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Die Paralympics finden vom 4. bis 13. März statt. Russische und Belarussische Sportler sind nun doch nicht in China dabei.

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DBS-Präsident Beucher über die Paralympics: „Ein Krieg rückt alles in den Hintergrund“

Ein Sportfest in diesen Zeiten? In einem Land wie China? DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher über die Paralympics und den späten Ausschluss der Russen

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Herr Beucher, 2015 die Vergabe der Paralympics nach China, in ein Land, das nachweislich schwere Menschenrechtsverletzungen begeht, seit 2020 eine Corona-Pandemie und jetzt kurz vor Beginn der russische Angriff auf die Ukraine: Für wie wichtig und sinnvoll halten Sie dennoch eine Durchführung der Spiele?
Es ist schlimm, was da gerade in und um die Ukraine herum passiert. Bei Kriegen gibt es immer nur Verlierer, und viele Verlierer bezahlen das mit dem Tod. Die Situation bedrückt schon sehr stark. Ein Krieg rückt alles in den Hintergrund. Nur sind Olympische und Paralympische Spiele seit ihrer Gründung eigentlich eine Friedensveranstaltung. Da treffen sich junge Menschen aus allen Teilen der Welt zu einem friedlichen und gewollt fairen Wettkampf miteinander. Es ist ja in der Historie festgelegt gewesen, dass während der Olympischen Spiele keine Kriegshandlungen stattfinden dürfen. Auch jetzt wurde diese Friedensverpflichtung von 173 Nationen unterschrieben – und die hat die russische Regierung brutal gebrochen.

Das Team der Ukraine wird an den Paralympics teilnehmen – die Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus wurden am Mittwoch erst unter neutraler Flagge zugelassen, dann nach breitem Protest am Donnerstag doch ausgeschlossen. Wie haben Sie diese Kehrtwende des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) erlebt?
Wir haben hier eine gewisse Achterbahn der Gefühle erlebt. Wir waren am Mittwoch so was von niedergeschlagen und entsetzt. Wir hatten kein Verständnis für die Unsensibilität der Entscheidung des IPC und haben das auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Wir hätten es als unerträglich empfunden, dass am Schießstand nebeneinanderliegend ukrainische und russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler im friedlichen Wettkampf schießen und 8000 Kilometer weiter wird unfriedlich mit Waffen gemordet.

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Wie kam es beim IPC genau zu der Rücknahme der Entscheidung?
Dass die Entscheidung binnen 24 Stunden zurückgenommen wurde, hätten wir uns nicht vorstellen können. Der Druck war wohl immens. Auch wir haben uns mit Polen, Frankreich, Norwegen solidarisiert, die wie viele andere Nationen gesagt haben, diese Entscheidung sei nicht hinnehmbar. In der Nacht zu Donnerstag hatten wir ein eigenes Positionspapier mit den Österreichern zusammen herausgegeben. Diese Initiative muss von so vielen Seiten gekommen sein, dass da ein Umdenken stattgefunden hat. Ob man das jetzt als Rolle rückwärts oder einen Weg zurück zur sportpolitischen Vernunft bezeichnet – ein bisschen Rückgrat gehört da ja auch zu.

Es wird weiterhin mit Solidarisierungsaktionen und Protesten während der Paralympics zu rechnen sein. Weite Teile der Spiele sind durch die Charta jedoch zum unpolitischen Raum erklärt. Ist das haltbar?
Wir müssen uns in die Lage der Ukrainer versetzen. Die sind hierhin geflogen und wissen nicht, ob sie zurückkommen, ob sie ihr Haus und ihre Familie so wiedertreffen wie sie sie verlassen haben. Je näher man sich mit einem individuellen Schicksal befasst, desto eher ist man in der Lage, bestimmte Handlungsweisen zu erfassen. Ich gehe davon aus, dass die Ukrainer nicht still und wie geprügelte Knaben da auftreten, sondern dass sie in irgendeiner Form der Welt etwas darstellen wollen.

Nun war das Thema Meinungsfreiheit in Bezug auf China ohnehin omnipräsent. Werden Sie vor Ort für Ihre Werte einstehen?
Wenn Gelegenheit ist, dazu Stellung zu nehmen, werden wir das von deutscher Seite aus natürlich machen. Nur ich gehe davon aus, dass unsere Darstellungsformen vor Ort weitgehend eingeschränkt sind. Dreister, als es seitens des chinesischen Organisationskomitees von einer Regierungssprecherin geäußert worden ist, konnte man das in der Geschichte der Olympischen und Paralympischen Spiele ja noch nie erleben. Dass unverhohlen damit gedroht wird, wer sich zu den Zuständen in China äußert, muss wissen, dass er gegen geltende Gesetze verstößt. Das heißt im Umkehrschluss: Wir sollen die Schnauze halten – das ist Maulkorb pur.

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Sie bezeichneten die Olympischen Spiele mal als das Warmup für die Paralympics. Wie ist das in diesem Jahr gewesen?
Was die gesundheitlichen Präventionsmaßnahmen vor Ort angeht, war das dieses Mal sogar noch wichtiger. Wir standen die ganze Zeit über in engem Austausch mit dem DOSB. Das waren sehr wichtige Erkenntnisse, denn es ist alles irgendwie anders. Das ging schon bei der Ankunft in Peking los. Da wurden wir dann von diesen als Marsmenschen verkleideten Chinesen empfangen, im Ganzkörperkondom, alle Handschuhe, alle sehr freundlich. Da hat das Virus kaum eine Chance. Die Testung übernahmen wohl Medizinstudenten, die waren im höheren Semester. Die versuchten die Nasenhöhle oben im Gehirn zu finden.

War die Aufregung groß vor dem Corona-Test am Flughafen?
Das konnte man richtig spüren. Sorge eins war ja: Kriegen wir alle negativ ins Flugzeug? Sorge zwei: Wird das auch negativ bestätigt vor Ort?

Herr Beucher, Sie waren früher Direktor an einer Schule: Welche Note geben Sie den Olympischen Spielen 2022?
Sportlich: zwei plus. Gesellschaftliches Umfeld: sechs. Organisation: zwei. Nachhaltigkeit im Hinblick auf die Wettkampfstätten: sechs.

Und wie bewerten Sie das Auftreten von IOC-Präsident Thomas Bach?
Das würde ich ihm gerne mal persönlich sagen. Ob ich Herrn Bach jetzt beschimpfe oder was, das bringt doch nichts, außer ein bisschen Selbstbefriedigung.

Friedhelm Julius Beucher, 75, ist seit 2009 Präsident des Deutschen Behindertensportverbands. Zuvor war er Mitglied des Deutschen Bundestages.
Friedhelm Julius Beucher, 75, ist seit 2009 Präsident des Deutschen Behindertensportverbands. Zuvor war er Mitglied des Deutschen Bundestages.

© dpa

Freuen Sie sich auf die Spiele?
Ich verspüre keinerlei Vorfreude auf die Paralympics. Es ist vielmehr eine sehr sehr ernste Dienstreise, die ich antreten werde. China ist unter Berücksichtigung der Menschenrechtslage ein Land, in das Olympische und Paralympische Spiele nicht hätten vergeben werden dürfen.

Wie halten Sie es mit dem Fernbleiben und den Boykotts vieler Politikerinnen und Politiker?
Das war ein wichtiger Abwägungsprozess, wie ich finde: Den Sportlern über elektronische Medien oder Briefe alle guten Wünsche mitzugeben, aber nicht dem chinesischen Regime die Gelegenheit zu geben, dass als indirekte Anerkennung ihrer Staatsführung zu sehen. Insofern finde ich den diplomatischen Boykott richtig und okay – dass man dem chinesischen Staat nicht als Staffage zur Verfügung steht.

Hat die Ausrichtung der Winterspiele den Chinesen eher geschadet oder genutzt?
Die Ausrichtung der Winterspiele hat denen genutzt. Zumindest in der Binnenwahrnehmung. Der Nutzen weltweit ist in der demokratischen Welt – wenn man davon so sprechen kann – eben mit dem faden Beigeschmack, dass dort Spiele stattgefunden haben, wo drumherum handfest Menschenrechtsverletzungen begangen werden, rassistische Übergriffe und rücksichtslose Zerstörung von Umwelt und der Missachtung von Klimaschutz.

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China hat in den Para-Wintersport massiv investiert. Was halten Sie davon?
Wir haben ja zu genüge gehört, dass da materielle wie staatspolitische Interessen hinter stehen, aus einem Nichtwintersportland eine 300-Millionen-Wintersportnation zu machen. Das ist ein riesig langer Prozess. Was den Para-Sport betrifft: Talentfindung geht mit Sicherheit, wenn man das mit Zwangsmaßnahmen macht – wie wir das auch aus anderen Ländern kennen – schneller als bei uns, aber das ist Spekulation.

Der chinesische Präsident Xi soll im Besitz eines Paar Ski sein. Würden Sie mit ihm auf die Piste gehen?
Ich denke, das wäre für ihn sehr unangenehm, denn er käme ja nicht zum Skifahren – soviel hätte ich ihm an den Kopf zu schleudern.

Deutschland reist mit 17 Sportlerinnen und Sportlern nach Peking. Zwei Ungeimpfte wurden nicht nominiert. Gab es Versuche seitens des Verbands, sie umzustimmen?
Wir nehmen nur geimpfte Sportler mit – vor allem aus Gesundheitsschutz den anderen gegenüber. Ich respektiere, dass sich einer nicht impfen lassen will, aber dann kann er nicht für sein Individualverhalten die Gesellschaft in Sippenhaft nehmen. Dann muss er auch mit den Konsequenzen leben. Da gab es bei uns keine Diskussion. Und auch keinen Aufschrei dieser Sportler.

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