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Klimaforscher Markus Rex hielt in Potsdam die Oberlin-Rede.

© Foto: Ottmar Winter PNN

Vom „ewigen Eis“ ist nicht mehr viel übrig: Potsdamer Polarforscher warnt vor Folgen des Klimawandels

Absolute Schwärze, Eispressungen und klirrende Kälte: Markus Rex leitete die Arktisexpedition Mosaic. In seiner Oberlinrede schilderte er eindrücklich seine Erlebnisse.

Stürme, Dunkelheit, Eisbären und Temperaturen um -40 Grad: Die Arktis ist eine unwirtliche Gegend, deren klirrende Kälte auf den ersten Blick daran zweifeln lässt, dass die Klimaerwärmung auch hier angekommen ist. Doch das Gegenteil ist der Fall: „In der Arktis läuft der Klimawandel etwa viermal schneller ab, als im Rest der Welt“, sagte der Potsdamer Klimaforscher Markus Rex am Dienstag vor knapp hundert Besucher:innen bei der jährlichen Oberlinrede in der Kirche des Oberlinhauses.

Er konnte dies aus nächster Nähe beobachten: Rex hatte die 2019 gestartete und 2020 beendete Mosaic-Expedition geleitet, die mit sieben Schiffen und mehr als 600 Mitarbeiter:innen aus 17 Nationen als größte Arktis-Expedition aller Zeiten gilt. Das zentrale Forschungsschiff, die „Polarstern“, hatte sich dafür ein Jahr lang in das Eis der Arktis einfrieren lassen und ist so über den Nordpol gedriftet – ähnlich, wie es Polarforscher Fridtjof Nansen 1893 getan hatte.

Es gab 60 Begegnungen mit Eisbären - manche gefährlich nah

Ein echtes Abenteuer: Rex berichtete von der absoluten Schwärze der monatelangen Polarnacht und von Eispressungen, die Eisschollen unter gewaltigem Krachen so hoch auftürmten wie zweigeschossige Häuser. Die größte Gefahr ging allerdings nicht vom Wetter aus, sondern von den Eisbären: Diese waren in der Dunkelheit schlecht zu sehen oder gar nicht, wenn man bei der Forschungsarbeit gerade in einem Eisloch steckte.

Die „Polarstern“ hatte sich ein Jahr lang in das Eis der Arktis einfrieren lassen.
Die „Polarstern“ hatte sich ein Jahr lang in das Eis der Arktis einfrieren lassen.

© Alfred-Wegener-Institut/dpa / Markus Rex

Etwa 60 Begegnungen, manche gefährlich nah, habe es gegeben. „Aber wir hatten ein ausgetüfteltes Eisbär-Schutz- und Sicherheitskonzept, unter anderem mit Hightech-Wärmebildkameras. Weder Menschen noch Bären kamen zu schaden“, sagte Rex.

Nansen hielt das Eis noch für „ewig“

40 Grad Minus mögen eisig klingen, doch tatsächlich hat sich die Arktis nach 130 Jahren bereits um zehn Grad erwärmt: „Fridtjof Nansen berichtet in seinen Aufzeichnungen von 50 Grad Minus“, sagt Rex. Er verlas eine Stelle aus Nansens Tagebuch, in der dieser den arktischen Horizont beschreibt: „Diese weiße Linie hat sich seit vielen Jahrtausenden über dieses einsame Meer ausgedehnt und wird sich in künftigen Jahrtausenden ebenso darüber ausdehnen. Wir verlassen das Eis und lassen keine Spur hinter uns zurück […]. Ein neues Leben beginnt für uns, während das Eis immer dasselbe bleibt.«

130 Jahre später ist vom „ewigen Eis“ nicht mehr viel übrig: „Genau dort, wo Fridtjof Nansen diese Zeilen schrieb, haben wir heute offenes Wasser“, sagte Rex. Dreiviertel des arktischen Meereises sei bereits verschwunden, Folge ist die noch stärkere Erwärmung der Arktis, weil das dunkle Wasser mehr Sonnenwärme aufnimmt, als weißes Eis.

Tischtennis und Partys gegen die trübe Stimmung der Polarnacht

Das Verschwinden des Arktis-Eises gehört zu den Kipppunkten, durch die unvorhersehbare klimatische Entwicklungen angestoßen werden können: Dazu gehört unter anderem der Anstieg des Meeresspiegels und das Versiegen des Jetstreams, der Hauptmotor für unser Wetter: „Wenn dieser Motor anfängt zu stottern, dann wird es auch bei uns mehr Extremwetter-Ereignisse geben“, sagte Rex. Auf Dauer könnte der Planet ein Klima bekommen, das heißer als alles sei, was die Menschheit bislang erlebt habe.

Die Expedition war nicht nur eine technische, sondern auch eine psychische Herausforderung: Das Team musste sich absolut aufeinander verlassen können – spätestens wenn jemand ins Wasser fiel, und das sei mehrmals vorgekommen, so Rex. In den absolut dunklen Monaten hätten sie besonders aufeinander geachtet, gegen trübe Stimmung halfen Tischtennis, Sauna oder ab und zu eine spontane Party.

Klimaschutz muss rentabel werden

Zu Weihnachten wurde gemeinschaftlich das ganze Schiff geschmückt, es gab Musik, ein Adventscafé und eine Bescherung. „Ein dichtes Programm - damit wirklich niemand alleine in seiner Kammer sitzt“, sagte Rex. Der Zusammenhalt auf dem Schiff war am Ende so gut, dass sogar eine Familiengründung zu verzeichnen war: „Ja, es wird Schiffs-Nachwuchs geben.“

In seiner Rede betonte der Klimaforscher nachdrücklich, dass die Menschheit noch eine Chance habe, den Klimawandel auf unter zwei Grad zu begrenzen und Kippunkte zu vermeiden. Dabei schlug er pragmatische Töne an: „Moralische Appelle alleine werden das Klima nicht retten“, so Rex. Solange klimaschädliche Investitionen höhere Renditen abwerfen würden, als klimafreundliche, werde sich fundamental nichts ändern.

Ohne CCS sind unsere Klimaziele nicht mehr erreichbar. 

Markus Rex, Potsdamer Klimaforscher

Daher sei es Aufgabe der Politik, klimaschädliches Wirtschaften zu unterbinden und klimafreundliches zu fördern, etwa durch einen sozial gerechten CO2-Preis. „Wir müssen erreichen, dass der klimaschützende Weg auch der wirtschaftlich erfolgreiche wird“, sagte Rex. Deutschland müsse in den nächsten zehn bis 20 Jahren rund fünf Billionen Euro für den Klimaschutz mobilisieren – ein Großteil davon durch Investitionen aus der Privatwirtschaft.

Das werde aber auch nicht reichen: Angesichts des immer kleineren Zeitfensters müsse verstärkt CCS-Technologie gefördert werden, also die Speicherung von CO2. Dieses könne etwa in Basaltgestein mineralisiert werden, so dass es nicht mehr in die Atmosphäre gelangt. Leider gebe es laut Rex derzeit in Deutschland keine einzige CCS-Anlage: „Sogar kleinste Pilotanlagen zur Erforschung dieser Technologie sind in praktisch allen Bundesländern verboten worden.“ Rex wurde ganz deutlich: „Ohne CCS sind unsere Klimaziele nicht mehr erreichbar. Den Zeitpunkt, als dies noch ging, haben wir verpasst.“

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