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Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern: Wackelt zukünftig das Parteiensystem?

Bei den Jungen erhielten NPD und Piraten nahezu gleich viele Stimmen wie Grüne, Linke und CDU. Was bedeutet das für die etablierten Parteien?

Die Statistik liest sich auf den ersten Blick alarmierend: Laut einer Erstwählerbefragung von infratest-dimap war die NPD in dieser Gruppe bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern zweitstärkste Kraft: 15 Prozent der Wahlneulinge wählten die Rechtsradikalen, nur die SPD hatte mit 23 Prozent stärkeren Zuspruch. Ebenfalls auffällig: Fünf Parteien lagen nahezu gleichauf, die CDU erreichte mit 14 Prozent knapp weniger als die NPD, Grüne, Linke und Piratenpartei lagen bei jeweils 13 Prozent. Abgeschlagen auch bei den Erstwählern: die FDP mit vier Prozent. Etwas weniger spektakulär – gerade in Bezug auf die Außenseiter von der Piratenpartei – lesen sich die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen: Auf Tagesspiegel-Nachfrage nannte das Institut bei der hier erhobenen Gruppe der Unter-30-Jährigen ein Ergebnis von neun Prozent für die Partei, die erstmals bei einer Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern antrat. Die NPD erreichte in der Messung der Forschungsgruppe 13 Prozent.

Was bedeutet das für die etablierten Parteien?

„Das sind keine Anfänge einer Neustrukturierung der Parteienlandschaft“, sagt Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. Vielmehr hätten spezifische Faktoren in Mecklenburg-Vorpommern die guten Ergebnisse kleiner Parteien mit einer stark politisierten, vornehmlich jungen und männlichen Klientel begünstigt. Dazu gehöre vor allem ein niedriger Grad an Zuspitzung und Polarisierung im Wahlkampf. Eine große Koalition mit hohen Zufriedenheitswerten habe zu einer geringen Wahlbeteiligung geführt, „da werden kleine Gruppen in der Relation stärker“.

Richard Hilmer von infratest-dimap sieht die Bestätigung eines anhaltenden bundesweiten Trends: „Das ist durchaus in den letzten Jahren schon so gewesen, dass bei den Jungwählern zwischen stärkster und schwächster Kraft nur zehn Prozent liegen.“ So hätten auch in Mecklenburg-Vorpommern die großen Volksparteien SPD und CDU zwar bei den über 60-Jährigen 70 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können, bei den Jungen seien es indes nicht einmal 40 gewesen. Dies habe sich im Gesamtergebnis nur deshalb vergleichsweise wenig niedergeschlagen, weil demografische Entwicklung und Wahlbeteiligung die Gruppe der Jungwähler stark marginalisieren. Bei den gestrigen Wahlen sei nur etwa ein Viertel der bei knapp 671 000 gültigen Stimmen ohnehin denkbar wenigen Wähler unter 45 Jahre alt gewesen.

Ist in Berlin Ähnliches zu erwarten?

Jung, männlich, technikaffin, Stadtbewohner – dieses inzwischen festgefügte Bild der Wähler der Piratenpartei hat sich auch in Mecklenburg-Vorpommern bestätigt. Während die NPD vor allem in Ost-Vorpommern starke Ergebnisse einfuhr (siehe Kasten), lag die Piratenpartei laut Richard Hilmer meist in den größeren Städten wie Rostock und Schwerin über ihrem landesweiten Durchschnitt. Im Schnitt habe die Partei in der Fläche Ergebnisse von etwa einem Prozent eingefahren, in Gemeinden mit über 20 000 Einwohnern dagegen 3,5 Prozent. Für Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen ist das Gesamtergebnis der Piratenpartei von 1,9 Prozent dann auch „für ein Land ohne moderne Struktur sehr ordentlich“. Richard Hilmer nennt das Resultat daher einen „wichtigen Fingerzeig“ für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Dort liegt sie in den jüngsten Umfragen derzeit bei 4,5 Prozent, also nur knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde. Die NPD allerdings hat, anders als im dünnbesiedelten Mecklenburg-Vorpommern, in der Hauptstadt kaum Chancen. Sie kommt in den Umfragen derzeit auf drei Prozent.

Was macht eigentlich die FDP?

Die FDP steht mit vier Prozent sowohl bei der Erstwählerbefragung von infratest-dimap als auch bei der Jungwählerbefragung der Forschungsgruppe Wahlen in der jungen Altersgruppe sogar noch vergleichsweise gut da. Jedoch habe die Partei im Gegensatz zur Bundestagswahl 2009 in Mecklenburg-Vorpommern „in allen Alters- und Bevölkerungsgruppen“ drastisch verloren, so Richard Hilmer von infratest-dimap. Außer bei den Selbständigen. „Aber die gibt es im Nordosten ohnehin nicht sehr häufig.“

Geht nun die Angst um?

Die Vertreter der etablierten Parteien reagieren gelassen – speziell auf das wiederum erstklassige Jungwählerergebnis der Piratenpartei. „Das Ergebnis der Piratenpartei im Vergleich zur CDU schockt mich nicht“, sagt etwa Alexander Humbert, Geschäftsführer der „Jungen Union“. Die Partei habe den Vorteil, im Wahlkampf mit zwei bis drei Aussagen punkten zu können, „die bei jungen Leuten ziehen“. Sie werde sich aber nicht auf Dauer halten. Kritischer sieht Humbert den Erfolg der NPD, die in Mecklenburg-Vorpommern konstant mit dem „Kümmerfaktor“ punkten würde. „Die bieten Sprechstunden an, in denen sie erzählen, wie man Hartz IV beantragt.“ Darin zu konkurrieren, schließt Humbert indes aus: „Die CDU würde sich nie nur auf den Ratgeber-Service reduzieren.“

Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin kritisiert den Wahlkampf der etablierten Parteien: Zwar hätten Parteien und gesellschaftliche Initiativen erfolgreiche Kampagnen gegen die NPD gemacht. „Aber sie hätten sich stärker auf jene ländlichen Regionen konzentrieren müssen, in denen die NPD bekanntermaßen stark ist.“ Doch auch er sieht das Parteiensystem nicht in der Krise. „Für Erstwähler gelten eben andere Gesetze“, sagt er. Das sei aber nichts Neues. Er erinnert daran, dass die Grünen traditionell junge Wählerschichten ansprechen und dass auch NPD und Piratenpartei schon seit längerem vor allem für junge Männer attraktiv seien. Während diese Bindung jedoch bei den Grünen in aller Regel erhalten bleibe, gehe sie zumindest bei den Rechtsextremen mit zunehmendem Alter verloren. mit elsi/sc

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