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Vereint in der Gier. Das System Profifußball.

© IMAGO/AFLOSPORT

Musiker Patrick Wagner zum Armbindenstreit: „Kimmich und Neuer sollten sich küssen. Mit Zunge“

Der Musiker Patrick Wagner über seinen Boykott-Song, die Gier von Leuten wie David Beckham und wie der Fußball ehrlicher werden kann.

Patrick Wagner prägte in den Neunziger- und Nullerjahren den deutschsprachigen Underground-„Rock“. Seit 2015 erfreut er seine Fans mit seiner von der Kritik gefeierten Berliner Band „Gewalt“. Wagner hat noch eine weitere Leidenschaft, er ist ein passionierter (und talentierter) Fußballer. Auch mit 52 Jahren spielt er noch einen gepflegten Ball in der Medienliga. Die Fußballweltmeisterschaft in Katar ignoriert, ja verachtet er. So sehr, dass er einen alten „Gewalt“-Song ausgebuddelt und mit einem neuen Video versehen hat. Das Lied soll als Aufruf zum WM-Boykott verstanden werden. Es heißt: „Gier.“ Ein Gespräch über Armbinden und das System Fußball.

Herr Wagner, Sie sind selbst ein leidenschaftlicher Fußballer. Aber ich nehme an, dass Sie von der Weltmeisterschaft in Katar bisher noch kein Spiel gesehen haben …
Ne, ne. Aber das ist generell bei mir schwierig. Ich würde dann meine Beziehung aufs Spiel setzen.

Weshalb?
Ich bin ein sehr analytischer Fußballzuschauer. Der Pep Guardiola unter den Fans sozusagen. Das kann andere nerven.

Mit dem Song „Gier“ haben Sie und Ihre Band „Gewalt“ nun zum WM-Boykott aufgerufen. Vermutlich wird er nicht zum massentauglichen WM-Song werden, oder?
Naja, ich finde schon, dass es ein Pop-Song ist, mit einem discoartigen Beat. Sicher, es ist jetzt kein Sportfreunde-Stiller-Song. Es ist natürlich besser. Überhaupt muss ich mich nicht unbedingt einreihen in die Riege der WM-Interpreten.

Patrick Wagner, 52, ist eine der prägenden Figuren des deutschen Underground-Rock. Seine aktuelle Band heißt „Gewalt“. Von ihr stammt auch der Song „Gier“. 
Patrick Wagner, 52, ist eine der prägenden Figuren des deutschen Underground-Rock. Seine aktuelle Band heißt „Gewalt“. Von ihr stammt auch der Song „Gier“. 

© Jan Philip Welchering

Udo Jürgens („Buenos Dias Argentina“, „Wir sind schon auf dem Brenner“), Peter Alexander („Mexico mi amor“) oder Michael Schanze („Ole Espana“) waren den Turnieren ausschließlich positiv gestimmt. Das trifft auf „Gier“ nun überhaupt nicht zu.
Es geht in dem Song um ein grundsätzliches psychologisches Problem. Darum, dass der Mensch sich total gerne vereint, sich zusammentut, das aber auch deshalb tut, weil er mehr haben will, mehr Geld, mehr Eigentum und so weiter. Ich meine in dem Song, der ja schon älter ist, im Übrigen nicht nur korrupte Funktionäre oder Berater. Ich schließe mich da selbst nicht aus. Der Mensch ist gierig.

Aber manche Menschen sind schon besonders gierig.
Wie man gerade bei der WM sieht. Als ich das Hochglanz-Video von David Beckham auf einer Yacht in Katar gesehen habe, der für 180 Millionen Werbung für Katar macht, wusste ich, dass wir mit „Gier“ den perfekten WM-Song geschrieben haben.

Der Song ist schon ein paar Jahre alt. Aber das Video ist neu.
Das hatte ich sehr schnell fertig. Das Videomaterial passte perfekt. Es war alles da.

Sie haben als Fußballbeobachter mitbekommen, wie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten der Fußball immer stärker kommerzialisiert worden ist. Ist die WM in Katar nicht eine logische Erscheinung dessen?
Sie ist eine weitere Eskalation dieser Kommerzialisierung. Aber klar ist auch, dass die Entwicklung nicht sonderlich überrascht. Ich habe persönliche Erfahrungen damit gemacht. Mein Sohn ist ein hochtalentierter Spieler. Ich habe ihm früh gesagt, dass an dem menschenverachtenden System Profifußball nichts schön ist. Nur das Spiel. Ich glaube, das hat er verstanden.

Wer es nach oben schaffen will, muss sich dem System wohl beugen.
Jedenfalls haben sich jene, die jetzt oben sind, gebeugt. Das stimmt. Wenn ich da nur an die „One Love“-Armbinden denke…

… die nun doch nicht getragen werden …
Die Verbände sagen, sie würden nicht einknicken. Aber genau das tun sie nun. Und die Spieler tun es auch. Es ist alles ein fadenscheiniger Kram. Manuel Neuer und Joshua Kimmich sollten sich beim nächsten Spiel küssen. So richtig mit Zunge. So wie es Rammstein in Russland getan haben. Das wäre mal ein Statement.

Ist jetzt nicht zu erwarten.
Wahrscheinlich ist es nicht zu erwarten. Weil das System die Spieler zu richtigen Waschlappen gemacht hat. Aber man darf den Spielern trotzdem nicht die Schuld geben. Es geht jetzt darum, dass sich etwas verändert.

Was muss sich verändern im Profifußball?
Es gäbe schon ein paar Möglichkeiten. So schwer ist es nicht. Wie wäre es mit Gehaltsobergrenzen, mit mehr Mitspracherecht der Mitglieder, einem Drafting-System, gerechteren Fernsehgeldern und, und, und? Ich bin kein Romantiker und man kann die Uhr nicht zurückdrehen. Aber es gibt Werkzeuge, wie der Profifußball wieder liebenswerter werden kann. Beim SC Freiburg beispielsweise gibt es keine U14 mehr im Ligabetrieb. Weil sie dort wissen, dass es zu früh ist, wenn jemand in diesem Alter schon 4000 oder 5000 Euro verdienen und seine Familie mitversorgen soll.

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