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Nach dem WM-Triumph: Spanische Momente des Glücks

Tränen bei Torwart Iker Casillas, ein fliegender Trainer Vicente del Bosque und der fassungslose Siegtorschütze Andres Iniesta: So feiert der neue Weltmeister Spanien den ersten Titelgewinn.

Was für ein schönes Finale, zwanzig Minuten nach dem Abpfiff. Die Stimmung war bis eben aufgeladen, denn zehntausende Holländer im Stadion pfiffen brachial laut den Schiedsrichter aus, der mit den Gelben Karten (zwölf Stück, so viele wie nie in einem WM-Finale) um sich warf, als wären es Werbezettel für eine neue Pizzabude in der Stadt. Gut, die Holländer hatten ja auch 120 Minuten lang munter um sich getreten, ihre Stollen auf spanische Knochen gedrückt und so versucht, das feine Spiel des Gegners zu zerstören. Nigel de Jong, der in der ersten Halbzeit seinen Gegenspieler Xabi Alonso mit einem Kung-Fu-Tritt niedergestreckt hatte, beschwerte sich hinterher am lautesten: "Wir haben alles gegeben, aber es hat nicht geklappt, auch wegen einer unglaublichen Schiedsrichter-Entscheidung. Vor dem Tor hätte es Ecke für uns geben müssen."

Trotzdem zeigten die Holländer nach dem 0:1 im WM-Finale, als ja doch alles verloren war, noch einmal Größe. "Spanien ist die beste Fußball-Nation, die beste Mannschaft hat gewonnen", gratulierte Trainer Bert van Marwijk fair. Und als die spanischen Fußballer mit ihren Goldmedaillen um den Hals die VIP-Tribüne im Fußballstadion von Johannesburg hinunter kamen und auf dem Weg waren zum obligatorische WM-Erinnerungsfoto auf dem Rasen, da bildeten sie alle - Spieler, Ärzte, Trainer, bestimmt 50 Mann - ein enges Spalier für den Weltmeister. Sie klatschten langsam und fest in die Hände, als schreite Rocky gerade in den Boxring. Jedem wurde dabei anerkennend auf die Schulter geklopft, nur Mark van Bommel, der Treter vom FC Bayern aus München, schaute vor sich hin und verschränkte bockig die Arme.

War ja auch nicht zu ertragen, die gute Laune der Spanier. Frische Hemden hatten sie sich natürlich längst übergezogen, versteht sich von selbst, Spanien ist La Roja, da können die Fußballer den ersten WM-Titel nicht in blauen Trikots bejubeln und so in die Geschichtsbücher eingehen. Nur acht Tore hatten sie gesamten Turnier erzielt, so wenig wie kein anderer Weltmeister zuvor. Aber angesichts dieser Effizienz bekam sogar der knorrige Vicente del Bosque so etwas wie ein Lächeln unter seinem grauen Schnauzer hervor und wurde von den Spielern kurzerhand vorsichtig aufgebockt wie ein Oldtimer auf der Hebebühne - und dann durch die kalte Nacht von Johannesburg geworfen. "See you in Brazil", stand auf der Anzeigetafel. 2014 will Spanien dort also als Titelverteidiger antreten. "Es war ein hart umkämpfter Sieg, aber wir haben fantastische Spieler", sagte del Bosque später sichtlich bewegt. "Wir hätten das eine oder andere Tor mehr schießen können. Der Sieg war hochverdient. Für mich ist das ein ganz glücklicher Tag."

An diesem glücklichen Tag hatten seine Spieler auf dem Rasen geweint, vor allem Iker Casillas, der spanische Kapitän. Er heulte erbärmlich in seine Schaumstoffhandschuhe, der Anblick war gar nicht auszuhalten. Die Kollegen nahmen den 29-Jährigen von Real Madrid in den Arm, streichelten ihm über den Rücken, aber Casillas Tränen waren nicht zu halten. Erst später, als er das blaue Band mit der Goldmedaille um den Hals trug, das ihm Fifa-Boss Sepp Blatter umgehängt hatte, hatte er sich erholt. Er durfte als erster den WM-Pokal in die Luft reißen, überreicht von Sepp Blatter und Südafrikas Präsident Jacob Zuma, der allerdings so ratlos dabei aussah, als wisse er gar nicht, warum er gerade hier steht. "Congratulations Spain", blinkte auf den Banden.

Ausgeflippt waren sie ja schon kurz vor Abpfiff, als Iniesta in der 116. Minute das Tor erzielt hatte: Die gesamte Ersatzbank rannte los, erdrückte den Schützen, einer der Ersatzspieler stand minutenlang tanzend am Mittelkreis - ehe ihm und den anderen klar wurde, dass ja noch vier Minuten zu spielen waren. Golden Goal in einem WM-Finale gibt’s nicht mehr, aber woher sollen die Spanier das schon wissen? Trainer del Bosque hatte jedenfalls minutenlang flehend vor seiner Bank gestanden und mit großen Handbewegungen versucht, seine Spieler irgendwie davon zu überzeugen, doch bitte schön wieder die Arbeit aufzunehmen.

Im Kabinentrakt tief im Keller des Stadions ging die Party des neuen Weltmeisters munter weiter. Laute Gesänge waren hinter der Holztür zu hören, die an den Pressekonferenzraum grenzt, die Sprache war nicht zu verstehen, aber es ist davon auszugehen, dass es keine niederländischen Lieder waren. Torschütze Andreas Iniesta war zum Spieler des Spiels ernannt worden und saß nun im Presseraum, da flog die Holztür auf und die Kollegen präsentierten ihre musikalischen Fähigkeiten. Iniesta grinste und stammelte mehr als er sprach: "Weltmeister! Das ist unglaublich, unfassbar, einfach ohne Worte. Wir werden das jetzt genießen. Dieser Triumph hat viel Kraft gekostet. Ich grüße meine Familie und danke ganz Spanien."

Das blaue Band mit der goldenen Medaille baumelte auch noch um den Hals der Spieler, als sie am Abend ihre großen Koffer durch das Terminal des Internationalen Flughafen O.R. Tambo schoben und von Johannesburg gen Heimat aufbrachen.

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