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Innensenator von Berlin, Andreas Geisel (SPD).

© imago/Christian Ditsch

Der Politikerberuf: Was Andreas Geisel und Boris Palmer gemeinsam haben

Ach, diese Büroberufe. Dieses Rumgesitze und Gerede, eine Besprechung nach der anderen, der nächste Termin, wieder Sitzen im Sitzungssaal, reden, zuhören, bedeutsam gucken.Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Werner van Bebber

Ach, diese Büroberufe. Dieses Rumgesitze und Gerede, eine Besprechung nach der anderen, ab ins Dienstauto, der nächste Termin, Telefonate bis zum Tinnitus, wieder Sitzen im Sitzungssaal, reden, zuhören, bedeutsam gucken. Der Politikerberuf, zumal in der Exekutive, hat dabei noch mal ein ganz eigenes Problemprofil. Es entsteht erstens zwischen der großen Bedeutung, Stichwort: Macht, und zweitens der Abstraktheit der eigenen Wirkung, Stichwort: Abgehobenheit. Ständig unterschreibt man etwas und hofft, dass Tatsachen und Handlungen daraus entstehen. Klar, dass einen Mann in der Blüte seiner Jahre gelegentlich der Drang überkommt, ganz konkret Tatsachen zu schaffen, statt deren Schaffung anzuordnen, die Ordnung durchzusetzen, statt deren Durchsetzung nur zu versprechen.

So wurde der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) zum exekutiven Ordnungshüter. Im lautstarken Streit mit einem Studenten während einer Novembernacht verlangte Palmer, als OB sozusagen der örtliche Polizeichef, dessen Papiere zu sehen. Als der Mann und seine Begleiterin sich weigerten, behandelte Palmer sie mit seiner Handykamera gleich selbst erkennungsdienstlich.

Ein ähnlicher Impuls wird vor Kurzem den Berliner Innensenator Andreas Geisel dazu getrieben haben, kraft seines Amtes eine polizeiliche Maßnahme anzuordnen. Eine alte Dame aus der Nachbarschaft war Opfer eines Trickbetrügers geworden. Der hatte sich als Polizist ausgegeben, die 90-Jährige vor einem bevorstehenden Einbruch gewarnt und dazu überredet, 94000 Euro und eine teure Brosche aus dem Tresor zu holen und dem Pseudopolizisten zu übergeben. Der würde Geld und Schmuckstück sicherstellen und einem Neffen der Frau bringen.

Wenig später erkannten die Frau und ihr Neffe den Betrug. Eine Streifenwagenbesatzung rückte an, hatte aber nicht die Zeit, genau nach Täterspuren zu suchen: Personalmangel. Der Neffe wandte sich an den Innensenator. Und der, ganz hilfsbereiter Nachbar, bewegte durch einen freundlichen Anruf an der richtigen Stelle ein Ermittlerteam zu der Geschädigten, das nun doch mit den Mitteln der Kriminaltechnik nach Spuren suchte. "Tatort Karlshorst" mit Andreas Geisel in der Hauptrolle, könnte man ulken, hätte man nicht Mitgefühl mit der alten Frau, die da in Schrecken versetzt worden ist. Genau genommen hat der Innensenator auf – wie man hört, freundlich-nachdrückliche Weise – bloß seine Amtsautorität spielen lassen. Niemand wirft ihm übergriffiges oder anmaßendes Verhalten vor. Er ist zuständig für die Polizei und hat also das Recht, deren Arbeit zu beeinflussen. Den politischen Gepflogenheiten nach läuft das normalerweise hierarchisch fein geordnet ab, über ein Gespräch mit dem Staatssekretär oder vielleicht auch direkt mit der Polizeipräsidentin, die dann wiederum … aber da sind wir wieder beim Problemprofil des Politikerberufs, bei der Ermüdung, die sich einstellt – und manchmal will man eben direkt Wirkung erzeugen.

Muss ein Senator nicht manchmal so handeln? Als der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, den Tiergarten wegen der sich ausdehnenden Obdachlosenbesiedlung zum Problemgebiet erklärte, schickte Geisel unterstützend eine Hundertschaft. Als Geisels Vorgänger Frank Henkel die Autonomenburg in der Rigaer Straße zur Gefahrenquelle erklärte, schoben Polizeikräfte dort Dauereinsätze. Oder der Görlitzer Park: Henkel wollte (aus guten Gründen) den florierenden Drogenmarkt mitsamt begleitender Gewaltkriminalität einhegen – so geschah es, mit hohem polizeilichen Personalaufwand über viele Wochen. Politiker als Ordnungshüter!

"Der tut was", werden sie in Lichtenberg sagen, wenn sich Andreas Geisel dort wieder zur Wahl stellt. Und im Abgeordnetenhaus scherzt man schon, dass nun auch ältere Bürger aus anderen Wahlkreisen ihre Abgeordneten nach Geisels Telefonnummer fragten. Der Innensenator wird sich Superkräfte antrainieren müssen, um die zahllosen Sicherheits- und Ordnungsdefizite in seiner Stadt in der Manier von Dirty Harry anzugehen.

Besser, wenn er es nicht übertreibt. Das fein austarierte System der Macht- und Aufgabenverteilung mit seinen Sicherheitsabständen zwischen der Politik und den Behörden verträgt direkte Kommandos von ganz oben an die Basis nur in vorsichtiger Dosierung. Sonst geht – frei nach dem Vorbild von Andreas Geisel – die Verkehrssenatorin noch hin und malt grüne Radwege auf Berliner Hauptstraßen, und die Schulsenatorin vermittelt Zehntklässlern in Neukölln Grundzüge deutscher Grammatik.

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