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Misstrauische Blicke gibt es in der Ukraine nicht nur an der Front. Sowohl im Westen als auch in Russland wird kontrovers diskutiert - das stellt auch Diplomaten vor neue Herausforderungen.

© Reuters

Propagandaschlacht um die Ukraine: Was deutsche Diplomaten sagen sollen

Der Informationskrieg um die Ukraine stellt auch deutsche Diplomaten öfters vor schwierige argumentative Aufgaben. Helfen soll nun ein Papier aus dem Auswärtigen Amt.

Der Konflikt um die Ukraine ist auch ein Informationskrieg. Die Bundesregierung versucht ebenso wie Wladimir Putin ihre Darstellung, worum es in der Ukraine im Kern gehe, in der internationalen Öffentlichkeit durchzusetzen und argumentativ zu untermauern. Unter dem Titel „Realitätscheck: Russische Behauptungen – unsere Antworten“ verschickt das Auswärtige Amt nun eine Argumentationshilfe an deutsche Diplomaten im Ausland, die an ihren Dienstorten zumeist wenig mit dieser Auseinandersetzung zu tun haben.
Das Papier listet in 18 Punkten auf, was sie antworten können, wenn sie auf russische Propaganda angesprochen werden. Die Behauptung, in Kiew seien Faschisten an der Macht, wird zum Beispiel mit dem Hinweis gekontert, dass rechtsextreme Parteien weder an der Übergangsregierung nach den Majdan-Protesten beteiligt waren noch heute im Kabinett vertreten sind. Nicht nur der rechtsextreme „Rechte Sektor“, sondern auch die rechtsnationale „Swoboda“ verpassten bei der Parlamentswahl im Oktober 2014 den Einzug in die Volksvertretung. Bei der Präsidentenwahl im Mai 2014 hatten ihre Kandidaten jeweils nur rund ein Prozent der Stimmen erhalten.
Den russischen Vorwurf einer Diskriminierung der ethnischen Russen in der Ostukraine haben angesehene Institutionen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und die OSZE untersucht. Sie fanden keine Belege für die behauptete systematische Verletzung von Rechten. Umfragen ergaben, dass die Mehrheit der betroffenen ethnischen Russen die angebliche Bedrohung ihrer Identität weder fühlt noch beklagt.
Punkt für Punkt werden die gängigen russischen Vorwürfe – die Nato habe mit Aufnahme neuer Mitglieder in Mitteleuropa ein Versprechen gebrochen, der Westen kreise Russland ein, die Annexion der Krim sei durch das Selbstbestimmungsrecht gedeckt – widerlegt.

Russland und der Westen werden sich momentan in gar nichts einig

Wie notwendig und wie hilfreich die offene Auseinandersetzung mit russischer Desinformation ist, zeigte eine zahlreich besuchte Debatte der Atlantischen Gesellschaft über den Ukrainekrieg im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung am Donnerstagabend. Der russische Gast, Moskaus Nato-Botschafter Alexander Grushko, wollte sich auf die Frage nach Einhaltung oder Bruch der europäischen Friedensordnung nicht einlassen. Klaus Scharioth, Ex-Staatssekretär im Auswärtigen Amt, verwies auf sechs Kerndokumente dieser europäischen Friedensordnung, die alle mit Moskaus Zustimmung und teils auf sein Drängen beschlossen worden waren: Die KSZE- Akte von 1975, die die Androhung von Gewalt verbietet, nur einvernehmliche Grenzänderungen zwischen den beteiligten Staaten erlaubt und jedem Land das Recht auf freie Bündniswahl zugesteht. Der „2 plus 4“-Vertrag, der diese Prinzipien 1990 anwandte. Die Charta von Paris 1990, die den Kalten Krieg beendete und die KSZE-Prinzipien bekräftigte. Die Abrüstungsverträge, die Rüstungsobergrenzen festlegen, um Angriffskriege zu verhindern.

Der Vertrag von Budapest von 1994, in dem Großbritannien, Russland und die USA die Grenzen der Ukraine, Weißrusslands und Kasachstans garantieren als Gegenleistung für deren Abgabe ihrer Atomwaffen. Die Nato-Russland-Grundakte von 1997, in der beide Seiten erklären, dass sie sich nicht als Gegner betrachten, sich zu einem Europa ohne Trennlinien und Einflusssphären verpflichten und militärische Zurückhaltung zusagen.
Grushko beantwortete die Frage, ob Russland diese Verträge noch als bindend betrachte, mit einem klaren Ja. Allen Nachfragen, wie das Verhalten Russlands auf der Krim und in der Ostukraine dazu passe, wich er jedoch aus. Er versuchte die Debatte zu den bekannten russischen Vorwürfen zu verlagern: Der Westen breche seine Versprechen, agiere nicht wie ein Partner, halte sich selbst nicht an die UN-Charta.

Moskaus Verhältnis zur Nato sei „von Mythen und Legenden geprägt“

Russland und seine westlichen Partner, das wurde deutlich, können sich nicht einmal einigen, welche Themen sie diskutieren müssten, um zu einer Annäherung zu kommen. Russlands Verhältnis zur Nato sei „von Mythen und Legenden geprägt“, aber persönlich verstehe man sich, bemühte sich Grushkos Kollege in Brüssel, der deutsche Nato- Botschafter Martin Erdmann, um Entschärfung. Ex-Kanzlerberater Horst Teltschik forderte, man müsse Putin „Kompensation“ anbieten. Den Nato-Beitritt der Baltischen Staaten habe er akzeptieren können, weil er den Nato-Russland-Rat bekam. Ähnlich müsse man bei der Anbindung der Ukraine an die EU agieren. Solche Vorschläge findet der Osteuropahistoriker Karl Schlögel empörend. Nicht der Westen, sondern Putin habe die Partnerschaft aufgekündigt. „Wir müssen den Informationskrieg führen, den bisher Putin gewinnt“, verlangte er unter intensivem Beifall des Publikums. Man müsse die Fakten schonungslos benennen. Er weigere sich, passiv dabei zu sitzen, wenn Grushko behaupte, es gebe keine Beweise für russische Waffen und das Eingreifen russischer Truppen in der Ostukraine. Jeder wisse, dass Putin diesen Krieg führe. Und er werde wohl erst enden, wenn Russland die Kraft finde, eine Führung abzuwerfen, die das Land erkennbar nicht in die Zukunft führt.

Das vollständige Dokument des Auswärtigen Amtes finden Sie hier.

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