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Koalition

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Koalitionsverhandlungen: Wer mit wem, was bis wann

Union und FDP sind auf dem Weg an die Macht. Die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen beginnen ohne große Worte – ab Donnerstag geht es zur Sache.

Von Robert Birnbaum

Berlin -  Es gibt auch im Leben des gestandenen Politikers nicht allzu viele Gelegenheiten, Worte für das Zeitgeschichtsbuch zu hinterlassen. Aber wenn er sich das nicht mal vornimmt? „Wir wollen auf Wachstum setzen, auf Arbeitsplätze setzen, auf den Wohlstand unseres Landes“, sagt Angela Merkel. „Jede neue Regierung ist ein neuer Anfang“, sagt Guido Westerwelle. Er habe jetzt schon 17 Jahre gemeinsamer Regierung mit der FDP erlebt, davon 16 in Bonn, sagt Horst Seehofer. Dann versichern sich alle drei gegenseitig, dass sie die nächsten Wochen fair und konstruktiv verhandeln wollen. „Gemeinsam für dieses Land“, sagt Merkel. „In Verantwortung für unser Land“, sagt Westerwelle. „Für Deutschland“, sagt Seehofer.

Vor der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin drängelt sich am Montagnachmittag die Presse. Jeder versucht einen Blick zu erhaschen und ein paar Worte vom Auftakt der schwarz-gelben Koalitionsgespräche. So groß ist das Gedränge, dass einem Fotoreporter spontan die Geschichte von dem Kollegen einfällt, der einst im Gerangel um eine gute Position einem anderen ins Ohr biss. Die anderen rücken ganz leicht von dem Erzähler. Hinter der Meute, auf dem gegenüberliegenden Bordstein, hat sich ein Häuflein junger Menschen aufgebaut, die gegen Atomkraft sind und gegen Überwachung. Eine Frau trägt einen grünlichgelben Gummikraken mit sich, eine andere hält ein Schild hoch: „Schnarri, halt durch!“ Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat also beste Chancen, zum „Piraten“-Idol zu werden. Der einstige SPD-Abgeordnete Jörg Tauss ist auch da und erzählt jedem, der ihm nicht aus dem Weg geht, von der Freiheit im Internet.

In dem Zweckbau an der Hiroshima- Straße also soll die neue Koalition entstehen. „Keine Koalition der Zumutungen“, wie der Hausherr Jürgen Rüttgers festgehalten wissen will. Die Landesvertretung ist eigentlich für solche Gespräche ungeeignet, weil sie überwiegend aus Fensterfronten besteht, sogar innendrin. Jetzt stehen aber im Foyer hohe Stellwände, die verhindern den Durchblick.

Größere inhaltliche Debatten gibt es zum Auftakt nicht. Es geht ums Beschnuppern in der jeweils neuen Rolle. Die Generalsekretäre vermelden nach gut drei Stunden Technisches: Die zehn Arbeitsgruppen stehen fest und können ab jetzt in Eigenregie loslegen, der vorläufige Zeitplan steht auch. Die 27 Spitzenkoalitionäre sehen sich am Donnerstag wieder, am 14. Oktober erneut und vom 16. bis 18. Oktober ein Marathon-Wochenende. Danach wird man sehen.

Diese Termine hat CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt übrigens schon vor dem Treffen verraten. Mit etwas Bösartigkeit ließe sich daraus der erste Streit in der Noch-Nicht-Koalition destillieren. Bei der FDP fanden sie es nämlich nicht komisch, dass die anderen ihnen den Zeitplan ungefragt vor die Nase setzen. Die drei Generale versichern infolgedessen am Abend nicht nur, dass das Klima prima sei, sondern auch praktisch wortgleich, man wolle zügig, aber gründlich verhandeln. Soll ja nicht der Eindruck entstehen, Zugeständnisse seien unter Zeitdruck gemacht worden!

Aber ohne Zugeständnisse geht es natürlich nicht. So vergleichsweise nahe sich die Partner im Prinzip stehen, so weit auseinander in vielem Konkreten. Nimmt man die vielen öffentlichen Äußerungen beim Wort, dann will die Union im Grunde eher wenig verändern und die FDP im Grunde alles, woran aber nur zu sehen ist, dass man solche Äußerungen besser nicht wörtlich nimmt.

Eins immerhin zeigen sie: In der absehbaren Zukunft dürfte die politische Auseinandersetzung in Deutschland ganz wesentlich von den Differenzen zwischen den Koalitionären bestimmt sein. Die SPD ist vollauf damit beschäftigt, sich selbst zu sortieren, die übrige Opposition nicht groß genug. Und außer der Anti-Atom-Bewegung, die am Nachmittag mit ein paar hundert Leuten und einer Spontandemo den Feierabendverkehr lahmlegt, ist auch sonst wenig Widerstand in Sicht. Morgens waren beide als Gäste beim 60. Geburtstag des DGB. In der „Bild“ hat Gewerkschaftschef Michael Sommer am gleichen Tag mit „hunderttausenden Menschen“ gedroht, die die Gewerkschaften auf die Straße bringen könnten. Im Angesicht der Kanzlerin und des künftigen Vizekanzlers wird daraus bloß noch eine zahme Selbstverständlichkeit: „Wir wollen mit jeder demokratisch gewählten Regierung zusammenarbeiten, aber nicht jede Politik mittragen.“

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