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Nur Mut. Marco Reus (l.) will auch gegen Südkorea wieder jubeln.

© Li Ming/xinhua/dpa

Kolumne: Auf einen Wodka mit Stefan Hermanns: Wenn die Presse "negativ" berichtet

Die Fußball-Weltmeisterschaft ist auch für Reporter spannend. Hier erhalten Sie Einblicke in das Leben hinter den Kulissen. Folge vier.

Im Dezember 2014 sind wir in London gewesen, um ein Interview mit Per Mertesacker zu führen. Es war ein sehr angenehmes Gespräch, und als wir uns von Mertesacker verabschiedeten, sagte Mertesacker: „Lasst euch mal wieder blicken!“ Als wären wir alte Freunde, die den Kontakt irgendwann hätten einschlafen lassen.

Der Kontakt war in Wirklichkeit immer ein beruflicher: Ich habe Mertesackers komplette Karriere in der Nationalmannschaft journalistisch begleitet. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er im Oktober 2004, bei seiner ersten Nominierung, ein wenig orientierungslos in der Lobby des Mannschaftshotels in München steht. Und ich sehe ihn genauso vor mir, wie er knapp zehn Jahre später in der Mixed-Zone des Maracana eine kleine Spielergruppe anführt und singend an den Journalisten vorbeiläuft, um ihre Fragen nicht beantworten zu müssen. Wir haben rund um Länderspiele einige Male miteinander geredet, in Mixed-Zonen miteinander gesprochen, aber Freunde sind wir nie gewesen. Genauso wenig wie ich jemals sein Feind war.

Per Mertesacker hat das vermutlich einmal geglaubt. Man kann diesen Moment sogar exakt terminieren. Es war der 14. Juni 2006, die Nationalmannschaft hatte gerade das zweite WM-Gruppenspiel gegen Polen durch ein spätes Tor von Oliver Neuville 1:0 gewonnen, und ich saß auf der Pressetribüne. Mertesacker verließ als einer der letzten Spieler das Feld, er blieb kurz vor der Pressetribüne stehen, machte ein extrem böses Gesicht und ließ uns zum Abschied eine abwertende Geste zukommen, die ich sehr irritierend fand – weil sie nicht mit meinem Bild von Per Mertesacker übereinstimmte, den ich bis dahin als sehr klugen und überlegten Menschen kennengelernt hatte.

Mertesacker hat später erklärt, dass er uns Journalisten in diesem befreienden Moment, der den Beginn des fröhlichen Schland-Patriotismus markierte, schlicht zu negativ fand. Für dieses Gefühl genügte es offenbar schon, dass wir nicht von unseren Sitzen aufgestanden waren, um der Nationalmannschaft bei ihrer Ehrenrunde zu applaudieren.

Extreme Bedingungen

Wir Journalisten sind die, die bei Welt- und Europameisterschaften ausgepfiffen werden, weil an unseren blauen Tischen die schönen Laolas zerschellen. Mal abgesehen davon, dass es schwierig ist, einen Text in seinen Laptop zu tippen, wenn man dauernd aufsteht und sich wieder hinsetzt – wir Journalisten haben eben per definitionem eine andere Aufgabe, als „unsere“ Mannschaft nach vorne zu brüllen.

Dass die Nationalspieler „die“ Presse zu negativ finden, wie es nach dem Sieg gegen Schweden Joshua Kimmich geäußert hat, ist also kein neues Phänomen; es liegt in der Natur der Sache beziehungsweise möglicherweise an falschen Erwartungen. Die Nationalspieler sind es seit 2006 gewohnt, dass ihr Tun in einer unnatürlichen Weise überhöht wird; da kann man normale professionelle Distanz, wie sie von seriösen Medien gewahrt wird, schnell mal als Majestätsbeleidigung auffassen.

Hinzu kommen die, ja, extremen Bedingungen, unter denen sich die Nationalmannspieler in den fünf Wochen eines Turniers bewegen. Kaserniert und von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten erleben sie die Realität wie durch einen Filter. Das war schon 2002 so, als die Spieler Ende Mai als Rumpeltruppe nach Japan reisten und auf der Insel Kyushu im Pazifik überhaupt nicht mitbekamen, dass sie in der Heimat längst als Helden verehrt wurden. Ein großes Turnier ist immer eine Zeit der Extreme. Niederlagen werden schnell zu nationalen Katastrophen, Siege zu historischen Triumphen.

Inzwischen besteht der Filter für die Spieler immer mehr aus den sozialen Medien mit all ihren Auswüchsen und Verzerrungen. Dass sich die Qualitätsmedien analytisch mit der Niederlage gegen Mexiko auseinandergesetzt haben, wird daher vermutlich weniger zur Kenntnis genommen als die polemischen Aussagen einiger abgehalfterter Ex-Nationalspieler, die als Trainer nicht mal mehr in der vierten Liga einen Job finden, deren eigentlich belanglosen Ansichten aber millionenfach verbreitet werden. Und wenn die „Bild“ glaubt, mit der schwachsinnigen und latent rassistischen Aussage von Lothar Matthäus über Mesut Özil ihre Zeitung aufmachen zu müssen, dann ist das eben die „Bild“ – aber nicht „die“ Presse.

Nicht zu persönlich nehmen

Mario Gomez hat vor dem Spiel gegen Schweden gesagt, dass die mediale Kritik nach der Niederlage gegen Mexiko selten so mit der internen Kritik der Mannschaft übereingestimmt habe. Joshua Kimmich, Toni Kroos und Marco Reus haben diese Aussage offenbar nicht geliked.

Man sollte das alles nicht persönlich nehmen, beide Seiten nicht. Es gibt in diesen Wochen eben eine hermetisch abgeriegelte Innenwelt und eine Außenwelt, was dazu führt, dass es unterschiedliche Perspektiven gibt. Denen da drinnen erscheint unsere Perspektive zunehmend verzerrter. Vor vier Jahren zum Beispiel soll unsere Einschätzung des Trainingslagers in Südtirol innerhalb der Mannschaft große Heiterkeit ausgelöst haben. Uns kam die Vorbereitung alles andere als perfekt vor: Das Wetter war schlecht, viele wichtige Spieler konnten wegen Verletzungen nur eingeschränkt trainieren – und dann endete die PR-Aktion des Generalsponsors auch noch mit einem Unfall, bei dem ein Mensch schwer verletzt wurde. Anders, als von uns vermutet, hatte all das auf den Erfolg bei der WM allerdings nicht den geringsten Einfluss, höchstens einen positiven, von wegen: Denen zeigen wir es jetzt!

Ich finde das vollkommen okay. So, wie es auch okay war, dass Per Mertesacker nach dem WM-Finale 2014 nicht mit uns geredet hat, sondern „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ singend an uns vorbeimarschiert ist. Dieses Bild war wertvoller, als es jedes Zitat von ihm hätte sein können.

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