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Fast täglich wird vor dem Supreme Court in Washington D.C. für und gegen das Recht auf Abtreibung demonstriert.

© Mandel Ngan, AFP

Jüdische Gemeinschaft klagt in Florida: Verstößt ein striktes Abtreibungsverbot gegen die Religionsfreiheit?

Die US-Verfassung verbietet die Bevorzugung oder Benachteiligung von Religionen. Doch in der Abtreibungsdebatte wird oft mit der Bibel argumentiert.

Die Nachricht liest sich, zumindest auf den ersten Blick, etwas skurril. In Boynton Beach, im US-Bundesstaat Florida, hat eine jüdische Gemeinschaft Klage gegen ein Gesetz eingereicht, das Abtreibungen nach der 15. Woche verbietet. Dadurch würden jüdische Frauen den Regeln eines anderen Glaubens unterworfen, argumentieren die Kläger und berufen sich auf das Recht auf Religionsfreiheit.

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Floridas republikanischer Gouverneur, Ron DeSantis, hat das Gesetz bereits unterzeichnet, es soll in 14 Tagen, am 1. Juli, in Kraft treten und erlaubt keine Ausnahmen bei Schwangerschaften nach Vergewaltigung oder Inzest.

Geklagt hat die Gemeinde „L’Dor Va-Dor“ (von Generation zu Generation), die nach eigener Aussage ein „kosmisches Judentum“ praktiziert, was nach eigener Definition so viel heißt wie das Judentum von morgen schon heute zu leben. Wissenschaft, Tradition und Spiritualität würden respektiert. Das Gesetz verbiete jüdischen Frauen die freie Ausübung ihres Glaubens, heißt es in der Klageschrift, die am vergangenen Freitag im Leon County Circuit Court eingereicht worden war. Denn das Judentum stelle den Schutz des mütterlichen Lebens vor den eines Ungeborenen.

„Dieses Gesetz verbietet Abtreibungen in Fällen, in denen unsere Religion sie erlaubt“, sagt Rabbinerin Danya Ruttenberg vom „National Council of Jewish Women“. Dadurch würden jüdische Frauen den ethischen Regeln eines anderen Glaubens unterworfen. Gemeint sind Katholiken und rechtsevangelikale Christen.

Papst Sixtus V. erklärte 1588 Abtreibung und Empfängnisverhütung zu Todsünden

Brisant ist die Klage, weil erwartet wird, dass das 1973 vom Supreme Court im Urteil „Roe v. Wade“ erlassene Recht auf Abtreibung demnächst umgestoßen wird. Ein entsprechender Urteilsentwurf des konservativen Verfassungsrichters Sam Alito war vorab bekannt geworden. Der erste Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten garantiert die Religionsfreiheit und verbietet die Einführung einer Staatsreligion und die Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Religionen.

Der Glaube, dass menschliches Leben – ausgestattet mit allen Rechten – beginnt, wenn Ei und Samen miteinander verschmelzen, ist in religionsglobaler Perspektive tatsächlich ein wenig exotisch. Im Judentum und Islam gilt der Embryo erst ab seinem 40. Tag als Mensch. Das geht auf Aristoteles zurück, für den das zentrale Kriterium der Zeitpunkt der ersten Bewegung des Embryos im Mutterleib war.

Das galt auch, mit Einschränkungen, im Katholizismus bis ins 16. Jahrhundert hinein. Papst Sixtus V. erklärte 1588 Abtreibung und Empfängnisverhütung zu Todsünden, weil mit der Befruchtung eine „Beseelung“ stattfände. Nur drei Jahre später allerdings machte Papst Gregor XIV. alles wieder rückgängig. Erst 1869 knüpfte Papst Pius IX. wieder an die Beseelungs-Theorie an.

Eine rechtsevangelikal-katholische Auslegung der Bibel

Wenn auf Grundlage dieser rechtsevangelikal-katholischen Auslegung der Bibel nun das Abtreibungsrecht neu geregelt wird, werden dann Nicht-Gläubige, weniger konservative Christen sowie die Anhänger anderer Religionsgemeinschaften bevormundet? Das muss nun geklärt werden. Denn das Grundrecht auf eine ungestörte Religionsausübung entspricht einem uramerikanischen Freiheitsverständnis.

Ein Beispiel: Im Februar 2006 fällte das Oberste Verfassungsgericht ein sensationelles Urteil. Es ging um den Fall „Gonzales versus O Centro Espirita Beneficiente Uniao Do Vegetal“. Das ist eine Religionsgemeinschaft, zu deren Riten es gehört, einen halluzinogenen Tee zu trinken. Der besteht aus Pflanzen, deren Wirkstoff unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Religionsfreiheit contra Drogenmissbrauch? Der Supreme Court urteilte einstimmig, dass die Religionsfreiheit stärker zu gewichten sei als das Drogenverbot.

Sollen Schwangere, die Drogen konsumieren, wegen Körperverletzung belangt werden können?

Welche Folgen hat es, wenn menschliches Leben vollumfänglich mit der Befruchtung einer Eizelle beginnt? Einige christliche Fundamentalisten meinen, deshalb müssten Frauen, die während der Schwangerschaft rauchen, Alkohol trinken oder Drogen konsumieren, wegen Körperverletzung belangt werden können.

Im Bundesstaat Missouri wiederum kehrten Befürworter eines Rechts auf Abtreibung den Spieß um: Konservative Abgeordnete hatten durchgesetzt, dass in einer Präambel zu allen Gesetzen festgehalten wird, dass menschliches Leben mit der Befruchtung einer Eizelle beginnt. Doch als einige Jugendliche klagten, neun Monate früher ihren Führerschein machen zu dürfen, wurde darauf verzichtet, die Präambel rechtsgültig zu machen.

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