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Auch in der 4 x 100 Meter-Staffel ging alles schief.

© dpa/Ashley Landis

Keine Medaille bei der Leichtathletik-WM: Kaum mehr Helden in Sicht

Die einstige Leichtathletik-Nation Deutschland kann mit der Weltspitze nicht mehr mithalten. Die eigentliche Erkenntnis aber ist: Das dürfte auch perspektivisch so bleiben.

Ein Kommentar von Martin Einsiedler

| Update:

Später Samstagabend in Budapest. Der vorletzte Tag der Leichtathletik-Weltmeisterschaften ist soeben zu Ende gegangen, als ein Pärchen das Stadion verlässt und direkt neben der Donau den Nachhauseweg antritt. Beide sind schon etwas ältere Semester. Sie hat sich die deutschen Landesfarben auf die Backe gemalt. Er hat sich eine Deutschland-Flagge um die Schultern gelegt und trägt eine dreiviertellange Hose, die vermutlich nicht viel jünger ist als Leo Neugebauer, der 23 Jahre alte Zehnkämpfer, der kurz zuvor eine Medaille verpasst hat. Es wäre die erste für Deutschland gewesen.

Es war ein durchaus bemerkenswerter Akt, sich bei dieser Leichtathletik-WM als Deutschland-Fan zu zeigen. Mit Blick auf die Medaillen haben die Deutschen in der olympischen Kernsportart noch nie so schlecht abgeschnitten wie in diesem Jahr in Budapest. Auch die große Medaillenhoffnung Julian Weber landete am letzten Tag im Speerwurf nur auf dem vierten Platz. So standen auf der Habenseite sage und schreibe null Medaillen. Nichts.

Die Fördermöglichkeiten sind begrenzt

Nun kann sicher angeführt werden, dass Medaillen allein als Zustandsbeschreibung nicht ausreichen. Es hat in Budapest viele persönliche Bestleistungen und ordentliche Platzierungen von deutschen Athletinnen und Athleten gegeben. Dass es trotzdem nicht reicht, meist nicht einmal zum Einzug in ein Finale, macht die Bilanz fast noch betrüblicher.

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Zumal Deutschland eine große Leichtathletik-Tradition hat, begründet und lange am Leben gehalten durch Helden wie den Sprinter Armin Hary, der Weitspringerin Heike Drechsler oder Langstreckler Dieter Baumann. Es gibt Sätze von Kommentatoren über die Leichtathletik, die sich ins kollektive Gedächtnis der einstigen Sportnation eingebrannt haben.

Nennen Sie Ihren Sohn ruhig Waldemar!“ (1980 beim Marathonsieg von Waldemar Cierpinski) oder „Hau ihn raus, Robert. Hau ihn raus. Hau ihn rauuuus!“ (2009 beim WM-Sieg von Diskuswerfer Robert Harting) sind nur zwei davon, die bei Nostalgikern heute noch eine Gänsehaut erzeugen. Doch von derlei Momenten ist nichts mehr übriggeblieben. Den Deutschen sind die Leichtathletik-Helden inzwischen abhandengekommen.

In Budapest kam noch dazu, dass die meisten der wenigen Top-Athleten wie Johannes Vetter (Speerwurf), Konstanze Klosterhalfen (Langstrecke) oder Malaika Mihambo (Weitsprung) verletzungsbedingt nicht dabei sein konnten. Wären sie es gewesen, wäre die Bilanz vermutlich nicht so desaströs ausgefallen. Am Gesamtbild der deutschen Leichtathletik hätte sich auch mit ihnen nichts geändert.

Deutschland ist in der Weltspitze kaum mehr konkurrenzfähig. Angesichts des Abschneidens in Budapest sowie bei den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr in Eugene ist dies keine erschlagende Erkenntnis. Sie ist offensichtlich und sollte dennoch erwähnt werden.

Zum einen, weil der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) in diesen Tagen teilweise einen anderen Eindruck vermitteln wollte. Chefbundestrainerin Annett Stein führte ihn Budapest allen Ernstes die Corona-Pandemie und die dadurch entstandene Häufung von Leichtathletik-Meetings als einen der Gründe für das Abschneiden an, ganz so, als hätten die deutschen Athletinnen und Athleten dieses Problem exklusiv.

Deutschland wird auf lange Sicht hinterherlaufen

Zum anderen, weil vieles dafür spricht, dass Deutschland auf lange Sicht hinterherlaufen wird. Es hakt an etlichen Stellen. Die Fördermöglichkeiten sind beschränkt und die Aussichten, ob es mit einer Karriere in der Leichtathletik klappt, ohnehin höchst ungewiss. Wer sich dennoch für diesen Karriereweg entscheidet, geht hierzulande viele Risiken ein.

Die meisten, selbst die hochtalentierten Athleten, wollen das nicht und widmen sich lieber voll dem Studium oder anderen Zukunftsplänen. Dass der DLV das Ziel ausgegeben hat, in fünf Jahren unter den Top fünf Nationen in der Leichtathletik zu sein, kann man unter diesen Umständen wohlmeinend als ambitioniert betrachten. Weniger wohlmeinend als realitätsfern.

Zumal qualifizierte Trainerinnen und Trainer fehlen. Vor allem aber: Die Deutschen haben schlicht nicht mehr so viel Lust auf die Leichtathletik. Der Mitgliederschwund im Verband ist seit Jahren enorm. Gerade der Nachwuchs im „schwierigen“ Alter zwischen 15 und 18 Jahren wendet sich von der Leichtathletik ab. Fehlt den Deutschen der Biss, wollen sie sich nicht mehr quälen?

Das kann man so werten, muss es aber nicht. Fakt ist, die Leichtathletik ist nicht mehr attraktiv für sie. Entweder die olympische Kernsportart holt sich den Nachwuchs wieder zurück, oder hierzulande muss man sich eben daran gewöhnen, dass die deutschen Athleten in der Weltspitze nicht mehr so vertreten sind, wie sie es mal waren.

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