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Fast wie früher? Dirk Zingler bei der 50-Jahr-Feier von Union im Velodrom.

© dpa

50 Jahre 1. FC Union und BFC Dynamo: Mit der Narrenkappe beim Jubiläum

Wider den heiligen Fußball: Der 1. FC Union Berlin und der BFC Dynamo feiern ihren Fuffzichsten. Unser Kolumnist Frank Willmann hat beide Klubs mal - verglichen.

Meine Cojones waren aktiviert und schrien: Wir sind für den Weltfrieden. Deshalb besuchte ich mit der Narrenkappe nacheinander die Feiern 50 Jahre BFC Dynamo und 50 Jahre 1. FC Union Berlin. Parteitagsfeeling, die großen Vorsitzenden Ulkig und Züngla lassen grüßen. Daneben Bierschwemme, Fleisch, Humtata.

Der Fußball ist eine Auster, die wir mit dem Schwert öffnen müssen. Aus diesem Grunde müssen Schlachten geschlagen, Einzelkämpfer zu Helden gestaltet und die Vergangenheit des Clubs zu einem einzigen Pamps der Glückseligkeit zerkocht werden. So unterschiedlich beide Berliner Fußballclubs ihre Jubiläen gestalteten, ging es letztlich darum, ihre Anhänger vollgestopft mit Hoffnung und Zuversicht in den Berliner Nachthimmel zu entlassen.

Entflammt sind sie alle. In echter, in einzig wahrer Liebe. Zu ihrem Verein, ihren Farben. Hier Rotweiß, dort Weinrotweiß. Wo der normale Zeitgenosse keinen großen Unterschied sieht, erkennt der Experte Gräben, gegen die der Mariannengraben eine Ritze ist.

Der BFC feierte im Moabiter Loewesaal mit eintausend Menschen. Klang ein wenig gruselig. War es bestimmt für einige Hohenschönhausener, die zum ersten Mal nach Westberlin kamen. Vorwärts immer! Zurück gucken ist aber auch schön. Weiße Tischdecke, weiße Stühle, weiße Wände: Andie Thom. Ja, der leibhaftige AT, eben jener, der bis vor kurzem eher auf Distanz machte. Die wichtigste Frage: wer springt Null Uhr im weinroten Trainingsanzug aus der Torte? Nein, es war nicht der Unionpräsident.

Dynamo 2016 heißt, goldene Momente vergangener Zeiten zu liebkosen

Die Sause wurde von zwei bekannten Fans moderiert, die ihre gemütlichen Bäuche und die geschundenen Fanseelen streichelten. Erich Mielke hat in seinem Leben viel falsch gemacht, mit der Gründung des BFC im Januar 1966 hat er einmal was richtig gemacht, sagte Peter Meyer, der wichtigste Mann beim BFC. Daneben war naturgemäß der BFC immer schon anders, eben der ganz besondere Verein, mit einzigartigen Fans und Schunkelblues. Plötzlich läuft Bernd Schulz an mir vorbei, der mir in seiner Steifheit immer wie der Ausbund eines Volkspolizisten erschien. Vierzehn Jahre BFC. Wichtigster Berliner Protagonist des Schandelfmeters von Leipzig 1986. Neben Schiri Stumpf, der nach dem Spiel, das viele Nicht-BFCer für verpfiffen hielten, nie wieder Schiedsrichter sein durfte. Klarer und wahrer Spaß am Rande: Herr Schulz stand 1990 für ein halbes Jahr bei Union unter Vertrag.

Dynamo 2016 heißt, goldene Momente vergangener Zeiten zu liebkosen. Wir kommen aus der Hauptstadt, Bananen satt! Kinskische Grandezza. Stasi, Neid, Erfolg. Auch Jürgen Bogs. Andreas Thom. Thomas Doll. Frank Rohde. 17 Millionen Mark. Einige tanzen, um sich zu erinnern, andere tanzen, um zu vergessen. Man muss tiefer glauben. Dann wird ein zugiger Schlackeplatz zum Wembleystadion. Hier spricht ein großes Herz die deutsche Sprache. Gefühlsschaschlik, blubbernder Pudding, monchichihaft dreinblickende Fans suchen bisschen Balsam für die Seele. Null Uhr ein Ständchen, ne Art Punkband. Immerhin nicht Frank Schöbel oder die schrecklichen Puhdys. Die Punker sangen Schweinigeleien, ich verstand Strapse am Mütterchen, Ährenkranz in der Mitte, oben drüber das Logo des BFC.

Seit 2014 spielt der BFC endlich in der Regionalliga, nach 25 Jahren Leid

1966-1989 schien dem BFC die Sonne angenehm aufs Haupt. Seit 2014 spielt der BFC endlich in der Regionalliga, dazwischen lagen fünfundzwanzig Jahre Leid.

Bei Union in etwa alles umgekehrt. Union im Velodrom mit viertausend Erdenbürgern. Karl May Festspiele meets die go(a)ldenen Kehlen aus Bulgarien. Ziemlich clever, die Hauptversammlung mit der Feier zu verbinden. Berlins Oberindianer Herr Müller blies 1800 Sekunden die Wundertüte und schlüpfte zum Schluss in ein rotweißes Gewand. Eingangs mit Pfiffen begrüßt, brachte er das Volk mit knorken Ansagen (immer schon anders, der ganz besondere Verein, einzigartige Fans und ähnlicher Schunkelblues) zum Rasen. Bravo, Wahlkampftrainingsnote eins. Ein Unioner neben mir moserte trotzdem: Warum ist nicht die Merkel hier oder wenigstens ihr Pfaffe Gauck? Der Oberunioner Herr Zingler mag Stehplätze und Mitbestimmung, will ansonsten weiter nach oben und bemühte sich ums Volk. So mancher Volker durfte (leider), weil irgendwie Mitgliederversammlung, auch mal ans Mikro und stellte deplatzierte und griesgrämige Fragen.

Letzte Begegnung auf hohem Niveau. Im vergangen Frühjahr trafen Union II und der BFC noch in der Regionalliga aufeinander. Inzwischen gibt es die Union-Reseve nicht mehr.
Letzte Begegnung auf hohem Niveau. Im vergangen Frühjahr trafen Union II und der BFC noch in der Regionalliga aufeinander. Inzwischen gibt es die Union-Reseve nicht mehr.

© Imago/Wells

Danach wurde sich aber richtig auf die Schenkel geklopft. Der Schlagzeilenautomat glühte bis zum Anschlag. Agitation und Propaganda vom feinsten. Goldene Himbeere Uli Potofski (RTL, Big Brother, Unionfreund trotz Schalke) ab 22 Uhr als ersehnter Kulturbeauftragter. Ein Imagefilm, Imagemuzak. Luftballons, Fanfaren, eindringliche Botschaften vom Chor der Schmeichler, ich wartete auf den Moment, wo Achim Mentzel („auf einer grünen Wiese zwei Tore aufgestellt“) wieder von den Toten auferstand. Die endlose Mär eines Funktionärs, der DDR- und Jetztzeit (ohne Widerstand) überlebt hat. Zum FDGB sage ich nichts, Achtung Mauerbau! Auch nix zu hören über Union hinterm Stacheldraht während der Diktatur der Dachdecker und Bauern (von 1949-89). Seele wärmen, Mütze drüber. Andere Vereine haben Fans, bei Union haben Fans einen Verein! Die wichtigste Frage: wer springt Null Uhr im rotweißen Trainingsanzug aus der Torte? Nein, es war nicht der BFC-Präsident.

Meisendottores und Geisterseher nennen es gern Seelenstörung, wenn Gruppen von Menschen unter willentlich nicht kontrollierbaren Schwankungen oder einseitigen Auslenkungen ihrer Stimmungen leiden und die Fähigkeit zur angemessenen Prüfung der Realität eingeschränkt ist. Es war bei beiden Vereinen grauenhaft schön, voll geil, ich bin doch nicht blöd!

Der einstige BFC-Torwart Werner Lihsa gewann die Funkelnde Schöpfkelle, er schaffte es, bei beiden Feiern zu brillieren. Beseelt und bedeutungsvoll jubelten alle gegen die Wirklichkeit an, das ist wahrscheinlich die beste Entscheidung, um unsere Menschenwelt zu ertragen.

Bei Union sakral, beim BFC Volkstanz. Der Fußballfreund vertraut gern seinem Unterbauchgefühl. Die Sexismusdebatte ist bei beiden Vereinen nicht angekommen. Knorke, Hostessen müssen wenigstens mit Pfiffen und Gejohle begrüßt werden, wenn man sich schon nicht traut Ausziehen, Ausziehen zu brüllen.

Das behaupten sie jedenfalls. Unser Tester sieht es anders, mit der Wurst.
Das behaupten sie jedenfalls. Unser Tester sieht es anders, mit der Wurst.

© dpa/Carstensen

Kommen wir zum Contest of the Champignons. Wer lag wo vorn?

Glamour & Diskurs Null. Beide

Die schrecklichste Prophezeiung: Union, Wir werden ewig leben

Promifaktor: Bei Union nicht so, außer Herrn Müller, der BFC ist für Politiker eher konterproduktiv.

Sieger Biertemperatur: BFC

Nahrungsangebot: bei Union war die Wurst am Brötchen das Gemüse, beim BFC kraulten Möhrchen in der Fleischsuppe

Das schönste Ballkleid: SchnauzbartWolle mit 80er Jahre Kutte beim BFC

Der angenehmste Tor: ich

Der bizarrste Grund des Fernbleibens: HJ Riediger beim BFC wegen des Menschenauflaufs

Die schönste Frisur: polierte Glatzen, beide

Der traurigste Blick: beide, Foto von Thorsten „Dackel“ Boer, spielte bei Union & BFC

Der zotigste Zoni: Alle

Was gibt es sonst noch zu sagen? Säumt nicht zu leben!

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