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Hier bekommt keiner Katar. Ein Schild vor einer Kölner Kneipe.

© dpa

Die Skandal-WM vor Augen: Wegschauen fällt schwer

Schaue ich zu? Schaue ich heimlich oder verschaffe ich mir ein Katar-Alibi? Viele werden am Fußball in den nächsten Wochen nicht so einfach vorbeikommen.

Ein Kommentar von Claus Vetter

Es ist noch warm Ende Oktober auf Mallorca. Wir haben in einem Lokal unweit von Porto Cristo unseren Sechs-Personen-Tisch für draußen reserviert. Er liegt in der Ecke eines überdachten Bereichs, überthront von einem Trum von Bildschirm. Da läuft, Spanien halt, Fußball. In Höllenlautstärke. „Wollen wir uns nicht anderswo hinsetzen?“, fragt eine Freundin mit An-sich-ist-dieser-Tisch-prima-Blick. „Ne, passt schon“, sage ich. Eine andere Bekannte sagt: „ Hier schaut eh keiner zu. Vielleicht können sie den Ton wegdrehen.“

Sevilla gegen RAY ist eingeblendet. „Rayo Vallecano“, sagt die angeblich nicht so sehr an Fußball Interessierte. Eine andere, schon so interessiert, sagt: „Mist, dass La Liga nur noch auf DAZN läuft.“ Und überhaupt, dieses seelenlose Kicker-Geschäft und schon stellt sie die Katar-Gretchen-Frage. „Seid ihr dabei oder nicht?“

Ergebnis: Viereinhalb von sechs am Tisch werden schon mal reinzappen beim Unrechts-Turnier. Ich muss ja, sage ich. Von Berufs wegen. „Es wäre ja unjournalistisch, da wegzuschauen.“ Nickende Zustimmung. Den kann ich immer bringen und mich in der Freizeit trotzdem in einer Kein-Katar-in-meiner-Kneipe-Kneipe mit guter Gesinnung sehen lassen.

Aber die Diskussion läuft, nicht erst seit den Fanprotesten gegen Katar in den Bundesligastadien. Wegschauen bei dieser drohenden WM? Oder schaue ich heimlich? Demonstrativ wegschauen kann ich ja, wenn ich mich während eines Spiel in die Öffentlichkeit wage und mir so mein Katar-Alibi verschaffe.

Wir bestellen. Der Fernseher stört nicht. Einer guckt mindestens doch zu: Ich. Weil ich mag den FC Sevilla nicht so, halte es mit Betis. War früher oft im schönen Sevilla, habe sogar mal ein Derby miterleben dürfen. So läuft das eben. Sport verbindet. Wir fiebern mit, weil wir Emotionen und Erlebnisse mit ihm verbinden. Vor allem wir etwas älteren Menschen sind oft Fußballromantiker:innen, weil wir irgendwann unser erstes Stadionerlebnis hatten, vielleicht noch an einem Platz, an dem es nach Rasen roch.

Mit Spielern, die nicht so lieblos zwischen Wirtschaftsunternehmen hin- und hergeschoben werden, jahrelang auf die Karriere gedrillt wurden – reden wir uns ein. Das Geschäft ist aber schon lange ein Geschäft, mit Leben gefüllt durch unsere romantischen Vorstellungen. Wenn ein Mega-Fußballspielervermittler wie Roger Wittmann sagt, dass die Spieler inzwischen die Hauptrolle spielen und nicht mehr die Klubs – dann geben wir ihm heimlich recht und verdrängen es schnell wieder.

Der weiße Weltverbandshai namens Fifa kennt keine Grenzen

Haifisch ist eben Haifisch, übrigens ist es amüsant, dass der riesige weiße Weltverbandshai Fifa den kleineren Spielervermittlerhaifischen nun ihren Verdienst an den Deals madig machen und bei drei Prozent (des Gehaltes) respektive zehn Prozent (der Ablösesumme) deckeln will.

Sonst kennt die Fifa doch kaum Grenzen oder Skrupel – wie die Branche insgesamt. Kein Spieler, kein Team wird irgendeine WM boykottieren. Jede Wette. Die Bekannte mit der DAZN-Kritik sagt: „Das Thema WM-Boykott ist lächerlich. Ist doch klar, dass da keiner aus den Verträgen rauskommt.“

Vallecano bringt das 1:0 über die Zeit. Excelente! Lass uns die Rechnung und dann… wird umgeschaltet. Valencia gegen den FC Barcelona. Ach, schau an. Barca. Nach dem 0:3 gegen Bayern. Da ist doch schon der ter Stegen, da ist Lewandowski. Unfassbar, wie der vorne in der Luft hängt bei Barca, was sind die in der Krise. Lewandowski wollte ja auch mit irgend so ner Protestbinde am Arm auflaufen in Katar.

Ich will den Reformprozess im Land auch während der WM weiter begleiten. Deswegen reise ich zum Spiel der deutschen Mannschaft gegen Japan.

Nancy Faeser im ARD-Mittagsmagazin

Obwohl ja „Politik“ laut Fifa-Anordnung bei den Teams außen vor bleiben soll. „Politik“ ist ein Synonym für „Menschenrechte“. Das „Sportswashing“ ist noch im Vorwaschgang, unsere Innenministerin Nancy Faeser ist dann beim Hauptwaschgang, dem ersten Spiel der Deutschen, mittenmang im Stadion. Angeblich auch, weil sie den Reformprozess in Katar verfolgen will. Haha.

Null zu null in Valencia. Es läuft die 60. Minute. Wir gehen, wir lassen uns den Urlaub nicht vom Fußball diktieren – das müssen wir schließlich üben, das Wegschauen für die kommenden Wochen, sagt eine der Bekannten lachend. Wir gehen, also sind wir schon in WM-Form.

Später am Abend bin ich durch Zufall auf die Tasten meines Smartphones gekommen und habe gesehen, dass Robert Lewandowski in der dritten Minute der Nachspielzeit das 1:0-Siegtor für Barca erzielt hat.

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