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Alice Bahra in ihrer Installation „21 Schaukeln“ im Kunstraum Potsdam.

© Andreas Klaer

Künstlerin Alice Bahra übt das Fliegen: Festival Made in Potsdam startet mit Ausstellung im Kunstraum

Das Festival Made in Potsdam widmet sich ab 7. Januar einen Monat lang aktueller Kunst. Zum Auftakt gibt die Potsdamer Künstlerin im Kunstraum eine Lektion in Leichtigkeit.

Mitte der 1990er Jahre, als viele Menschen in der gerade untergegangenen DDR den Boden unter den Füßen verloren, entdeckte Alica Bahra das Schweben. Die Installation „21 Schaukeln“ im Kunstraum zeugt davon. 21 schmale Querbalken hängen an dünnen Drähten fixiert in unterschiedlicher Höhe hintereinander. Eine Treppe, deren Stufen ins Nichts führen. Oder ein Schaukelwald für eine unsichtbare Kinderschar? Die schmalen Balken sehen aus wie Holz, sind aber in Wirklichkeit denkbar fragil: Sie sind aus Porzellan.

Auch Alice Bahra, geboren 1945 in Landsberg/Lech und mit den Eltern seit 1950 in der sowjetisch besetzten Zone, geriet nach der politischen Wende 1989 ins Schwanken. Zu DDR-Zeiten verdiente sie Ihren Lebensunterhalt mit Keramiken, das lief gut. Sie hatte ihr Atelier zu Hause, konnte gleichzeitig bei den Kindern sein, die beide in den 1960er Jahren geboren wurden. Von deren Vater, dem Grafiker und Bürgerrechtler Bob Bahra, trennte Alice Bahra sich 1971. Seit 1976 arbeitete sie als freischaffende Künstlerin mit Atelier in der Babelsberger Aue. Seit den 1980ern schuf sie Skulpturen mit Spielfunktionen aus Klinker. In Luckenwalde, in Bad Liebenwerda, und in Potsdam: Hier baute sie 1984 für die Waldstadt die „Murmelburg“.

Fragilität und Veränderung

Mit dem Umschwung 1989 fiel die Nachfrage nach den Keramiken weg. Alice Bahra musste, wenn auch längst erwachsen, neu laufen lernen. Dieses Tasten und Schwanken ist den Arbeiten jener Zeit anzusehen. 1994 entstanden die 21 Schaukeln, im gleichen Jahr auch „Umgebung I“: eine Landschaft aus 452 quadratischen, unebenen Porzellanskulpturen aus Porzellan. Eine Landschaft, durch die man tanzen müsste, um nicht die Balance zu verlieren. Auch eine Landschaft, von der man nicht weiß: Würde sie dem Gewicht eines menschlichen Körpers überhaupt standhalten?

Raumgreifend. „Trio“ von Alice Bahra im Kunstraum Potsdam.
Raumgreifend. „Trio“ von Alice Bahra im Kunstraum Potsdam.

© Andreas Klaer

Fragilität und Veränderung: Das sind zwei Begriffe, zwischen denen sich das Werk von Alica Bahra aufspannen lässt. Das stimmt für die Schaukeln, denen das Schwungholen bereits eingeschrieben ist. Es gilt auch für die „Umgebung“ oder das, was Bahra ihre „Notizen“ nennt: eine Reihe von Fotografien aus dem Fenster des Babelsberger Ateliers. Zwölf Rahmen stehen für zwölf Monate: Die Reihung ist ein Ritt durch ein Jahr. Nur scheinbar gleicht ein Monat dem anderen. Was auf den ersten Blick monoton wirkt, ist eigentlich eine kontinuierliche Fortbewegung in winzigen Schritten: erkennbar an der Veränderung der Schatten.

„Die Sehnsucht hält mich in der Schwebe, die Balance zu halten ist mein Leben.“ So bringt Alice Bahra ihr Motto selbst auf den Punkt, es soll groß an der Wand der Ausstellung im Kunstraum stehen. Die könnte den Titel „Retrospektive“ tragen, sagt Bahra, aber sie und Kurator Mike Gessner haben sich für einen schwebenderen Namen entschieden, der ebenso ins Schwarze trifft: „Bewegung“. Dabei ist es vielmehr die Möglichkeit von Bewegung, als Bewegung selbst, die Bahra hier zelebriert. Es geht um die Veränderung eines Zustands, Materials oder Moments als große Verlockung. Bahras Skulpturen wirken oft, als seien sie nur gerade so noch da. Das mag auch ihren Zauber erklären: das glückliche Gefühl, etwas gerade so noch zu erhaschen.

Fotografien als Ritt durch die 12 Monate des Jahres. Alice Bahras „Notizen“ im Kunstraum.
Fotografien als Ritt durch die 12 Monate des Jahres. Alice Bahras „Notizen“ im Kunstraum.

© Andreas Klaer

Kurz vor dem Abheben

Dass die Arbeiten von Alice Bahra von geradezu unerhörter Leichtigkeit sind, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Künstlerin auch Schweres erfahren hat. Die politisch motivierte elfmonatige Haft des ersten Mannes im Jahr 1968, der Bruch 1989 – und 2023, nach fast 40 Jahren des symbiotischen Gemeinsamkeit, der Tod ihres zweiten Mannes, des bekannten Potsdamer Bildhauers Christian Roehl: Vielleicht kann eine solche Sehnsucht nach Leichtigkeit nur spüren, wer auch einiges an Gewicht im Leben hat schleppen müssen.

Seit 2001 arbeitet Alice Bahra mit dem fragilsten der Materialien: Papier. Im großen Raum mit der Fensterfront zur Nuthestraße hat sie die raumgreifendste Arbeit aufgebaut, die zugleich besser als alle anderen das Gefühl des Flüchtigen spürbar macht. „Trio“ heißt sie. In fünfeinhalb Metern Höhe schweben hier drei Bahnen aus geflochtenen Angelsehnen in der Luft. Auf zwei der Bahnen sind 250 gefaltete Blätter aus Transparentpapier befestigt. Alle paar Minuten sorgt ein schwacher elektrischer Impuls dafür, dass die Papiere zu beben beginnen. Flügel, die sich schütteln? Kein Zweifel: Sie sind kurz davor, abzuheben.

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