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Bedingt abwehrbereit. Nico Schlotterbeck war am Montag nicht immer so eng am Mann.

© imago/Jan Huebner/IMAGO/Michael Taeger

Bundestrainer Hansi Flick verteidigt die Dreierkette: Die Defizite der Nationalelf sind systemunabhängig

Beim 3:3 gegen die Ukraine experimentiert Hansi Flick mit einem neuen System. Der Erfolg ist überschaubar. Vielleicht hilft ein Blick in die Geschichte.

Am Ende hielt sich der Schaden zumindest in Grenzen. Nach einem zwischenzeitlichen 1:3-Rückstand gegen die Ukraine kam die deutsche Fußball-Nationalmannschaft dank einer Energieleistung in der zweiten Hälfte doch noch zu einem 3:3-Unentschieden. Was den Bundestrainer vor allzu kritischen Fragen bewahrte.

Auch das taktische Experiment, das er seinem Team wenige Monate vor der Europameisterschaft verordnet hatte, verteidigte der Bundestrainer. „Ich war sehr zufrieden, absolut“, sagte er über den Versuch mit der Dreierkette, „auch wenn ich jetzt vielleicht einer der wenigen bin.“

Ja, dem lässt sich schwer widersprechen. Die öffentliche Reaktion auf den Plan des Bundestrainers fiel zurückhaltend bis vernichtend aus. Der „Stern“ klagte, dass das Spiel sehr deutlich die vielen Schwächen des Systems gezeigt habe, als da wären: „starke Konzentration aufs Zentrum, Anfälligkeit für Diagonalbälle, Abhängigkeit von den beiden Flügelspielern, Probleme mit tiefstehenden Gegnern, Unterzahl auf den Flügeln“.

„Das Experiment ging allerdings ziemlich in die Hose“, schrieb „Die Welt“. Und der „Spiegel“ verkündete gar: „Dreierketten gehören in die Geschichtsbücher.“

Das mit den Geschichtsbüchern ist natürlich übertrieben. Denn all diese Zitate sind fast zwölf Jahre alt, und die Dreierkette existiert weiterhin. Vor zwölf Jahren hieß der Bundestrainer noch Joachim Löw, das Spiel gegen die Ukraine fand in Kiew statt und nicht in Bremen, und in der neuen Dreierkette der Nationalmannschaft verteidigten Mats Hummels, Holger Badstuber und Jerome Boateng.

Manchmal hat der Fußball einfach ein Faible für historische Analogien. Die Debatten, die nach dem 3:3 gegen die Ukraine im November 2011 losbrachen, ähnelten auf frappierende Weise den Debatten, die nach dem 3:3 gegen die Ukraine im Juni 2023 losbrachen.

Wir sollten jetzt nicht über das System reden.

Nationaltorhüter Kevin Trapp nach dem 3:3 gegen die Ukraine

Auch Hansi Flick, Löws Nachfolger, musste sich nach dem Spiel fragen lassen, ob das Experiment mit der Dreierkette bereits gescheitert sei. Und auch Flick widersprach dieser Deutung mit Vehemenz – obwohl er in Bremen in der zweiten Halbzeit auf Viererkette umgestellt hatte.

„Wir brauchen noch ein anderes System“, sagte der Bundestrainer, der nach den personellen Experimenten im März die drei Länderspiele im Juni für taktische Experimente nutzen und sich davon auch nicht abbringen lassen will. „Das sind Automatismen, die Spiele, aber auch Training brauchen“, erklärte er. Unbefriedigende Ergebnisse nimmt Flick dabei als Kollateralschäden offenbar in Kauf.

Wer drei Gegentore gegen einen allenfalls mittelmäßigen Gegner kassiert, der hat wenig Argumente gegen die aufkommende Kritik. Allerdings sind die Schwächen in der Defensive der Deutschen keineswegs systemunabhängig. „Wir sollten jetzt nicht über das System reden“, sagte daher auch Torhüter Kevin Trapp, einer der Leidtragenden der wieder einmal zu laxen Verteidigungshaltung der Nationalmannschaft.

Die Verteidiger sind weiterhin zu sorglos

Die Defizite verfolgen das Team schon länger. Gegen die Ukraine erinnerte vieles an den missratenen Auftakt bei der WM in Katar, an das 1:2 gegen Japan, als die Nationalmannschaft ebenfalls eine Führung verspielte, weil die Innenverteidiger allzu sorglos zu Werke gingen.

„Man hat das Gefühl, alles läuft wunderbar“, sagte Flick. Aber wenn die Mannschaft auf unerwartete Widerstände trifft, zeigt sich, „dass sie relativ schnell das Vertrauen in ihre Qualität verliert“.

Es wäre nicht nur zu einfach, die Ursachen für den Wankelmut in der von Flick dekretierten Systemumstellung zu suchen. Es wäre auch gefährlich. Es gibt ein paar Prinzipien, die man als Verteidiger beherzigen sollte, egal ob in einer Dreier- oder Viererkette. Aber diese Prinzipien werden von den Deutschen immer noch und immer wieder ignoriert.

Es fehlen klassische Außenverteidiger

„Es ist wichtig, dass die Mannschaft zeigt, dass sie auch gut verteidigen kann, kompromisslos ist, es mit Hingabe durchzieht“, hatte Flick vor dem Spiel gesagt. Aber genau das zeigte die Defensivreihe mit Antonio Rüdiger, Matthias Ginter und vor allem Nico Schlotterbeck eben nicht.

Flick ist generell eher ein Anhänger der Vierer- als der Dreierkette. Dass er das Experiment trotzdem wagte und es anschließend sogar verteidigte, das liegt auch an den Umständen, mit denen er zurecht kommen muss.

Klassische Außenverteidiger für die Besetzung einer Viererkette hat der deutsche Fußball derzeit nicht im Portfolio. David Raum und Marius Wolf, die gegen die Ukraine aufliefen, sind eher sogenannte Schienenspieler. Die „zwei Joker auf den Außenbahnen“ hat Flick sie vor dem Spiel genannt. Gegen die Ukraine stachen sie nicht.

Am Ende ist es immer die Praxis, die über die Theorie triumphiert. Joachim Löw hat nach der Premiere in Kiew lange von weiteren Versuchen mit der Dreierkette abgesehen. Auch ihm fehlten geeignete Kandidaten für die Positionen auf den Außenbahnen.

Als Löw 2014, bei der WM in Brasilien, den Titel holte, entschied er sich für die pragmatischste aller pragmatischen Lösung – und bestückte seine Viererkette mit vier kantigen Innverteidigern, um die Defensive endlich dicht zu bekommen.

Einer, der das alles damals aus nächster Nähe miterlebt hat, war Löws Assistent. Sein Name: Hansi Flick.

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