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Am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen im November werden an vielen Orten rote Schuhe aufgestellt, zur Erinnerung an die Opfer von Femiziden. 

© Imago

Serie „Mein Glücksmoment“ (6): Eine, die mir Mut macht

Das 24-Seiten-Heft von Ruth-Maria-Thomas „wie ich frau bin“ brachte mir dieses Jahr Tränen, Hoffnung und ein Gefühl der engen Verbundenheit mit anderen Frauen.

Ein Kommentar von Teresa Rübel

Das dünne gelbe Heftchen im Reclam-Look, mit anmutiger Illustration von Lina Ehrentraut auf dem Cover und dem Titel „wie ich frau bin“, verschlang ich im Frühjahr dieses Jahres auf dem Balkon. Ich musste drei Pausen einlegen, um ein paar Tränen zu vergießen. So viel Schmerz, aber auch Humor und steckt in den nur 24 Seiten. Mir war sofort klar, dass ich das Heft allen meinen Freundinnen, meiner Schwester und meiner Mutter schenken musste.

Feministinnen sprechen oft von Sozialisation, von dem „zur Frau werden“, ein Thema, das schon Simone de Beauvoir beschäftigte. Die weibliche, aber auch allgemein die geschlechterbinäre und heteronormative Sozialisation, wird von einigen Feministinnen als ein „geformt-werden“, geradezu als ein „in-Form-pressen“ beschrieben.

Ruth-Maria Thomas schafft es auf poetische Weise, den Schmerz und die Gewalt, die viel zu häufig Teil der weiblichen Sozialisation sind, in wenigen, oft unvollendeten Sätzen aufs Papier zu bringen.

Zeilen wie folgende gehen unter die Haut: „wie ich in der Umkleide sehe, dass alle Mädchen aus meiner Klasse „schon was haben“, ich mich auf der Toilette umziehe, es riecht nach Abfluss, und ich halte die Luft an – wie ich keine Bücher mehr lese, aber dafür tausend Zeitschriften: 10 Tipps, wie dein Schwarm auf dich aufmerksam wird und 3 Arten einen Lidstrich zu ziehen – wie ich mit ihm und seinen Jungs auf einer Party bin, danach Döner und Bier, und er singt besoffen: Meine Freundin geht rum wie Bier / erst zu meinen Kumpels / dann zu mir“.

In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt (BMFSJF 2023). Dieses Jahr sind bereits 105 Frauen durch Femizide umgekommen (femizide-stoppen 2023). Und dass eine Kultur der Ignoranz, die „rape culture“, durch Songtexte, Verharmlosung von Übergriffen und andere vermeintlichen Kleinigkeiten geschaffen wird, das führt Ruth-Maria Thomas den Leser*innen eindrücklich vor Augen. „Wie L’s Freund zu ihr sagt: „Hass ist meine Lieblingsemotion. Nimm’s nicht persönlich – wie sie versucht, es nicht persönlich zu nehmen, dass er sie Nutte nennt und gegen die Küchenzeile schubst“.

An anderen Stellen wird einem warm ums Herz wegen der Solidarität, die unter den Figuren herrscht. Wenn das Aufwachsen schon so schmerzhaft sein muss, dann ist man wenigstens nicht immer mit seinem Schmerz alleine, so klingt Thomas’ Vorschlag.

„Wie ich frau bin und immer eine meine Hand hält, meine Schulter streicht, meine Geschichten hört, an Küchentischen, an Schreibtischen, am Telefon, auf Sofakissen, Duschvorlegern und Parkbänken, immer eine, die mir Mut macht, der ich mein Herz ausschütte, an Sandstränden, in Badewannen, Betten, Zelten, auf Picknickdecken, immer eine, die da ist.“

Erschienen bei Sukultur, wurde „wie ich frau bin“ zum meistverkauften Buch des seit zwanzig Jahren bestehenden Verlags: eine Autofiktion, ein XL-Gedicht und meine wichtigste Entdeckung des Jahres. Ruth-Maria Thomas’ Debütroman soll nächstes Jahr erscheinen.

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