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Der ehemalige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker Valery Gergiev bei der Arbeit. Wegen Putin-Nähe wurde sein Engagement beendet.

© Peter Kneffel/dpa

Feinde an der Heimatfront: Wo in den Fällen Gergiev und Schröder die Unterschiede liegen

Auch außerhalb der Ukraine schließen sich die Reihen. Umso wichtiger wird, welches Beispiel der Staat abgibt, wenn er auf Gegner trifft. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Zu den erwartbaren Folgen des unerwarteten Überfalls auf die Ukraine zählt, dass sich auch jenseits ihrer Grenzen die Reihen schließen. In einem Krieg, in den die Welt keine Truppen schickt und an dem sie gleichwohl teilnimmt, bilden sich überall Fronten. Bilden die sich gegen Russen, nur weil sie Russen sind, muss man dies bedauern und die Menschen schützen. Solche Reflexe können verhängnisvoll sein.

Umso wichtiger wird, welches Beispiel an der Heimatfront gegeben wird. In Deutschland geht es aktuell um Altkanzler Schröder. Er wird bedrängt, seine russischen Engagements zu beenden. Dass der starke Mann von einst nicht den Mumm hat, Putin zum Rückzug aufzufordern, ramponiert sein politisches Leben. Vermutlich geht es ihm tatsächlich ums Geld.

Münchens Oberbürgermeister stellte ein Ultimatum

In der Kulturszene sind es nun russische Künstler, die erklären sollen, wo sie hingehören. Der exemplarische Fall ist die Kündigung von Valery Gergiev, dem Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker. Wegen seiner Putin-Nähe, seinem putinhaften Gerede und seiner Bereitschaft, sich für dessen Zwecke verwenden zu lassen – wie bei einem Konzert im syrischen Palmyra – gilt er als suspekt.

Auf Schröder macht die SPD Druck, auf Gergiev die Staatsgewalt

Beide Male ist die Ablehnung verständlich, dennoch sind Unterschiede zu machen. Während auf Schröder eine kritische Öffentlichkeit und die SPD Druck ausüben, war es bei Gergiev unmittelbar der Staat. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter hatte den Maestro und mutmaßlich teuersten Angestellten der Stadt mittels Ultimatum aufgefordert, den Angriff zu verurteilen. Vorbild: Er, Reiter, der dies ebenfalls getan habe.

Ein Angeklagter hat das Recht zu schweigen

Allein der selbstgewisse Ton des Schreibens und dessen Ich-mir-wir-Rhetorik wecken Zweifel, dass Reiter als Vorbild taugt. Mit seinem amtlich verlautbarten Brief stellte er den Dirigenten unter öffentliche Anklage. In einer solchen Situation hätte eigentlich jeder das Recht zu schweigen, ohne dass dies zu seinem Nachteil ausgelegt werden dürfte; sogar zu einem Krieg. Gergiev hatte es nicht. Der habe sich mit seinem Stillhalten schuldig gesprochen, fand Reiter.

Es hätte diplomatischere Wege gegeben

Ähnlich fragwürdig wie die politischen Positionen Gergievs ist die Methode, sie ihm öffentlich und unter Rückgriff auf staatliche Machtmittel abzupressen. Wo soll es hinführen, wenn ein hoher Amtsträger solche Wege weist? Es hätte diplomatischere Möglichkeiten gegeben; etwa, Gergievs Vertrag auszusetzen und diskret einen Ausstieg zu verhandeln. Oder sollte die Inszenierung vergessen machen, dass auch Reiter es war, der den Dirigenten trotz dessen netter Worte für die Krim-Annexion ins Orchester holte? Dann wäre das Geschehen ein ärgerlicher Beleg für einen Vorwurf, den Diktator Putin dem verhassten Westen häufiger macht: den der Heuchelei.

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