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Landeshauptstadt: Enttäuschung – auf beiden Seiten

Der Verein Löwenherz von Ermyas Mulugeta steckt in einer Krise – der Gründer weist die Kritik zurück

Ermyas Mulugeta. Ein Name, der für vieles steht. Nicht nur in Potsdam, aber besonders hier. Der Angriff vom Ostersonntag 2006 an der Tram-Haltestelle Charlottenhof machte den Deutsch-Äthiopier deutschlandweit bekannt als Opfer einer zunächst als rassistisch motiviert angesehenen Gewalttat, bei der er lebensgefährlich verletzt wurde. Viele Menschen waren schockiert, voller Mitgefühl, Spenden flossen. „Ermyas M.“ lag zweieinhalb Wochen im Koma, aber er überlebte. Die Tat vom Ostersonntag ist bis heute ungesühnt. Ob sie einen rassistischen Hintergrund hatte, ist nicht geklärt. Das Potsdamer Landgericht sprach die zwei Angeklagten Mitte Juni frei.

Darauf wartete Ermyas Mulugeta nicht, um zurückzukehren – als Handelnder, nicht als Opfer. Am Ostersonntag dieses Jahres präsentierte er seinen persönlichen Neuanfang: Mit dem von ihm im Oktober 2006 gegründeten Löwenherz e.V. feierte Mulugeta auf dem Luisenplatz ein Fest. Dabei stellten er und seine Mitstreiter ambitionierte Projekte vor – für Afrika und für die Integration von in Deutschland lebenden Migranten.

Doch was damals farbenfroh, lebensfroh erschien, wirkt nun wie ein Trauerspiel: Vier Gründungsmitglieder, darunter die ehemalige stellvertretende Vorsitzende Alexandra Klatt und Steffi Mulugeta, die von Ermyas Mulugeta getrennt lebende Ehefrau, sind Anfang Juni aus dem Löwenherz-Verein ausgetreten. Die Differenzen sind offenbar so groß gewesen, dass beide Frauen nun auf Nachfrage dieser Zeitung auch öffentlich Vorwürfe gegen Ermyas Mulugeta erheben. In einer Schärfe, die durchaus als überraschend bezeichnet werden darf. Es geht um Geld, um Versprechen, um Moral – und vielleicht auch um Freunde, die sich entfremdet haben, voneinander enttäuscht sind.

Knapp 50 000 Euro sollen dem Vernehmen nach von rund 2300 Menschen gespendet worden sein, während Ermyas Mulugeta im Koma lag. Aufgerufen dazu hatte der SPD-nahe Verein Brandenburg gegen Rechts e.V. – eingesetzt werden sollten die Spenden, so hieß es damals, für „Krankenhauskosten, Rehabilitation, Unterstützung der Familie, Rechtsbeistand“. Glaubt man Steffi Mulugeta, musste ihr Mann dafür kein Geld ausgeben. Die Krankenkasse sei für das Krankenhaus und die Reha aufgekommen, die Familie, sagt die Noch-Ehefrau, habe „nichts gesehen“ von dem Geld. So würden allein die Anwaltskosten bleiben – und damit wäre von den Spenden einiges übrig.

Gleichzeitig stellt sich damit aber die Frage, ob Ermyas Mulugeta Rechenschaft darüber ablegen muss, wie er die Spendengelder verwendet. Lars Krumrey, der Vorsitzende des Vereins Brandenburg gegen Rechts e.V. sagt, das Geld sei ohne Zweckbindung gespendet worden – „damit kann er machen, was er will“.

Das sehen Steffi Mulugeta und Alexandra Klatt anders. Ermyas Mulugeta habe auch den Verein Löwenherz e.V. nicht mit „einem Cent“ bedacht, obwohl er dies vorher angekündigt und die Spenden als Startkapital habe nutzen wollen. Ein Darlehen von 2500 Euro habe er zurück gefordert – für die beiden Frauen eine Enttäuschung. Dazu kommt für sie, dass Ermyas Mulugeta nach dem Gerichtsverfahren einen Antrag auf Prozesskostenübernahme gestellt habe. „Doch genau dafür haben die Menschen damals gespendet“, sagt Klatt. Sie habe Ermyas Mulugeta mit diesem in ihren Augen wiedersprüchlichen Handeln konfrontiert – doch er habe nur gesagt, „dass er dazu steht und niemand Rechenschaft schuldig ist“. Auch dies habe den Eklat ausgelöst: Klatt nahm die Internetseite des Löwenherz e.V. aus dem Netz und ist am 7. Mai von ihrem Posten zurückgetreten – gemeinsam mit Steffi Mulugeta. Auch zwei weitere Gründungsmitglieder haben dem Verein den Rücken gekehrt.

Eine Reaktion, eine Eskalation, der Ermyas Mulugeta mit Unverständnis begegnet. Das Geschehen, so scheint es, liegt nicht auf gleicher Ebene mit seinen Ambitionen, seinen Überzeugungen. Denen seine ehemaligen Mitstreiter offenbar nicht mehr gerecht geworden sind. Die „personelle Konstruktion“, sagt Ermyas Mulugeta, sei nicht in der Lage gewesen, „die Zielstellung des Vereins zu erfüllen“. Das nötige Engagement, die „richtige“ Einstellung, „das habe ich vermisst in den Monaten zuvor“. Seine Worte klingen absolut: Effizient, effektiv, kritisch, so müsse für den Verein gearbeitet werden. „Nur Euphorie hilft nicht, nur reden ist nicht die Aufgabe.“ Wer ein Problem mit ihm habe, solle selbst mit ihm sprechen, nicht den Verein dafür nutzen, sagte er. Wie hoch sein Anspruch ist, wird schnell überdeutlich: Der Löwenherz e.V., die Projekte, die Hilfe für Afrika, seien für ihn „nicht nur Lebensaufgabe, sondern auch eine Pflicht“, sagt der studierte Wasserbauingenieur. Er sei sehr dankbar für die Chance, in Deutschland seine Ausbildung absolvieren zu können – daran wolle er die Menschen in seinem Heimatland teilhaben lassen.

Schon vor dem Angriff am Ostersonntag 2006 war Ermyas Mulugeta engagiert, führte Gespräche, um einen Verein namens Buntstift e.V. zu gründen. Der Angriff kam dazwischen. Wer dem einen Sinn abringen möchte, folgt vielleicht nach solch einer Zäsur noch viel stärker den eigenen Überzeugungen. Erscheint Ermyas Mulugeta deshalb für seine früheren Vertrauten als einer, „der alles selber machen will“, wie Klatt beschreibt? Sie sagt, er habe einen Förderantrag nach dem anderen geschrieben, „im Alleingang“. Keiner im Verein habe so einen Überblick gehabt, wo Gelder beantragt wurden. In dem Sinne sei der Löwenherz e.V. kein Verein, sondern das private Projekt von Ermyas Mulugeta: „Er hat uns nicht in finanzielle Angelegenheiten eingeweiht, Fragen dazu endeten im Streit.“

Dass seine früheren Mitstreiter nun nach dem Verbleib des Geldes fragen, Vorwürfe erheben, scheint für Ermyas Mulugeta nicht nachvollziehbar. Das sei ein „Spielchen“, das er nicht mitmachen werde, die Vorwürfe seien „so lächerlich“. Das Geld sei ihm „liebevoll gespendet“ worden, was damit geschehe, sagt Ermyas Mulugeta, „entscheide ich“. Es sei nicht für den Verein gespendet worden, sondern für ihn – dies müsse unterschieden werden. Denn „das Schicksal sucht man sich nicht“. Er müsse das durchstehen, was ihm mit dem Angriff und seinen Folgen zugestoßen sei, „die Stärke hat man mir gegeben, da lasse ich mich nicht durch solche banalen Diskussionen von der Rolle bringen“, sagt er. Knapp die Hälfte der Spenden habe er aufwenden müssen, für seine Genesung und auch für Gerichtskosten. Es gehe ihm „sehr gut“, bekomme aber derzeit noch zwei Therapiebehandlungen, die er beispielsweise selbst bezahlen müsse.

Was den Verein Löwenherz angehe, habe er gehandelt, „nach Recht und Gesetz“. Mitte Juni sei ein neuer Vorstand gewählt worden, er selbst sei nun der Vorsitzende. Der Verein habe 14 Mitglieder und arbeite weiter. Die Ziele seien geblieben: „Gudalema“ heißt das Projekt, das bis zu 3500 Familien in sechs Dörfern in Äthiopien mit Wasser versorgen soll. Dafür werde er Anfang des nächsten Jahres in seine Heimat fliegen, er stehe mit der äthiopischen Botschaft in Kontakt, „um den Weg leichter zu gestalten“, sagt Ermyas Mulugeta. Auch dafür werde er sicher einen Teil des Spendengelds brauchen. Das Projekt „Gudalema“ selbst werde rund 250 000 Euro kosten. Außerdem will der Löwenherz e.V. Kinder einer Potsdamer und einer Schule in Äthiopien zusammenbringen – sie sollen Fotoausstellungen über ihren Alltag erarbeiten und sie an Partnerschulen präsentieren.

Für solche Vorhaben hat der Verein unter anderem von der Mittelbrandenburgischen Sparkasse (MBS) finanzielle Unterstützung bewilligt bekommen. Auch für ein Büro, das eingerichtet werden sollte. Für kurze Zeit sollen Räume in der Nansenstraße angemietet gewesen sein. „Wir prüfen immer nach, wie unsere Spenden verwendet werden“, sagt Daniela Rackwitz, Sprecherin der MBS. Doch die Gelder für den Löwenherz e.V. seien noch gar nicht abgerufen worden.

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