zum Hauptinhalt
Einfach fassungslos. Pal Dardai hatte nicht mit einem solchen Auftritt seiner Mannschaft gerechnet.

© IMAGO/Team 2

Kein Tempo, keine Mentalität, kein Gemeinsinn: Pal Dardai rechnet mit seinem Team ab

Bei der 2:5-Niederlage in Köln ist Hertha BSC erneut überfordert mit den Anforderungen des Abstiegskampfs. Die Probleme liegen tiefer, als selbst ihr Trainer Pal Dardai es gedacht hat.

Rein musikalisch sind Fußballspiele des 1. FC Köln inzwischen die Fortsetzung des Karnevals mit anderen Mitteln. Selbst wenn es auf dem Rasen mal nicht so gut läuft wie am Freitagabend beim 5:2-Sieg gegen Hertha BSC, selbst dann können sich Freunde des rheinischen Brauchtums immer noch am kölschen Liedgut ergötzen: passend zu allen Lebenslagen. Selbst zum Frust von Hertha BSC.

Unmittelbar nach dem Abpfiff spielte die Stadionregie in Müngersdorf „Echte Fründe ston zesamme“ von den Höhnern ein. Zu diesen Klängen begab sich Davie Selke, der Stürmer des FC mit Berliner Vergangenheit, auf eine ausgedehnte Abschiedsrunde. Er trug Badeschlappen, weil er schon früh hatte ausgewechselt werden müssen, und schritt mit erstaunlicher Akribie die Reihen seiner ehemaligen Kollegen ab. Bloß niemanden vergessen.

Es war kein pflichtschuldiges Abklatschen, wie man es nach jedem Fußballspiel dutzendfach sieht; es war echte Anteilname. Als einer der Ersten lief Selke Marco Richter über den Weg. Er umarmte ihn, und für eine kleine Ewigkeit drückte Herthas Offensivspieler seinen Kopf an Selkes Brust.

Hertha brauchte Trost. Aber auch Trost wird wohl nicht mehr helfen. Die Mannschaft hatte es gegen die Kölner nicht nur versäumt, die Konkurrenz mit einem Erfolg zum Auftakt des 32. Spieltags weiter unter Druck zu setzen. Ihr Auftritt beim FC nährte mehr denn je die Zweifel, dass Hertha sich doch noch irgendwie vor dem Absturz in die Zweitklassigkeit retten kann.

Mit diesen Werten kommst du nicht weit in der Bundesliga. Da muss man nicht mal Hoffnung haben.

Pal Dardai, Trainer von Hertha BSC, über den Auftritt in Köln

Kleiner geworden sind diese Zweifel am Tag danach ganz sicher nicht. Im Gegenteil. Der VfL Bochum, Herthas nächster Gegner am kommenden Wochenende, gewann am Samstag sein Heimspiel gegen den FC Augsburg und vergrößerte den Vorsprung auf die Berliner damit auf sechs Punkte.

Auf andere sollte Hertha ohnehin nicht schauen, zumindest nicht, solange das Team mit sich selbst genug zu tun hat. Sogar gegen eine Mannschaft aus dem grauen Mittelfeld der Bundesliga, gegen eine Mannschaft, die seit Februar nicht mehr vor eigenem Publikum gewonnen hatte, die in den vergangenen fünf Heimspielen nur ein einziges Tor erzielt hatte; selbst gegen den 1. FC Köln also war Hertha komplett überfordert.

Bochum siegt und zieht davon

Das ließ sich mit Daten zweifelsfrei belegen: Die Kölner gaben 31 Torschüsse ab, von denen 16 aufs Tor kamen. Sie gewannen 60 Prozent der Zweikämpfe und zwei Drittel der Luftduelle. Hätte Torhüter Oliver Christensen mit elf Paraden nicht seine bisher beste Leistung für Hertha gezeigt, wäre das Debakel noch viel debakulöser ausgefallen.

„Mit diesen Werten kommst du nicht weit in der Bundesliga“, sagte Pal Dardai, der Trainer der Berliner. „Da muss man nicht mal Hoffnung haben. Wir sollen nichts erzählen. Nix. Einfach den Mund halten.“

Und wieder drin. In der Defensive präsentierte sich Hertha erschreckend schwach.
Und wieder drin. In der Defensive präsentierte sich Hertha erschreckend schwach.

© IMAGO/Team 2

Das Urteil des Trainers über das eigene Team fiel vernichtend aus. „Wir hatten einen vernünftigen Plan. Wir haben gewusst, was die Stärke von Köln ist. Wir haben gewusst, was wir dagegen machen müssen. Wir haben es nicht hinbekommen“, sagte er. „Wie kann es sein, dass es diese Mannschaft in der ganzen Saison nicht geschafft hat, zweimal hintereinander zu gewinnen? Da haben wir Riesenmentalitätsprobleme.“

Keine Mentalität, kein Tempo, keine taktische Disziplin, kein Gemeinsinn: Dardais Mängelliste war so lang wie der Kassenbon nach dem Wocheneinkauf einer Familie mit sechs Kindern.

Die Führung als optische Täuschung

Benjamin Weber, Herthas Sportdirektor, war nach dem Spiel „wütend, enttäuscht“. Angreifer Florian Niederlechner sagte bei Dazn über seinen Gemütszustand: „Katastrophe, gebrauchter Tag, absolutes Scheiß-Gefühl.“ Dabei sah es zwischenzeitlich sogar ganz gut aus – allerdings nur bei flüchtigem Blick. Die frühe Führung der Kölner konterte Hertha durch zwei Tore von Lucas Tousart und Stevan Jovetic. „Ich dachte nach dem 2:1, das ziehen wir heute“, sagte Niederlechner.

Aber die Führung der Gäste, die nach etwas mehr als einer halben Stunde auf der Anzeigetafel aufleuchtete, empfand Dardai als optische Täuschung. Er hatte schon zu diesem Zeitpunkt viel zu viele Fehler seiner Mannschaft gesehen. Die Versuche, von der Seitenlinie korrigierend einzugreifen, verpufften wirkungslos. In dieser Hinsicht erweisen sich Herthas Spieler schon die gesamte Saison über als bemerkenswert resilient.

Dass die Gäste in der zweiten Hälfte durch den eingewechselten Jessic Ngankam fast das 3:3 erzielt hätten, wollte Dardai ebenfalls nicht hören. „Quatsch ist das“, sagte er. „Großer Quatsch.“

Der Ungar hatte seine Mannschaft schon weiter gewähnt. Gegen die Bayern hatte sie diszipliniert verteidigt. Gegen den VfB Stuttgart, einen Kontrahenten im Abstiegskampf, waren erste Ansätze davon zu sehen, dass Dardais Arbeit zu wirken begann. Das Spiel in Köln aber zeigte wieder einmal, dass man von der Mannschaft nicht zu viel erwarten sollte.

Dardai hatte vor dem Auftritt in Köln vor allem offensive Inhalte trainieren lassen – und empfand das im Nachhinein als Fehler. „Bei diesen Jungs, bei diesem Kader müssen wir nicht zu viel über Offensive reden, weil die Defensive dann gleich nicht funktioniert“, klagte Herthas Trainer.

Allerdings konnte er nicht verstehen, dass seine Spieler das, was sie vor einer Woche noch gut gemacht hatten, offenbar innerhalb weniger Tage wieder vergessen hatten. „Das ist irgendwie Kopfsache. Ich war anders. Von der Mentalität und vom Verhalten her.“

Die Probleme bei Hertha liegen tiefer, als es die größten Optimisten gehofft hatten. Und sie gehen längst über das Fußballerische hinaus. Die drohende sportliche Insolvenz, die wacklige Lizenz, die zerrütteten Finanzen, die Verwerfungen innerhalb des Präsidiums: Es rumort an allen Ecken und Enden. Wenn der Verein an diesem Sonntag zu seiner Mitgliederversammlung zusammenkommt, dürfte es alles werden, nur nicht ruhig.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false