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 Jaroslawa Mahutschich will Gold gewinnen bei der WM in Budapest.

© IMAGO/PanoramiC

Ukraine bei der Leichtathletik-WM in Budapest: Siegen gegen Orbans Russophilie

Bei der WM in Budapest bleibt den Ukrainern der Wettkampf mit den Russen erspart. Doch ein mächtiger Gegenspieler sitzt auf der Tribüne: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.

Die Eröffnungsfeier am Samstag soll spektakulär werden. So versprechen es die Veranstalter der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Budapest. Mutmaßlich mit Pyrotechnik und viel Schnickschnack, wie man es von derlei Sportveranstaltungen kennt. Ungarn will über neun Tage ein großes sportliches Fest austragen. Doch schon Wochen und Monate vor der WM war klar, dass in Budapest ein hochpolitisches Event stattfinden wird.

Dies zeigt sich etwa darin, dass eine der besten Hochspringerinnen der Welt, Marija Alexandrowna Lassizkene, sich das Ganze mutmaßlich zu Hause in Russland anschauen wird. Wie im Übrigen viele andere russische Leichtathleten. Der internationale Leichtathletikverband IAAF ist im Gegensatz zu Internationalen Olympischen Komitee (IOC) in dieser Frage rigoros. Athletinnen und Athleten aus Russland sind in Budapest nicht erwünscht.

Für Sportlerinnen wie Lassizkene ist das bitter. Die 30-Jährige war in der Vergangenheit mit mutigen Aussagen aufgefallen, stellte sich ziemlich klar gegen den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. „Ich weiß nicht, was ich meinen Kolleginnen (aus der Ukraine, Anm. d. Red.) sagen oder wie ich ihnen in die Augen schauen soll. Sie und ihre Freunde und Verwandten erleben, was kein Mensch je fühlen sollte“, schrieb sie empathisch vor einem Jahr auf Instagram.

Sie und ihre Freunde und Verwandten erleben, was kein Mensch je fühlen sollte.

Marija Alexandrowna Lassizkene, russische Athletin, über ihre ukrainischen Konkurrenten

Umso erstaunlicher waren die Aussagen deshalb, weil Lassizkene Oberleutnant der russischen Armee war oder immer noch ist. So genau weiß man das nicht. Öffentlich äußert sich die meinungsstarke Athletin schon lange nicht mehr. Vielleicht darf sie auch nichts mehr sagen. Mehrere Tagesspiegel-Anfragen blieben von ihr unbeantwortet.

Auch ein Blick auf die Webseite des ukrainischen Sportministeriums macht überdeutlich, dass internationale Sportveranstaltungen in diesen Wochen und Monaten keine normalen sind. Prominent sind darauf die Sportlerinnen und Sportler aufgeführt, die laut dem Ministerium den Krieg in der Ukraine unterstützen. Es hat etwas von Wilder Westen, nur noch das „Wanted“ und das für die abgebildeten russischen Athleten ausgesetzte Kopfgeld scheinen zu fehlen.  

Das IOC ist für die Ukrainer ein widersprüchlicher Freund

Die IAAF-Entscheidung gegen die russischen Athleten ist eine Solidaritätsbekundung gegenüber den Sportlerinnen und Sportlern aus der Ukraine. Man will ihnen nicht zumuten, dass sie sich mit Menschen aus dem Land duellieren, das einen Krieg in ihrer Heimat betreibt. Finanzielle Unterstützungsleistungen in Höhe von 170.000 Euro seitens der IAAF und Mittel aus dem IOC-Fonds (insgesamt knapp sieben Millionen Euro) ermöglichten den Athleten aus der Ukraine die Vorbereitung für die Wettbewerbe in Budapest.

Die ukrainische Sport-Delegation freut sich über die Unterstützung in der Welt des Sports. Gleichzeitig ist sie irritiert. Das IOC ist für sie ein widersprüchlicher Freund. Da sind auf der einen Seite die Unterstützungsleistungen, auf der anderen aber kein klares Bekenntnis.

Im Gegenteil: Das IOC öffnet für die russischen Sportler nach und nach die Türen. Jene, die nicht aktiv den Krieg unterstützen, sollen doch gerne wieder an den internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürfen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Marija Alexandrowna Lassizkene im kommenden Jahr bei den Olympischen Spielen in Paris wieder um eine Medaille kämpft.

Viktor Orban (l.) weiß um die politische Wirkung, die der Sport haben kann.

© IMAGO/Bildbyran

Untrennbar mit der Politik vereint sind die Leichtathletik-Weltmeisterschaften vor allem aber deshalb, weil sie in Ungarn stattfinden. Das Land hat sich seit Beginn der zweiten Regentschaft von Ministerpräsident Viktor Orban im Jahr 2010 gewandelt, es hat sich auf dem politischen Kontinuum sehr in Richtung autoritäres Regime bewegt.

Orban höhlt die Rechte des Parlaments sukzessive aus, die Medienmacht geht von seiner Regierung aus und um den Ministerpräsidenten herum schart sich eine Gruppe von vermögenden Menschen, die nach und nach in wichtigen gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen mit Posten bedacht wird.

 2000
Athletinnen und Athleten aus aller Welt werden in Budapest dabei sein.

Orban und seine Clique predigen Nationalstolz und Patriotismus. Und hier kommen die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Budapest ins Spiel. Sie sind die bislang größte sportliche Veranstaltung in der Geschichte Ungarns. Mehr als 2000 Athletinnen und Athleten aus 200 Nationen werden dabei sein. Das extra dafür geschaffene WM-Stadion Nemzeti Atletikai Központ dürfte an jedem Abend ausverkauft sein. Vor allem aber: Die Medienanstalten rechnen mit weltweit insgesamt circa einer Milliarde TV-Zuschauer. Das ist enorm und bietet Orban die Chance, Ungarn als perfekten Gastgeber vorzustellen.

Orban ist ein Russland-Freund

Viele haben Probleme damit. Die größten Bedenkenträger kommen aus der vom Krieg erschütterten Ukraine. Orban war in jüngster Vergangenheit durch ukrainophobe respektive russlandfreundliche Aussagen aufgefallen. So behauptete er, dass die EU Ungarn Geld schulde und sie ihren Verpflichtungen deshalb nicht nachkomme, weil die Gelder für etwas anderes ausgegeben würden. „Zum Beispiel für die Ukraine.“

Und als Russland den Wagner-Aufstand niederschlug, wertete Orban dies als Zeichen der Stärke Putins. Wohingegen die Ukraine laut Orban „kein souveränes Land mehr“, da sie zur Verteidigung auf westliche Hilfe angewiesen sei. Zudem verhinderte Orban zuletzt immer wieder EU-Sanktionen gegen Russland. Ungarn unter Ministerpräsident Orban ist gewiss kein Freund der Ukraine, Putin versucht vielmehr, die kollektiven Widerstandskräfte Europas gegen Russland zu konterkarieren.

Für einige ukrainischen Athleten kostet es eine große Überwindung, unter diesen Bedingungen in Budapest an den Start zu gehen. Was sie dazu bewegt, ist zum einen die Liebe zum Sport. Zum anderen die Möglichkeit, durch sportlichen Erfolg ihre Botschaft von der besonders ausgeprägten Resilienz der Ukrainer loszuwerden. So ist jeder Sieg der ukrainischen Sportler in Budapest auch ein kleiner über Orban, der sicher nichts dagegen gehabt hätte, wenn Russlands Athleten dabeigewesen wären.

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