sie seien unsere Befreier.“

Das „Institute for the study of war“ wagt unterdessen einen Ausblick auf die weitere Kriegsentwicklung. Die Russen würden ihre Offensive in den kommenden Wochen wahrscheinlich im Oblast Donezk intensivieren, heißt es da. Dafür kämen zusätzlich mobilisierte Soldaten und die aus Cherson abgezogenen Russen zum Einsatz. Die Russen würden trotz ihrer erneuten Bemühungen aber wahrscheinlich keine nennenswerten Gewinne erzielen. Die Experten halten es jedoch für möglich, dass sie Bachmut einnehmen könnten - allerdings zu einem hohen Preis.

Das Momentum liege nichtsdestotrotz jetzt aber bei den Ukrainern: „Kiew und seine Partner müssen das Beste daraus machen.“

Die wichtigsten Nachrichten im Überblick

  • US-Präsident Joe Biden und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping haben nach US-Angaben russische Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine gemeinsam verurteilt. Beide Seiten stimmten demnach auch überein, dass „ein Atomkrieg niemals geführt werden sollte“, wie das Weiße Haus nach einem etwa dreistündigen Treffen der Präsidenten am Montag auf der indonesischen Insel Bali mitteilte. Solch ein Krieg könne auch niemals gewonnen werden.
  • Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat einen Medienbericht zurückgewiesen, wonach er wegen Herzproblemen im Krankenhaus behandelt worden sei„Das ist ein Spiel, das in der Politik nicht neu ist“, sagte Lawrow. „Westliche Journalisten müssen wahrheitsgetreuer werden – sie müssen schreiben, was wahr ist.“ Das russische Außenministerium veröffentlichte ein Video, das Lawrow auf einer Terrasse in Indonesien zeigen soll. „Wir sind hier mit Sergej Wiktorowitsch in Indonesien und lesen den Ticker und trauen unseren Augen nicht“, teilte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa in Nusa Dua auf der Insel Bali mit, wo Lawrow am G20-Gipfel teilnehmen soll. Sie bezeichnete die Angaben als „Höhepunkt der Fälschung“.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist in der zurückeroberten Stadt Cherson im Süden des Landes eingetroffen, wie mehrere Medien berichten. „Wir kommen Schritt für Schritt in unserem ganzen Land voran“, zitiert die „New York Times“ den 44-Jährigen.
  • Die frühere deutsche Gazprom-Tochter Securing Energy for Europe (Sefe) wird verstaatlicht. Grund dafür seien eine Überschuldung des Unternehmens und die dadurch drohende Insolvenz, wodurch die Versorgungssicherheit in Deutschland gefährdet würde, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. Im Zuge der Verstaatlichung sollen demnach milliardenschwere staatliche Darlehen in Eigenkapital umgewandelt werden; hinzu kommen gut 225 Millionen Euro an frischem Geld.
  • Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat bekräftigt, dass allein die Ukraine über mögliche Friedensverhandlungen mit Russland entscheidet. Es sei nicht Sache der westliche Partnern, um die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen. „Nur die Ukraine entscheidet, was für sie akzeptable Bedingungen sind“, sagte Stoltenberg in Den Haag. Es sei die Aufgabe der Nato-Partner, das Land weiter zu unterstützen. 
  • Die Außenminister der EU-Staaten haben den Start einer Ausbildungsmission für ukrainische Streitkräfte beschlossen. Die Pläne für den Einsatz sehen vor, dass zunächst etwa 15.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten in Deutschland, Polen und anderen EU-Ländern ausgebildet werden. Die EU will damit mithelfen, dass sich die ukrainischen Truppen künftig noch besser als bislang gegen die Angreifer aus Russland verteidigen können. Mein Kollege hat hier die Details aufgeschrieben.
  • Der bevorstehende Winter wird die Kämpfe in der Ukraine nach britischer Einschätzung deutlich beeinflussen. „Veränderungen bei Tageslichtstunden, Temperatur und Wetter bedeuten einzigartige Herausforderungen für die kämpfenden Soldaten“, teilte das Verteidigungsministerium in London mit. „Alle Entscheidungen, die der russische Generalstab trifft, werden teilweise vom Einbruch des Winters abhängig sein.“ Weil die Tageslichtstunden deutlich abnehmen, werde es weniger Offensiven und dafür mehr statische Verteidigungslinien geben.
  • Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben mehreren westlichen Journalisten nach ihrer Berichterstattung aus dem jüngst zurückeroberten Gebiet Cherson die Akkreditierung entzogen. „In jüngster Zeit haben einige Medienvertreter die bestehenden Verbote und Warnungen ignoriert und ohne Zustimmung der Kommandeure und zuständigen PR-Abteilungen des Militärs ihre Berichterstattung aus Cherson aufgenommen, noch bevor die Stabilisierungsmaßnahmen abgeschlossen waren“, begründete der Generalstab am Montag per Facebook die Zwangsmaßnahme.
  • Einem Bericht der „New York Times“ zufolge hat sich der Chef des Auslandsgeheimdienstes der USA am Montag mit einem russischen Kollegen getroffen. William J. Burns habe Russland demnach vor dem Einsatz von Atomwaffen im Ukraine-Krieg gewarnt. Ein weiteres Thema des Gesprächs sollen US-amerikanische Gefangene in Russland gewesen sein. Das Treffen war laut US-Sicherheitsrat mit der Ukraine abgesprochen.

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