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Wird Kevin Kühnert Partei-Vize?

© Gregor Fischer/dpa

Kehrtwende des Juso-Chefs: Von harten Forderungen ist bei Kevin Kühnert keine Rede mehr

Viele große Ankündigungen werden in der SPD gerade abgeschwächt. Auch vom Juso-Vorsitzenden Kühnert, der jetzt Partei-Vize werden will.

Mit Fotos aus Zügen hat die SPD nicht nur gute Erfahrungen. Als Martin Schulz in einem Regionalexpress einst eine neue Umfrage auf dem Smartphone gereicht bekam, zogen sich die Mundwinkel weit nach unten, was die Fotografen sofort festhielten. Am Ende kam es noch schlimmer. Anfangs war vom unaufhaltsamen Schulz-Zug die Rede, der dann in Sprachbildern wahlweise entgleiste oder auf den Prellbock auffuhr.

Nun twitterte der designierte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ein Bild aus der Berliner U- Bahn. Dazu der Spruch: „Nur mal so für die, die meinen, wir würden in Limousinen unter Tage ins Willy-Brandt-Haus chauffiert: U-Bahn ist auch schön!“

Während viele der mehr als 110 000 Mitglieder, die beim Mitgliedervotum für ihn und Saskia Esken gestimmt haben, dachten, sie würden jetzt im Revolutionszug sitzen, der Richtung neue SPD rast, ist die Weiche nun erst einmal Richtung Kontinuität gestellt worden. Im Leitantrag für den SPD-Bundesparteitag taucht keines der konkreten Versprechen mehr auf, das in „Gesprächen“ (statt der erst angekündigten Nachverhandlungen) mit CDU/CSU erörtert werden soll.

Weder ein CO2-Preis von 40 statt 10 Euro, noch das Ziel einer Mindestlohnanhebung auf zwölf Euro oder eine Investitionsoffensive in Höhe von 500 Milliarden Euro über zehn Jahre standen vor der für heute geplanten Verabschiedung darin.

Eine Abstimmung über einen Ausstieg aus der großen Koalition soll es nicht geben. Dabei sagte Esken noch am 18. November im Kandidatenduell mit Olaf Scholz und Klara Geywitz bei RND und Phoenix auf die Frage, ob die SPD auf dem Parteitag die große Koalition verlassen solle, wenn die Union keine Nachverhandlungen zulässt: „Ja, das ist meine Empfehlung.“

Nachverhandlungen ausgeschlossen

Von harten Forderungen oder Bedingungen ist nun keine Rede mehr. Zuvor hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht nur Nachverhandlungen ausgeschlossen, sondern die Genossen daran erinnert, dass die vereinbarte Grundrente nur kommt, wenn die SPD auch nach dem Parteitag weiter zur Koalition steht.

Diese klare Ansage, die einige Genossen als Erpressung empfanden, ist interessant – schon wird spekuliert, ob „AKK“ das Momentum nutzen wolle, es auf einen Bruch (für den die SPD verantwortlich wäre) anzulegen, um sich dank ihrer etwas gestärkten Rolle nach dem CDU- Parteitag bei möglichen Neuwahlen die Kanzlerkandidatur zu sichern. Klar ist aber auch: Wenn der SPD- Leitantrag durchgeht und damit die Halbzeitbilanz positiv beantwortet ist, wird die große Koalition fortbestehen. Und Kanzlerin Angela Merkel kann auf ein reguläres Amtsende 2021 hoffen.

Kühnert will mit „Nowabo“ und Esken quasi eine neue (linke) Troika bilden

Walter-Borjans und Esken sind in der Klemme, zwischen Versprechen und der politischen Realität. „Die Logik der Personalentscheidung wäre der Ausstieg aus der Koalition“, denn beide hätten mit dessen Erwartung den Mitgliederentscheid gewonnen, betont der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD). „Ein Nichtausstieg jetzt beschädigt aber die Glaubwürdigkeit von Esken/Borjans“, erläutert Thierse. Ein Koalitionsausstieg dagegen gefährde wichtige Erfolge der SPD, „vor allem die Grundrente, ein Hauptprojekt der SPD, für das sie lange gekämpft hat.“

Thierse meint, es sei inzwischen egal, wer die SPD führe. „Eine Partei, die nicht lernt, eigene Regierungs-Leistungen auch zu loben, sondern durch ein Klima der Unzufriedenheit, der Verdächtigungen und des Hasses geprägt ist, wird keine Zukunft haben.“ Der SPD fehlen zunehmend die klugen Köpfe, angefangen von einem Peter Glotz über profilierte Wirtschafts- und Umweltpolitiker. Einige sind konsterniert wie Thierse. Und zum Parteitag haben sich von den Ex- Chefs bisher weder Franz Müntefering, noch Gerhard Schröder, Martin Schulz, Sigmar Gabriel oder Andrea Nahles angekündigt.

Die neue Zeit zieht mit Kevin Kühnert, er will sich zum Vize-Chef wählen lassen, um mit „Nowabo“ und Esken quasi eine neue (linke) Troika zu bilden. Lars Klingbeil will den Novizen als Generalsekretär weiter zur Seite stehen. Kühnert hat schon früher gesagt, nur raus aus der Koalition sei kein kluges Konzept.

Aber als er nun der „Rheinischen Post“ sagte: „Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand“, gab es heftigen Gegenwind. Weil er sich spürbar konstruktiver gibt in Sachen Groko und betont, solchen Entscheidungen über einen Ausstieg müssten „vom Ende her durchdacht werden“.

Zu Nikolaus (k)ein Groko-Aus?

Von ihm droht jedenfalls keine Gefahr mehr, dass er mit einer engagierten Rede beim Parteitag eine Mehrheit für einen Ausstieg gewinnt. Bayerns Juso-Chefin Anna Tanzer hatte noch beim Juso-Bundeskongress frohlockt, zu Nikolaus komme das „Groko-Aus“. Kühnert ist nach dem Interview unter Beschuss geraten und rückt in einem Video seine Position zurecht. Er habe „keine Angst, mit der SPD in den nächsten drei Monaten, wenn es sein muss, in einen Bundestagswahlkampf zu gehen“, sagte der 30-Jährige auf Twitter wieder deutlich kritischer. Seine ablehnende Haltung zum Bündnis mit der Union habe er nicht geändert.

Olaf Scholz ist zwar deutlich geschwächt, nach der Niederlage im Rennen um den Vorsitz, aber der Leitantrag dürfte, sofern der Parteitag ihn absegnet, das Weiterregieren auch für den Vizekanzler sichern. Irgendwie wird es anders mit den Neuen – aber vielleicht kann man sich arrangieren.

Ganz anders als Kühnert sieht zum Beispiel Ex-Juso-Chefin Franziska Drohsel (39) die Lage. Sie wird als Delegierte am Freitag beim Bundesparteitag in Berlin dabei sein und fordert dort wie die Parteilinke Hilde Mattheis einen Ausstieg. „Die SPD sollte endlich den Mut aufbringen, die Koalition zu beenden und darüber auf dem Parteitag abstimmen, so Drohsel, die die Jusos von 2007 bis 2010 geführt hat. Der Sieg von Esken und Walter-Borjans sei ein klares Votum gegen das „Weiter So, gegen das lähmende Mantra der Alternativlosigkeit“, gewesen. Es müsse Schluss sein mit der Sachzwanglogik, wie dem Verbleiben in der Koalition aus Staatsverantwortung. Dies habe die Sozialdemokratie „in eine beispiellose Krise“ geführt. Mit dieser Union sei einfach kein Staat zu machen.

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