zum Hauptinhalt
„Digitale Wege in der Erinnerungskultur“ heißt die neue Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam.

© Andreas Klaer

Von Immersion bis Game Station: Wie sieht Erinnern in Zukunft aus?

Das Forschungslabor Spur.lab beschäftigt sich mit der Frage, wie Digitalität die Erinnerungsarbeit der Museen verändert - und gibt in Potsdam jetzt Einblicke.

Wer sich mit deutscher Geschichte beschäftigt, kommt an einem Wort schwer vorbei: unvorstellbar. Das Grauen, das Juden und andere als „minderwertig“ herabgewürdigte Gruppen in der Zeit des Nationalsozialismus erfuhren, übersteigt den Erfahrungshorizont aller, die es nicht selbst erlebten. Die Zeitzeug:innen, die davon berichten können, werden immer weniger. Was heißt das für die Vermittlungsarbeit der Zukunft?

Das ist die Frage, der sich das Forschungslabor Spur.lab unter der Trägerschaft der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte seit 2020 verschrieben hat. Das Labor wird mit insgesamt rund 1,1 Millionen Euro gefördert, der Löwenanteil kommt vom Bund. In einer interdisziplinären Tagung am Haus Brandenburgisch Preußischer Geschichte (HBPG) wurde die Frage zwei Tage lang diskutiert, eine Ausstellung stellt bis 15. Oktober den Stand der Forschung vor.

Ausstellung als Erlebnisraum: „Digitale Wege in der Erinnerungskultur“ im Haus Brandenburgisch Preußischer Geschichte.
Ausstellung als Erlebnisraum: „Digitale Wege in der Erinnerungskultur“ im Haus Brandenburgisch Preußischer Geschichte.

© Andreas Klaer

Geschichte nicht nur vermitteln, sondern erlebbar machen

„Spur“ steht für Site Specific Augmented Storytelling. Es geht um „narrative Möglichkeiten von interaktiven digitalen Technologien“, heißt es in der Selbstbeschreibung. Anders gesagt: Es geht darum, Geschichte jenseits traditioneller Medien wie Bücher oder Filme nicht nur zu vermitteln, sondern konkret vorstellbar, vor Ort erlebbar zu machen.

„Ein wesentlicher Impuls hinter Spur.lab war, dass wir uns sagten: Die Zeitzeugenschaft endet“, sagt Projektkoordinatorin Bettina Loppe. „Bei Spur.lab geht es um nichts weniger als die Zukunft der Erinnerungsgeschichte.“ Beteiligt sind die Gedenkstätte Ravensbrück, die Gedenkstätte Sachsenhausen und die Filmuniversität Babelsberg. Am Potsdamer HBPG laufen die Fäden zusammen.

Viele der Projekte in der Ausstellung arbeiten mit 360-Grad-Videos.
Viele der Projekte in der Ausstellung arbeiten mit 360-Grad-Videos.

© Andreas Klaer

Wenn hier nun zwei Wochen lang eine „Best Practice“-Ausstellung zum Thema Erinnerungskultur zu sehen ist - dem Museum zufolge die erste deutschlandweit - , dann befragt das Museum die eigene Zukunft, aber auch die einer ganzen Zunft. Denn es geht auch um die Frage, inwiefern die Sehgewohnheiten von „digital natives“ künftig in Ausstellungskonzepten vorkommen. Und ob diese überhaupt mal freiwillig ins Museum gehen werden, wenn sie der Schulpflicht entwachsen sind.

Wie viel Spiel vertragen Erinnerungsorte?

Dreizehn Positionen sind in der Ausstellung „Digitale Wege in der Erinnerung - Geschichte in virtuellen Welten?“ zu sehen. Keine Ausstellung eigentlich, sondern ein Erlebnisraum: VR-Brillen liegen bereit, Bildschirme flackern, Laptops und Tablets laden zum Tippen, Wischen und Klicken ein. Hier soll nicht nur geguckt oder gelesen werden, sondern gespielt. „Gamification“ ist ein Stichwort, das auf der Tagung häufig fällt. Wie viel Spiel vertragen Erinnerungsorte?

Am konkretesten zu erleben ist das an der Gamestation „Leipzig ‘89 - Revolution reloaded“, die für das Deutsche Historische Museum entstand. Das Spiel entführt einen an den 9. Oktober 1989 in Leipzig, als 70.000 Menschen gegen die DDR-Spitze auf die Straße gingen. Man kann in die Rollen verschiedener Beteiligter schlüpfen, den Polizisten Thomas Z., Demonstrantin Sabine T. oder Egon Krenz. Es geht, wie bei allen Positionen hier, darum, sich in andere hineinzuversetzen.

Auch das von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten initiierte Augmented Reality Game „Borderzone“ gibt es schon: eine kostenlose Game-App, mit der man den Park Babelsberg entdecken kann, als der noch an die Mauer grenzte. Die meisten anderen Arbeiten sind Zwischenstände, viele noch in der Entwicklung begriffen.

Mit einem Klick im KZ Ravensbrück

Der Prototyp „Blackbox“ etwa, ein Projekt von Spur.lab. „Blackbox“ nähert sich einem ehemaligen KZ in Oranienburg an, an das heute nur noch ein Mauerstück erinnert. Dem Häftling Gerhart Seger gelang 1933 die Flucht, er schrieb ein Buch darüber, aus dem Passagen vorgelesen werden. Mit einer VR-Brille ausgestattet, betritt man virtuell eine Einöde, die sich nach und nach mit architektonischen Elementen füllt und den Schreckensort ahnbar macht.

Mit 360-Grad-Videoaufnahmen des ehemaligen KZ Ravensbrück arbeitet „Vidness“. So ist man mit einem Klick auf einer von hohen Linden umsäumten Straße: die Bäume wurden gepflanzt, als hier das KZ entstand. Einen Klick entfernt steht man dem Kantor Gabriel Löwenheim gegenüber, der an dem toten Ort ein Kaddisch singt.

Einen Schritt weiter geht die Virtual Reality Experience „Ernst Grube - das Vermächtnis“, umgesetzt vom Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut und der Ufa GmbH. Es ist ein Zeitzeugeninterview, das 2021 im volumetrischen Studio in Babelsberg gedreht wurde: eine Technik, die es mittels von 16 Kamerapaaren erlaubt, eine Person dreidimensional aufzuzeichnen. Er und der junge Interviewer wurden danach in eine virtuelle Welt integriert, sodass es wirkt, als würde man mit dem hochbetagten Grube wieder an Orten seiner Vergangenheit stehen. In einer Küche. Im Garten eines Kinderheims. Auf einer vereisten Straße außerhalb des KZ Theresienstadt.

Sonderöffnungszeiten: 30.9. bis 1.10., 6. bis 8.10. sowie 13. bis 15.10., jeweils 14 bis 18 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false