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Die Wirtschaftsweisen: Martin Werding, Achim Truger, Ulrike Malmendier, Veronika Grimm und Monika Schnitzer (von links).

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Wirtschaftsweise fordern Reform: Schuldenbremse soll moderat gelockert werden

Das Beratergremium der Regierung schlägt drei Veränderungen vor. SPD-Chef Lars Klingbeil verweist auf großen Investitionsbedarf, die FDP reagiert skeptisch. Die Union nennt eine Vorbedingung

Die Wirtschaftsweisen, das Beratergremium der Bundesregierung, schlägt eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz vor. Die Regelung soll dadurch flexibler werden und mehr Kredite für Zukunftsinvestitionen ermöglichen, wie die Vorsitzende des Sachverständigenrats, Monika Schnitzer, am Dienstag sagte. Ziel der moderaten Vorschläge ist es demnach auch, die „Tragfähigkeit der Staatsfinanzen“ zu erhalten.

Die fünf Ökonomen hatten bisher sehr unterschiedliche Positionen zur Reform der Schuldenbremse vorgetragen. Während Schnitzer und der von den Gewerkschaften nominierte Berliner Wissenschaftler Achim Truger sich größere Veränderungen vorstellen können, treten die Erlanger Ökonomin Veronika Grimm und der von den Arbeitgebern vorgeschlagene Martin Werding allenfalls für sehr maßvolle Schritte ein.

Der nun von allen vertretene Vorschlag ist offenkundig als Kompromisslinie für eine Reformdebatte zu verstehen. SPD und Grüne plädieren seit längerem für eine grundlegende Reform, die mehr neue Schulden ermöglicht. Die FDP ist zurückhaltend, die Union sieht vorläufig keinen Änderungsbedarf.

Drei Vorschläge

Nach dem am Dienstag veröffentlichten Papier kann sich der Sachverständigenrat vorstellen, die Schuldenbremse an drei Stellen zu lockern. Zum einen sollte nach einer Notlage, welche eine höhere Kreditaufnahme ermöglicht, „eine Übergangsphase für die Jahre unmittelbar danach“ vorgesehen werden, in der eine höhere Verschuldung erlaubt bliebe, aber jährlich verringert werden müsste.

Das ist eine Reaktion auf das Karlsruhe Schuldenbremsen-Urteil vom November, in dem die Verfassungsrichter die Verschuldung nach Notlagen an enge Voraussetzungen banden.

Zweitens soll die regulär mögliche Neuverschuldung nach den Vorstellungen des Sachverständigenrats stärker vom Schuldenstand des Staates abhängig sein. Liege diese unter den 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, welche die EU-Schuldenregel als Zielvorgabe nennt, dann solle eine Regierung neue Kredite im Umfang von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen dürfen. Liegt sie darüber, wären es 0,5 Prozent. Bei mehr als 90 Prozent sollten nur noch 0,35 Prozent erlaubt sein.

Schuldenquote als Maßstab

Finanzminister Christian Lindner (FDP) erwartet für dieses eine gesamtstaatliche Schuldenquote von etwa 64 Prozent. Nach der Finanzkrise in den Nullerjahren war sie zwischenzeitlich bis nahe an 90 Prozent gestiegen, in der Pandemie auf knapp 80 Prozent.

Der dritte Vorschlag lautet, die konjunkturabhängige Komponente in der Schuldenregel so zu ändern, dass in wirtschaftlich schwächeren Zeiten eine etwas höhere Kreditaufnahme möglich wäre. Dafür hat sich Lindner schon offen gezeigt – mit der Bedingung, dass das in besseren Zeiten ausgeglichen würde.

In einer ersten Reaktion verwies SPD-Chef Lars Klingbeil auf einen enormen Investitionsbedarf in Deutschland. „Neben privaten Investitionen über einen Deutschlandfonds wollen wir mehr öffentliche Investitionen in das, was uns stark macht“, sagte er dem Tagesspiegel. „Von guter Bildung, einer klimafreundlichen Industrie, den Jobs der Zukunft oder einer leistungsfähigen und digitalen Infrastruktur profitieren zukünftige Generationen mehr, als von einer angezogenen Schuldenbremse.“

Union: Sparen vor Ändern

Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg äußerte sich skeptisch und nannte eine Vorbedingung für eventuelle Gespräche. Seine Fraktion habe beim Sondervermögen Bundeswehr gezeigt, dass sie „bei besonderen, überjährigen Herausforderungen für konstruktive Lösungen zur Verfügung steht“.

Dem Tagesspiegel sagte Middelberg: „Bevor aber jetzt Änderungen der Verfassung oder andere Sonderprojekte diskutiert werden, muss klar sein, dass diese Ampel-Regierung zunächst alles an Reformanstrengungen ins Werk setzt, die im regulären Haushalt möglich sind.“

Es gibt laut Middelberg erhebliche Einsparpotentiale bei Bürgergeld und Asyl. „Solange diese Positionen als heilige Kühe von SPD und Grünen für unantastbar erklärt werden, machen weitergehende Überlegungen keinen Sinn.“ Die Ampel müsse, wie im Koalitionsvertrag versprochen, alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen. Wenn die Sozialausgaben wirklich begrenzt würden, wäre viel Spielraum für Investitionen da.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte dem Tagesspiegel: „Das Bundesverfassungsgericht hat die Schuldenbremse gestärkt, daher kann die politische Antwort jetzt nicht lauten: Gut, dann weichen wir sie auf.“ Er halte es für falsch, die Schuldenbremse zu schleifen. Sie sei zu Recht in ihrer jetzigen Form im Grundgesetz festgeschrieben worden, um die finanziellen Lasten für künftige Generationen zu begrenzen.

„Dass man mit der Schuldenbremse auch viel investieren kann, zeigen wir im Übrigen mit diesem Bundeshaushalt, denn die Investitionsquote ist deutlich höher als zu Zeiten der Großen Koalition“, sagte Dürr.

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