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Gekommen, um zu bleiben? US-Präsident Trump im Weißen Haus (Szenenfoto von einer Pressekonferenz am 10. August)

© Andrew Harnik/AP/dpa

Wahlvorgang infrage gestellt: Die US-Wahl könnte für die ganze Welt gefährlich werden

Geht das Rennen zwischen Donald Trump und Herausforderer Joe Biden knapp aus, ist die Demokratie in Gefahr. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Sigmar Gabriel

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Sigmar Gabriel, früher Außenminister und SPD-Vorsitzender. Heute ist er Vorsitzender der „Atlantikbrücke“, Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und Autor der Holtzbrinck-Gruppe, zu der auch der Tagesspiegel gehört. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Volker Perthes, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert. 

In 80 Tagen um die Welt“ – diesmal allerdings nicht als Abenteuerroman von Jules Verne, sondern als Reise zu einem Ereignis, dass für die Welt zum Albtraum werden kann: In gut 80 Tagen wählen die US-Bürger einen neuen Präsidenten. Präsidentschaftswahlen in der nach wie vor bedeutendsten Supermacht, die wirtschaftlich und militärisch stärker ist als die Konkurrenten Russland und China zusammen, haben immer weltpolitische Bedeutung. Ein Abenteuer, das gefährlich für den ganzen Globus werden kann, waren sie bislang aber noch nie.

Das ist diesmal anders. Dabei geht es in erster Linie nicht einmal um die mögliche Wiederwahl von Donald Trump, die den 3. November zu einem historischen Tag werden lässt. Es geht vielmehr um den Wahlvorgang an sich: Immer mehr verstärkt sich der Eindruck, dass der zu befürchtende knappe Wahlausgang die Vereinigten Staaten in eine tiefe Verfassungskrise stürzen und eine Welle der Gewalt auslösen könnte – egal, ob der demokratische Herausforderer Joe Biden knapp vor dem Amtsinhaber Donald Trump liegt oder umgekehrt.

Die Demokraten würden einen Wahlausgang, bei dem Trump erneut keine Mehrheit der Stimmen erhält, sondern „nur“ die Mehrheit der Wahlmänner und -frauen, wohl nicht noch einmal so widerstandslos akzeptieren wie das in der Vergangenheit bei Hillary Clinton oder Al Gore der Fall war. Noch dramatischer dürfte es im umgekehrten Fall werden, wenn Biden eine knappe Mehrheit erringen sollte. Für diesen Fall scheint sich Trump gerade strategisch zu wappnen.

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Sein Vorschlag, die Präsidentschaftswahlen wegen der Corona-Pandemie zu verschieben, hat letztlich nur einen Zweck: die präventive Delegitimierung des Wahlergebnisses vom 3. November, sollte Biden obsiegen. Und selbst wenn erneut das Verfassungsgericht über den Wahlausgang entscheiden müsste oder der staatstragende Biden die Wahl Trumps öffentlich akzeptierte, würde es vermutlich eine massive Welle von Protesten geben. Wie Trump darauf reagiert, hat er gerade auf martialische Weise in Portland gezeigt.

Natürlich weiß Trump: Für eine Verschiebung der Wahlen würde er im demokratisch dominierten Kongress nie eine Mehrheit bekommen. Wenn er trotzdem immer wieder darauf hinweist, wegen der Pandemie und Black-Lives-Matter-Unruhen in einigen US-Städten könnten Wahlen am 3. November „nicht ordnungsgemäß und sicher“ verlaufen, legt Trump bei seinen Anhängern den Grundstein dafür, ihn im Kampf um das Weiße Haus auch nach einer knappen Wahlniederlage zu unterstützen – koste es, was es wolle.

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Unruhen wie in Portland kommen ihm sogar strategisch entgegen. Trump schickte schwer bewaffnete Bundestruppen in die Innenstadt, um eine vergleichsweise kleine Gruppe überwiegend friedlicher Demonstranten zu stoppen. Das vorhersehbare und von ihm wohl auch beabsichtigte Ergebnis war eine Ausweitung der Proteste und die Eskalation von Gewalt.

Trumps Botschaft an die weiße Mittelschicht in den Vororten großer Städte ist klar: Nur er ist in der Lage, die linke Protestwelle, die ganzen Anarchisten und Antifaschisten zu stoppen.

Ein weiteres Element seiner präventiven Delegitimierung des Wahlergebnisses vom 3. November ist Trumps wiederholter Hinweis auf die mangelnde Effektivität des amerikanischen Postdienstes, weil die Briefwahl wegen Corona erstmals bei US-Präsidentschaftswahlen eine sehr große Rolle spielen wird. Hinzu kommt die aufgepeitschte Debatte um eine mögliche Beeinflussung der Wahlen durch chinesische Tech-Giganten oder russische Cyber-Trolle.

Tief gespalten und im Zweifel gewaltbereit

Die Bilder von schwer bewaffneten Gruppen am Rande von Wahl- oder Protestveranstaltungen beleuchten schlaglichtartig die tiefe Kluft im einstigen Land „of the free“. Trump-Unterstützer und Biden-Anhänger stehen sich wie unversöhnliche Antagonisten gegenüber. Wer aber  Präsidentschaftswahlen nicht mehr als demokratischen Wettbewerb von Mehrheit und Minderheit ansieht, sondern einen der beiden möglichen Wahlausgänge als reale Gefahr für das eigene Leben interpretiert, ist im Zweifel auch bereit, diese Gefahr mit Gewalt zu bekämpfen.

Fordern Trump heraus: Joe Biden und seine Vize-Kandidatin Kamala Harris
Fordern Trump heraus: Joe Biden und seine Vize-Kandidatin Kamala Harris

© AFP/OSH EDELSON and Olivier DOULIERY

Die innenpolitisch gespaltenen Vereinigten Staaten von Amerika sind auf dem besten Weg, sich über Jahre hinweg nur noch mit sich selbst zu beschäftigen. In einer solchen Situation droht Außenpolitik zum bloßen Reflex innenpolitischer Auseinandersetzungen zu degenerieren – dieser Primat der US-Innenpolitik ist das derzeit größte Sicherheitsrisiko für die ganze Welt.

In einer Zeit, in der die globalen Risiken und Konflikte zunehmen –  von der Corona-Pandemie über die Klimaerwärmung und der gefährdeten Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen bis zur schwierigen Eindämmung von Bürgerkriegen und der heiklen Stabilisierung von "failed states" wie dem Libanon – wäre ein außenpolitischer Totalausfall der USA wahrscheinlich verheerend.

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Zu groß ist die wirtschaftliche, politische und militärische Bedeutung des Landes, als dass es eine geopolitische Auszeit nehmen könnte – oder sich zum unkalkulierbaren Akteur in Konflikten entwickelt, um im eigenen Land innenpolitische Zustimmung für das eine oder das andere Lager zu erzielen.  

Man kann deshalb aus globaler Perspektive nur hoffen, dass die Wahlen ein klares Bild ergeben, bei der Mehrheit der Stimmen ebenso wie bei den Voten der Wahlmänner und -frauen. Aber das kann dauern. Denn auch wenn die Präsidentschaftswahlen für den 3. November angesetzt sind, so beginnt die Briefwahl schon am 4. September.

Wird Trump die Auszählung demütig abwarten?

Gültig ist jede Stimme, die spätestens den Poststempel 3. Oktober aufweist. Die Auszählung der Briefwahlstimmen wird womöglich erst eine Woche nach dem 3. November beendet sein. In der US-Geschichte gab es bereits Präsidentschaftskandidaten, die vor Auszählung der Briefwahl dachten, sie hätten gewonnen – und danach ihre Niederlage eingestehen mussten.

Wird Donald Trump also notfalls eine Woche demütig im Oval Office auf das Ergebnis der Briefwahl warten? Das erscheint schwer vorstellbar. Seine unklaren Antworten auf die Frage, ob er im Falle einer knappen Wahlniederlage das Weiße Haus verlassen werde, verdeutlichen: Der Amtsinhaber scheut im Zweifel keinen noch so tiefen Verfassungskonflikt.

Freie, allgemeine und faire Wahlen aber sind der Herzmuskel jeder Demokratie. Wenn die bisherige Führungsmacht der westlichen Demokratien sich selbst einen Herzinfarkt zufügt, dürfte das auf der ganzen Welt jene autoritären Kräfte stärken, die auf den Niedergang der „westlich-dekadenten“ Demokratie setzen. Die Folgen wären fürchterlich.

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