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Keine bilaterale diplomatische Beziehung präsentiert sich folgenreicher als diejenige zwischen den USA und China.

© AFP

Wer gegen wen im größten Streit der Welt?: Vier Szenarien für die US-chinesischen Beziehungen

Trumps Aggressionen oder Bidens Agenda? Bleibt Xi, oder wiederholt sich das Murren hoher KPCh-Funktionäre? Und was würde die Welt von morgen wie prägen?

- Yuen Yuen Ang ist Professorin für Politikwissenschaft an der University of Michigan in Ann Arbor und Verfasserin von „China's Gilded Age“ (2020, Cambridge University Press) und „How China Escaped the Poverty Trap“ (2016). Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier. Copyright: Project Syndicate, 2020. www.project-syndicate.org

Keine bilaterale diplomatische Beziehung präsentiert sich folgenreicher als diejenige zwischen den USA und China, die nicht nur die beiden Länder, sondern alle Menschen auf der Welt betrifft. Und die Zukunft dieser Beziehungen hängt davon ab, wer in den kommenden Jahren an der Spitze der beiden jeweiligen Länder stehen wird.

In den USA finden in fünf Wochen die nächsten Präsidentschaftswahlen statt – und sofern sich keine Komplikationen ergeben, wird am 20. Januar 2021 entweder der republikanische Amtsinhaber Donald Trump oder sein demokratischer Herausforderer Joe Biden vereidigt. Im Falle Chinas geht beinahe jeder davon aus, dass Präsident Xi Jinping auf unbestimmte Zeit an den Schalthebeln der Macht bleiben wird.

Doch ein Wechsel an der chinesischen Führungsspitze ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Aus diesem Grund sollten wir hinsichtlich der chinesisch-amerikanischen Beziehungen tatsächlich die Möglichkeit vier verschiedener Szenarien in Betracht ziehen.

Nehmen wir zunächst an, Biden gewinnt und China bleibt auf lange Sicht unter Xis Führung. Biden versprach in einem Text im „Foreign Affairs“ vor ein paar Monaten, dass die Wiederherstellung der globalen Führungsrolle der USA und ihrer demokratischen Allianzen seine oberste außenpolitische Priorität als Präsident sein würden. Er möchte in Infrastruktur, Bildung sowie Forschung und Entwicklung investieren.

Eine Administration unter Biden ließe weniger Drama und hetzerische Rhetorik gegenüber China erwarten. Strikte Maßnahmen gegen die chinesische Industrie- und Außenpolitik würden aber Thema bleiben. Sobald sich Amerika wieder zur Verteidigung einer liberalen Weltordnung bekennt, würde auch die chinesische Führung ihre Bestrebungen um eine internationale Führungsrolle zurücknehmen. Setzt sich Bidens Agenda durch, wäre Amerika sicherer und somit weniger paranoid im Hinblick auf Chinas Aufstieg.

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Im zweiten Szenario gelingt Trump ein weiterer Sieg mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den USA und China. Während Trumps unerwarteter Wahlerfolg 2016 weithin als Zufall betrachtet wurde, müsste ein zweiter Sieg als eine De-facto-Bestätigung seines demagogischen Nationalismus und seiner Fremdenfeindlichkeit gewertet werden.

In einem zutiefst gespaltenen und unsicheren Land könnte die Gegnerschaft gegenüber China zum einzigen Thema werden, bei dem sich die Politiker auf beiden Seiten der parteipolitischen Gräben einig sind. Eine achtjährige Amtszeit Trumps würde dem internationalen Ansehen Amerikas lang anhaltenden, wenn nicht gar permanenten Schaden zufügen.

Weitere Aggressionen von Trump würden Xi nützen

Optimisten mögen argumentieren, dass Trump nach seiner Wiederwahl statt Feindschaft zu schüren, seine Haltung abschwächen und den Schwerpunkt auf Geschäftsverbindungen mit China legen würde. Doch wenn in den vergangenen vier Jahren eines klar wurde, dann, dass Trump ausschließlich auf seine Basis eingeht, die auf emotionale Appelle reagiert, nicht aber auf rationale Analyse und Abwägungen. Höchstwahrscheinlich würde in einer zweiter Amtszeit das China-Bashing auf die Spitze getrieben.

Dieses Szenario wäre zwar für China schrecklich, aber in gewisser Weise auch ein politisches Geschenk für Xi. Je mehr die USA China verunglimpften, desto mehr würden sich chinesische Bürger – selbst diejenigen, die Xis diktatorische Kontrolle ablehnen – hinter ihn stellen. Und innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) würde man alle, die Kritik an Xi wagten, beschuldigen, ausländischen Aggressoren Vorschub zu leisten und deshalb in wirksamer Weise zum Schweigen bringen.

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Dennoch kann ein Wechsel in der obersten Führungsspitze Chinas nicht ausgeschlossen werden. Zwar hat Xi die verfassungsmäßige Begrenzung der Amtszeit bereits abgeschafft, könnte er auf Lebenszeit Chinas oberster Führer bleiben. Doch hinter der Fassade der Unbesiegbarkeit – die auch durch den verglichen mit den USA schnellen Erfolg gegen Covid-19 gestützt wird – sollte sich Xi im Gefolge der Pandemie genauso unsicher fühlen wie Trump.

Einige hochrangige KPCh-Mitglieder haben unlängst, obwohl sie mit Bestrafung rechnen müssen, ihre Stimme gegen Xi erhoben, und in zentralen Wirtschaftsfragen stehen seine Position und die des Premierministers in offenem Widerspruch zueinander – eine absolute Ausnahme in der chinesischen Politik. Insbesondere in der Außenpolitik hat Xis zunehmend aggressiver Ansatz China in einer Zeit beispielloser innenpolitischer Anspannung noch mehr Feinde eingebrockt.

Xi hat viele Regeln gekippt, also ist jetzt viel möglich

Deng Xiaoping, der oberste Führer, der Ende des 20. Jahrhunderts „Reformen und Öffnung“ einleitete, bemühte sich die Einführung von Normen der kollektiven Führerschaft, um die für wirtschaftliches Wachstum notwendige politische Stabilität zu sichern. Und er institutionalisierte Nachfolgeregelungen.

Weil Xi diese Normen systematisch demontierte, sieht sich die KPCh nun in einer Situation, in der jedes politische Ergebnis möglich ist: Xi könnte lebenslang im Amt bleiben, 2022 zur Machtübergabe gezwungen oder durch einen plötzlichen Putsch gestürzt werden. Fehlende regelmäßige Wahlen bedeuten nicht, dass die chinesische Politik von Natur aus stabiler ist als die der USA oder anderer Demokratien.

Aus Gründen der Szenario-Planung stelle man sich vor, ein neuer chinesischer Staatschef würde mit Biden oder Trump verhandeln. Unter Biden könnte man wenigstens damit rechnen, dass sich die USA professioneller Diplomatie bedienen. Fielen aber politische Verstimmungen in China mit einer weiteren Amtszeit Trumps zusammen, wäre alles möglich.

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Niemand kann mit Sicherheit sagen, was in den kommenden Monaten und Jahren geschehen wird, denn die möglichen Ergebnisse sind durch aktuelle Maßnahmen und Schocks wie Pandemien und Rekordhochwässer ständigen Veränderungen unterworfen. Selbst überaus sorgfältig ausgearbeitete Pläne können von unerwarteten Entwicklungen durchkreuzt werden. Sehr wohl jedoch können und sollen Entscheidungsträger unterschiedliche Szenarien auf Grundlage aktueller Merkmale und Trends durchspielen.

Setzt man alle seine Hoffnungen auf das wahrscheinlichste oder wünschenswerteste Ergebnis, riskiert man, einer gefährlichen Selbstgefälligkeit zu erliegen. Im Hinblick auf höchst bedeutsame Frage der Beziehungen zwischen den USA und China, ist es klug, nach vorne zu schauen und sich alle Möglichkeiten vorzustellen, so undenkbar sie jetzt auch erscheinen mögen.

Yuen Yuen Ang

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