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Das Bundesverfassungsgericht bedient bevorzugt einen Verein von Journalisten in Karlsruhe.

© Uli Deck/dpa

Vorab-Verkündung von Urteilen: Warum das Bundesverfassungsgericht die Falschen informiert

Mit seiner wenig rechtsstaatlichen Pressearbeit hat sich Karlsruhe eine eigene Umwelt erschaffen. Der Mangel an Kritik daran stärkt die AfD. Ein Kommentar

Als das Karlsruher Verwaltungsgericht am Donnerstag eine, wie der Vorsitzende sagte, „ungewöhnliche“ Klage verhandelte, war das Medieninteresse ungewöhnlich gering. Jene Journalisten, die sonst jeden halbwegs wichtigen Prozess am Sitz von Bundesgerichtshof (BGH) und Bundesverfassungsgericht verfolgen, hörten bei der Urteilsverkündung im Mordfall Walter Lübcke vor dem BGH zu.

Vielleicht waren manche nicht unglücklich über den Parallel-Termin, denn er ersparte ihnen eine Befassung mit sich selbst. Die meisten Karlsruher Rechtsreporter sind in der „Justizpressekonferenz“ (JPK) zusammengeschlossen, einem Verein, dem das Bundesverfassungsgericht in besonderer Weise Vertrauen schenkt: Vereinsmitglieder werden traditionell über die höchstrichterlichen Urteile einen Tag vor der offiziellen Verkündung informiert.

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Eine Klage der AfD gegen diese, vom Tagesspiegel vor zwei Jahren offengelegte Praxis hat das Verwaltungsgericht jetzt in erster Instanz abgewiesen (3 K 606/21). Eine Begründung fehlt noch, aber die Partei war damals schon in einem Eilverfahren gescheitert, weil sie keine Rechtsverletzung geltend machen konnte. Auch eine Eilklage des Tagesspiegels auf gleichberechtigten Informationszugang ging verloren (Az.: 4 K 806/22).

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Liefe die Sache weiter durch die Instanzen, würden am Ende jene 16 hohen Richterinnen und Richter entscheiden, die vor zwei Jahren bei einer Plenarsitzung einstimmig beschlossen hatten, an der lange verborgenen Praxis festzuhalten, obwohl sie aufgeflogen war. Aussichtsreich ist das nicht.

Ein Ritual aus der Frühzeit der Republik

Aber kommt es darauf an? Das Verfassungsgericht pflegt hier ein Ritual aus der Frühzeit der Bundesrepublik, als Staatsorgane fragil waren, die Öffentlichkeit demokratisch wankelmütig erschien. Da half ein Pakt zwischen Presse und einem Gericht, das sich bis heute näher an den Bürgerinnen und Bürgern glaubt als jeder Abgeordnete im Parlament. Vermutlich löste er seinerzeit ein klandestines System ab, bei dem Richter jenen Journalisten etwas steckten, denen sie sich politisch nahe fühlten. Genau weiß das niemand mehr, Dokumente sind spärlich, zudem: Man sprach ja nicht darüber. Der Zirkel Eingeweihter blieb klein.

Heute rechtfertigt das Gericht sein Verhalten damit, die Qualität der Berichterstattung angesichts seiner hochkomplexen Urteile sicherstellen zu wollen. Das ist fürsorglich, aber was ist mit der Gasumlage und dem Infektionsschutzgesetz? Den Finanzmärkten, dem Steuersystem? Hochkomplex ist vieles, und alle mühen sich redlich, etwas davon verständlich zu machen. Den Service des Bundesverfassungsgerichts gibt es trotzdem nirgendwo, an keinem deutschen Gericht und, soweit bekannt, auch an keinem Verfassungsgericht im Ausland.

Das hat einen Grund. Ein rechtsstaatliches Urteil wird nicht zuerst fürs Publikum gesprochen, sondern für die Prozessbeteiligten, die es betrifft. Sie sind es dann, die gegenüber der interessierten Öffentlichkeit mit dem gefällten Verdikt noch bestehen müssen, wenn sich das Gericht längst zurückgezogen hat. Von daher wäre es rational, es, wenn überhaupt, andersherum zu machen – und die Beteiligten bevorzugt zu unterrichten.

Die Schlesinger-Affäre könnte ein Denkanstoß sein

Fehlt es noch an Denkanstößen, könnte die Schlesinger-Affäre einer sein: Einen maßgeblichen Anteil der Karlsruher JPK-Journalisten stellen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, deren nahezu schrankenlose Finanzierungsgarantie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ihre granitharte Grundlage hat. So gestaltet das Gericht die Zukunft der Sender, während deren Journalisten mit überlegenem Wissen das Gericht inszenieren – und angeblich gespannt Urteile erwarten, die sie schon gelesen haben.

Zuschauende, die wissen, wie es hinter der Kulisse aussieht, lässt das badische Staatstheater ratlos zurück. Die Kritik daran hat die AfD übernommen, die beklagt, dass ihre Politiker auf dieser Bühne in unfairer Weise vorgeführt werden. Egal, wie das Stück irgendwann endet, zu applaudieren gibt es hier nichts.

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