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Premiere der Tanztage: Es pocht, es kann nicht anders

Unpolitisch? Von wegen. Die israleische Choreogrfin Sharon Eyal hat mit "Killer Pigs" ein nicht nur in seiner Präzision brutales Stück ins Rennen geschickt, eine Kampfansage an den Stillstand.

Sharon Eyal lässt sich nicht in die Karten gucken. Die israelische Choreografin, die mit ihren beiden Stücken „Sara“ und „Killer Pigs“ und ihrer Gruppe „L-E-V“ am Mittwoch die 25. Tanztage in Potsdam eröffnete, hatte dieser Zeitung kurz zuvor verraten, dass sie keine politische Agenda habe. Dass sie sogar „ganz schlecht“ sei, was Politik angeht. Da sie im gleichen Gespräch den Zuschauer einlud, seiner eigenen Imagination zu folgen und demselben angesichts der durchaus sympathischen Interpretationsfaulheit der Künstlerin gar nichts anderes übrigbleibt, als diesem Rat Folge zu leisten, wird sie nun folgende Schlüsse aushalten müssen: Erstens, man darf Sharon Eyal  nicht glauben. Ihre Stücke sind sehr wohl politisch. Denn, zweitens, Sharon Eyal erzählt vom Krieg.

Zunächst aber lullt uns „Sara“ ein, der erste und deutlich kürzere Teil des Abends. Die sechs Tänzer staksen in hautengen schwarzen Anzügen auf die Bühne, ein kleiner Schwarm seltsam disparater Fremdkörper. Mal wie schlängelnde Quallenschatten, mal wie schwarzes, um sich hackendes Federvieh. Mal, auf Knien und mit angewinkelten Armen, ein Grüppchen Hakenkreuze, schief und ungläubig ins Publikum schauend wie der Schauspieler Martin Wuttke in der berühmten Szene von Heiner Müllers „Arturo Ui“. Überhaupt lösen sich plötzlich irritierend wiedererkennbare Symbole aus der Uniformität der Gruppe. Oder ist das da keine mit der Hand geformte Raute, das da kein Herz? Aber da, ganz sicher: eine mit zwei Fingern geformte Pistole. Dazu loungige Rhythmen aus den Lautsprechern und ein Paar, das haucht: „When we come home / we put the curtains down / making sure the TV is on“. Eine der Tänzerinnen bewegt synchron dazu die Lippen. Playback, gymnastisch. Nach gut zehn Minuten ist die Übung vorbei.

„Killer Pig“ ist härter, brutaler. Die Tänzer jetzt in hautfarbener Wäsche. Fast nackt wirken sie. Auf Zehenspitzen stolzieren sie im Kreis, plustern sich auf, produzieren sich. Modells, Flamingos? Interessant schon, dass man sich nicht entscheiden kann: Ist das tierisch oder allzu menschlich eitel? In jedem Fall: Die da stolzieren, sehen einander nicht. Zu den peitschenden Rhythmen heben sie die Knie ruckartig nach oben, hacken die Fußballen in den Boden. Aggressiv sehen diese maschinisierten Tiere aus, und jedes Einzelne darin sehr einsam. Alles immer in Bewegung, das Grüppchen wie ein Zahnrad, jedes Glied seiner Aufgabe folgend wie besessen. Was immer sie am Laufen hält, diese Maschinerie funktioniert ohne Berührungen der einzelnen Teile untereinander. Jedes Teil ackert, produziert (sich oder irgendetwas?), in völliger Isolation. Zwischendrin deuten sich Bewegungen des klassischen Balletts an, es sind schöne, gerade, selbstverliebte und vollkommene Figuren. Doch sie führen nirgendwo hin. Nur zurück zum hackenden Stolzieren in Reih und Glied. Die Perfektion, die zitiert wird, befriedigt nicht, sie macht eher Angst.

Ja, da formiert, da diszipliniert sich etwas. Und, vielleicht, weil wir in der preußischen Kasernenstadt Potsdam sitzen, vielleicht, weil im Herkunftsland der Choreografin der militärische Drill von Männern und Frauen zur Überlebensübung gehört, plötzlich meint man, auch diesen seltsam verfremdeten rhythmischen Gang zuordnen zu können. Natürlich, ein Stechschritt. Die dort tanzen nicht, die kämpfen. Es sind fleischfarbene menschlich-tierische „killer pigs“ im Krieg. Aber wogegen? Mal stehen sie wie vor dem Erschießungskommando nebeneinander. Es sind auch Rufe zu hören, die nach Befehlen klingen. Brüllt sie sich Beleidigungen zu oder Mut? Falls Letzteres, funktioniert es nicht: Die „Killer Pigs“ kämpfen ebenso sehr gegeneinander wie gegen den Feind. Falls es ihn gibt. Immer abgehackter werden die Bewegungen, immer größer die Aggression – auch gegen sich selbst. Was auch immer die sechs Tänzer umtreibt, woher auch ihre Wut kommt. Es beginnt in ihnen selbst.

Immer wieder hauen sie sich auf die Brust, als träfe sie dorthin ein Schuss. Dann wieder fallen sie zurück in eine trotzig-entspannte „Rührt-euch“-Haltung, marschieren, Hände über der Hüfte angewinkelt, über die Bühne. In den Krieg eines Landes, in den Krieg gegen diese eitlen, unnahbaren Flamingo-Gestalten, die sie zu Anfang dieser Choreografie selber waren? Wie von kleinen elektrischen Pulsen zucken zu den Elektrobeats die Ellenbogen. Etwas peitscht sie voran, ob sie wollen oder nicht. Etwas hält sie zusammen, ob sie wollen oder nicht. Vielleicht kein Zufall, dass die Kompanie sich nach dem Ding benannt hat, das uns rennen, tanzen, kämpfen lässt, ob wir wollen oder nicht. „L-E-V, das heißt auf Hebräisch Herz. Es pocht einfach, es kann nicht anders. Bravos am Ende. Für das, was vor dem Stillstand kommt. Auch diesseits der Bühne.

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