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Anna-Maria Rieder (l.) und Andrea Rothfuss (r.) bei den Trainingsdurchläufen für die Paralympics in Peking.

© Imago

Anna-Maria Rieder und Andrea Rothfuss: Wenn die Nervosität kitzelt

Ein Jahrzehnt an Alter und Erfahrung trennt die Para-Skirennfahrerinnen Andrea Rothfuss und Anna-Maria Rieder: Zwei Sportlerinnen, zwei Perspektiven.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Die eine ist schon ganz oben angekommen – die andere möchte genau da noch hin: Andrea Rothfuss und Anna-Maria Rieder. Wind im Gesicht, Schnee unter den Brettern und mit über hundert Sachen die Piste runter, das ist ihr Ding. Rieder und Rothfuss sind Spitzensportlerinnen im Para-Ski-Alpin, Teamkolleginnen und Konkurrentinnen.  

In der stehenden Klasse fahren sie nicht nur gegen die Zeit, sondern auch gegeneinander. Ihrem Teamgeist tut das aber keinen Abbruch: Ganz im Gegenteil – viel mehr pushen sich die beiden Sportlerinnen im Training gegenseitig. „Ich denke, wir können voneinander profitieren. Man will, dass der Sport spannend bleibt, auch für einen selbst. So muss man sich immer weiterentwickeln und an sich feilen“, erklärt Andrea Rothfuss. Die Para-Athletin spricht von einem positiven Druck, doch die Konkurrenz wächst: „In den letzten vier Jahren sind die jüngeren Mädels extrem stark geworden. International, aber mit Anna-Maria auch im eigenen Team.“  

Rieder vor Rothfuss beim Super G

Wie stark die Konkurrenz im eigenen Team ist, hat sich im Super-G am Sonntag gezeigt: Mit einer starken Leistung sichert sich Anna-Maria Rieder Platz fünf während Andrea Rothfuss, die mehr Probleme hatte, ihre Linie zu finden, auf Platz neun landet. “Nicht gelungen, trifft es glaube ich ganz gut”, analysiert Rothfuss ihre Leistung im Anschluss: “Ich habe schon in den ersten paar Kurven Probleme gehabt reinzukommen und dann hat auch ein bisschen das Selbstvertrauen gefehlt.” Dass die 32-Jährige aber durchaus noch um die Medaillen mitfahren kann, hat sie am Samstag bewiesen: In der Abfahrt sicherte sie sich Platz vier und verpasste nur knapp das Treppchen. Zusätzlich kann Rothfuss im Gegensatz zu ihrer Kollegin aus einem großen Erfahrungsschatz zehren:  

Einmal Gold, neunmal Silber und dreimal Bronze – eine Bilanz aus vier Paralympischen Spielen, die sich sehen lässt. Mit Peking hat Rothfuss es geschafft, sich ein fünftes Mal zu qualifizieren. „In gewisser Weise ist Andrea schon ein Vorbild für mich, weil sie so viele Rennen gefahren ist und das auch sehr erfolgreich“, verrät Anna-Maria Rieder. Für „Mary“, wie sie von ihren Teammitgliedern genannt wird, sind es erst die zweiten Paralympics. An Ehrgeiz und Siegeswillen fehlt es der 22-Järigen aber nicht: “Mit Platz fünf bin ich schon zufrieden, klar, im Ziel hat es mich ein bissel geärgert, weil ich mir noch gestern Abend so gedacht habe: Mädel, du musst mal ein raushauen, du musst mal mutig sein und Spaß haben dabei und alles riskieren”, kommentiert Sie ihr Super-G-Rennen. Luft nach oben ist also noch. 

Anna-Maria Rieder strahlt im Ziel nach ihrem Super-G-Rennen am Sonntag. Mit einem soliden Rennen sichert sie sich Platz fünf.
Anna-Maria Rieder strahlt im Ziel nach ihrem Super-G-Rennen am Sonntag. Mit einem soliden Rennen sichert sie sich Platz fünf.

© dpa

"Wenn ich Spaß hab', dann fahre ich auch gut Ski"

Ihr Paralympics-Debüt feierte Rieder in Pyeongchang. „Bei meinem ersten Rennen war ich ultranervös. Ich war so nervös, dass ich gar nicht mehr richtig Skifahren konnte“, erinnert sie sich und lacht. „Das war schon cool, das Einlaufen und dort mittendrin zu sein. Ich bin davor noch nie auf einen anderen Kontinent zum Skifahren geflogen“, erklärt die Athletin.  

Eine Medaille hat sie sich vor vier Jahren noch nicht sichern können und landete im Riesenslalom auf Platz sechs. Auch für dieses Jahr gibt sie sich bescheiden: „Ich gehe nicht ins Rennen und sage ‚ich will jetzt eine Medaille‘, damit würde ich mir zu viel Druck machen. Ich will einfach schnell Skifahren und mein bestes Können zeigen.“ Denn mit zu viel Druck mache ihr das Skifahren keinen Spaß mehr und Anna-Maria Rieder kennt ihr Erfolgsgeheimnis: „Wenn ich Spaß hab‘, dann fahre ich auch gut Ski.“ Und dass Rieder dann ganz oben mit dabei sein kann, hat sie bei der Schneesport-WM in Lillehammer Anfang des Jahres schon bewiesen: In der Super-Kombination schnappte sie sich Bronze, noch vor ihrer Teamkollegin Andrea Rothfuss. Ob Sie an diesen Erfolg anknüpfen kann, entscheidet sich am Montag, 7. März., da steht die Disziplin auf der paralympischen Piste an. 

Da bei der Weltmeisterschaft in Norwegen allerdings noch einige Starterinnen fehlten, kann eine Platzierung bei den Paralympics auch ganz anders aussehen. Cheftrainer Justus Wolf spricht den Athletinnen gleiche Chancen aus: „Zwischen Treppchen und Platz sieben ist alles drin“. Und Andrea Rothfuss weiß auch genau, auf welchen Platz sie will: „Der Traum von einer weiteren Medaille ist definitiv da“, verrät sie, „ich glaube nur, das wird dieses Jahr so schwer wie noch nie.“  

Vom Küken zum alten Hasen

Für die Athletin war schon die fünfte Qualifikation in Folge ein großer Erfolg. Mittlerweile ist sie die älteste Sportlerin im Ski alpin-Team. 2006 bei ihren ersten Spielen in Turin war sie mit 16 Jahren das Küken in der Gruppe: „Es war bombastisch aus diesem dunkeln Tunnel ins Stadion einzulaufen. Das war mit der einprägenste Moment der Spiele“, erinnert sie sich. Mit den Paralympics-Neulingen Christoph Glötzner und Leander Kress im Team fühlt sie sich an ihre Anfänge erinnert: „Wenn man sieht, wie besonders die Nominierung und die Einkleidung und das ganze Prozedere für die beiden ist und wie sie mit Begeisterung und Elan bei der Sache sind, da merkt man, wie viel Routine bei einem selbst eingekehrt ist, auch bei so besonderen Sachen. Dieses Feuer, das sie in sich tragen, das springt auch auf einen selbst über und man fiebert noch mal mehr mit.“  

Auch wenn Rothfuss laut eigener Aussage zwar schon ein „alter Hase“ im Skisport ist, weiß sie, aufregend wird es, wenn sie oben auf dem Bergkamm steht und ihr der Wind kurz vor der ersten Abfahrt um die Ohren pfeift. „Ich brauch das. Wenn die Nervosität kitzelt, bin ich wach, hoch konzentriert und ‚on fire‘.“  

Andrea Rothfuss auf dem Weg zu Platz vier im Abfahrts-Rennen bei den Paralympics in Peking.
Andrea Rothfuss auf dem Weg zu Platz vier im Abfahrts-Rennen bei den Paralympics in Peking.

© AFP

Die Aufregung darf nicht im Weg stehen

Auch Rieder hat einen Weg gefunden mit ihrer Aufregung umzugehen: „Ich glaube, ich kann das Ganze dieses Jahr besser verarbeiten, weil ich schon weiß, wie es abläuft. Klar, es ist ein Riesenevent, aber am Ende ist es ein Rennen mit blauen und roten Toren, wo du drum herumfahren musst und schnell Ski fahren darfst.“ 

Außerdem ist es manchmal eben doch praktisch, mit einer erfahrenen Teamkollegin in einer Startklasse anzutreten: „Ich frag schon ab du zu ‚wie hast du das gemacht?‘ oder ‚wie würdest du das machen?‘“, sagt Rieder. Im Training sei es aber schwer sich etwas abzuschauen, erklärt Rothfuss, da aufgrund der unterschiedlichen Behinderung andere Bewegungsspielräume möglich sind. Weil Rothfuss ohne linke Hand geboren ist, muss sie außerdem durch die Klassifizierung und Wertung im Wettkampf schneller als Anna-Maria Rieder fahren, um auf die gleiche Wertung zu kommen. Rieder ist durch ihre Hemiparese, eine Halbseitenlähmung, stärker in ihrer Bewegung eingeschränkt als Rothfuss.  

Für Rothfuss sind es vielleicht die letzten Spiele

Einen kleinen Tipp für die bevorstehenden Spiele hat Rothfuss dann aber doch für ihre jüngeren Teammitglieder: „Genießt es und saugt diese Atmosphäre in euch auf! Feier jeden Moment, den du da hast.“ Ein Rat, vielleicht auf für sie selbst, denn mit 32-Jahren sei die Wahrscheinlichkeit da, dass die Spiele in Peking möglicherweise die Letzten sind, meint Rothfuss.  

Eigentlich macht sich die Athletin aber noch keine Gedanken ums Aufhören: „Ich habe mich die letzten zwei Jahre ganz auf mich konzentriert und den Fokus auf die Spiele in China gelegt. Da bleibt keine Zeit, sich um etwas anderes Gedanken zu machen, was mich von meinem Ziel ablenken könnte.“ Außerdem sei Skifahren auch ein Sport fürs Alter, meint Rothfuss. Fit und verletzungsfrei, das seien die Grundvoraussetzungen. „Ansonsten lebt der Sport von deinem Erfahrungsschatz und davon, wie sehr du dich pushen kannst. Das Gesamtpaket zählt und der Kopf macht viel aus“, erklärt die Profisportlerin. Trotzdem weiß Rothfuss, sie muss das perfekte Rennen fahren, um an der Spitze dabei zu sein. Und auch wenn Rieder bescheiden bleibt, über eine Medaille würde sie sich sicher riesig freuen.

Sicher ist bei den beiden Winterathletinnen also wohl nur eins: Sie machen es spannend. Noch konnte sich keine der Beiden bei diesen Spielen eine Medaille schnappen, im Gegenteil zu Teamkollegin Anna-Lena Forster, sie holte sich ihr zweites Edelmetall im Super-G. Die paralympische Piste wird zeigen, wer zum Schluss die Nasenspitze vorne hat: Rieder oder Rothfuss. 

Elena Deutscher

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