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Zeitzeugin Kerstin Meisner in der Gedenkstätte Lindenstraße.

© SEBASTIAN GABSCH

Politische Gefangene sichtbar machen: Potsdamer Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße stellt Forschungsergebnisse zur DDR-Zeit vor

Am Donnerstagabend ist das Forschungsprojekt in der Stiftung vorgestellt worden. Die „Landschaften der Verfolgung“ zeigen die Namen und Schicksale vieler Inhaftierter.

Ein Jahr lang – von April 1983 bis zum 29. April 1984 – war Kerstin Meißner in verschiedenen Stasigefängnissen, auch in Potsdam, inhaftiert, bevor sie freigekauft und in die Bundesrepublik entlassen wurde. Sie hatte gemeinsam mit zwei Freunden versucht, die Deutsche Demokratische Republik (DDR) illegal über die Tschechoslowakische Sozialistische Republik (ČSSR) zu verlassen und war dabei festgenommen worden.

Die heute 59-jährige gebürtige Babelsbergerin ist eine von 25 Zeitzeuginnen, die innerhalb eines aktuellen Forschungsprojekts zu Wort kommen. Es wurde am Donnerstagabend in der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße von Ann-Kathrin Reichardt, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt, vorgestellt.

Das umfangreiche Forschungsprojekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Über vier Jahre haben insgesamt 14 Forschungsverbünde an den sogenannten „Landschaften der Verfolgung“ gearbeitet. Die Potsdamer waren Teil eines solchen Verbundes.

„Es war uns wichtig, dass die Betroffenen nicht hinter den vielen Zahlen und Daten verschwinden“, erklärte Reichardt die kurzen Biogramme, also Aufzeichnungen von Lebensläufen, die Bestandteil der Forschungsergebnisse geworden sind.

Es war uns wichtig, dass die Betroffenen nicht hinter den vielen Zahlen und Daten verschwinden.

Ann-Kathrin Reichardt, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt.

Die Gefahr hätte bestehen können, denn die Forscher haben ein sehr großes Zahlenwerk erarbeitet. In der Datenbank sind alle 50.791 in der DDR aus politischen Gründen Inhaftierten erfasst. Wer waren sie? Warum wurden sie inhaftiert? Wo war das? Und für wie lange? Es wurde auch untersucht, ob es Zeiten gab, in denen besonders viele Menschen in Stasigefängnissen saßen. Viele Namen und Schicksale der Inhaftierten konnten durch das Forschungsprojekt ermittelt werden.

Die meisten Inhaftierten waren relativ jung und männlich

Für Potsdam haben die Forscher herausgefunden, dass in der Zeit von 1952 bis 1989 im Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit fast 6000 Menschen inhaftiert waren. Der Altersdurchschnitt lag zwischen 21 und 40 Jahren. Über 5000 der Inhaftierten waren Männer.

Typische Haftgründe waren hier, wie in der gesamten DDR, der ungesetzliche Grenzübertritt, die Fluchthilfe, der Verdacht auf Spionage und die Beeinträchtigung des staatlichen Handelns. Hinter Letzterem verbarg sich das Stellen von Ausreiseanträgen und das damit in Verbindung stehende regelmäßige Nachfragen bei den Behörden. Rund 1700 Menschen saßen zum Beispiel aufgrund gescheiterter Fluchtversuche oder Fluchthilfe in der Lindenstraße in Untersuchungshaft.

In der heutigen Gedenkstätte Lindenstraße befand sich zu DDR-Zeiten ein Stasi-Untersuchungsgefängnis.
In der heutigen Gedenkstätte Lindenstraße befand sich zu DDR-Zeiten ein Stasi-Untersuchungsgefängnis.

© SEBASTIAN GABSCH

Die Studie konnte auch belegen, dass sich die Zahl der Gefangenen in Potsdam über die Jahre unterschiedlich entwickelte. So gab es Anfang der Fünfzigerjahre und im Zusammenhang mit dem Volksaufstand 1953 mit 600 Untersuchungshäftlingen einen Höhepunkt.

Auch nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 gab es eine signifikante Zunahme. Dem folgte eine längere Phase mit wenigen Inhaftierungen, bis die Gefangenenzahlen, vor allem die der inhaftierten Ausreiseantragssteller, ab 1983 wieder stark anstiegen. Diese Entwicklung erreichte im Jahr 1989 ihren Höhepunkt. 270 Frauen und Männer kamen damals in der Lindenstraße in Untersuchungshaft.   

Ergebnisse des Projekts machen die Forschung zugänglich

Im Ergebnis des Forschungsprojektes ist unter anderem die Website haft-ddr.de entstanden. Sie macht es möglich, Vergleiche anzustellen. So kann man sehen, dass es in Potsdam trotz der Grenzlage nicht mehr Flüchtlinge gab als in anderen Bezirken der DDR. Beim Haftgrund Fluchthilfe nahm Potsdam hingegen den zweiten Platz ein.

Ein weiteres, vor allem für die Bildungsarbeit der Gedenkstätte sehr nützliches Ergebnis ist der Comic „Grenzlinien“. Mit dem Untertitel „Auswege aus der DDR“ werden persönliche Erinnerungen dreier junger Menschen aus den 1960er, 1970er und 1980er Jahren wiedergegeben. Drei Künstler stellen ihre Lebensläufe, Motive und die Konsequenzen ihres Handelns dar.       

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