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Winterpause. Wobei dass mit dem Winter eigentlich nicht so recht stimmt. Aber Fakt ist: Der Ball ruht.

© p-a/dpa

Willmanns Kolumne: Gebt mir den Ball zurück!

Die Winterpause im deutschen Fußball stellt für unseren Kolumnisten Frank Willmann eine - wenn auch nicht unbedingt existenzielle - aber doch wenigstens ernsthafte Bedrohung dar. Und damit steht er nicht allein.

Ich habe in Berlin seit zehn Tagen keine Sonne gesehen. Die Stimmung der Stadt ist trüb und verschmiert, unser Partykönig Wowi I. hascht im mürrischen Wahn nach Papierfliegern und träumt vom eigenen Wolkenpalast in Rosarot. Der wirklich wahre Messi ist zum vierten Mal Weltfußballer geworden! Gute Nachrichten sind spärlich, jeder funkelnde Stern sollte gehütet und gestreichelt werden wie ein seltener Schatz. Es ist viel einfacher, sich zu Hause die Decke über die Ohren zu hängen, als einen Ort zu finden, der nicht grau und schmutzig ist.

Die Berliner Gegenwart liegt matt im tristen Winter 2013. Ich bin mir dessen vollkommen bewusst. Irgendwas fehlt, aber ich kann nicht sagen, was es ist. Oder doch? Ist es die Scheinwintermüdigkeit, oder das Ende einer miesen Fußballsaison? Moment, die Saison ist doch noch gar nicht vorbei. Auch wenn das hysterische Geschrei wegen eines Flugzeuglandeplatz momentan alles übertönt und viele Menschen nicht mal mehr die Zeit finden, in Ruhe den Sportteil zu lesen.

Wir haben doch nur Winterpause. Ich weiß, ein schreckliches Wort, erfunden von geborenen Kriminellen. Doch es ist nicht von der Hand zu weisen, wir leiden unter dem Augenblick und machen uns Gedanken. Zu viele. Weihnachten ist durch, die Brieftaschen sind leer und die Herzen voller Angst. Skihasen bevölkern das TV. Ich sehe mich blonden Mädchen mit strammen Oberschenkeln ausgesetzt, die mit kleinkalibrigen Gewehren den Krieg ins Wohnzimmer tragen. Auch wenn's nur Zickenkrieg ist, in der Gesamtheit ist das Szenario genauso bedrohlich wie die flächendeckende Einführung von Schalensitzen. Die uns redliche Fußballfanatiker im Grunde in nach Fisch stinkende Schalentiere verwandeln. Wo ist der geliebte Ball geblieben? Der einfach getretene, gern auch aus Kunststoff.

Findige Geschäftsleute scheuchen eine Horde rentierter und deformierter Fußballer in überheizte Hallen, um uns bei Laune zu halten und uns mit überteuerten Getränken, die uns doch nur vorm Erstickungstod retten, den letzten Groschen zu rauben. Das schlimmste an der Sache, diese gewesenen Kicker sehen mit ihren komischen Bäuchen und mit ohnehaar aus wie wir. Igitt! Das habe ich nicht bestellt! Hallenfußball, welch gemeingefährliche Schöpfung! 

Dresdner Fans wollen den FDGB-Pokal wieder einführen

Aber was solls, für einen, der lebenslang den richtigen Sport liebt, sind diese Perioden des Phantomschmerzes auch nur Tage der Reinigung. Kein Skispringen, keine noch so verkommene Bemerkung Sepp Blatters über vor rassistischem Mob flüchtende schwarze Fußballer, nichts kann uns davon abhalten, an das Gute im Fußball zu glauben. Schon in wenigen Wochen schauen wir wieder Männern nach, die ihrem und unserem Lieblingsspielzeug hinterher rennen. Es müssen Männer sein. Ich will ihre stachligen Waden sehen, ihre pulsierende Halsschlagader, ihre aufgeblähten Hosen und Hemden im Wind, den wir ihnen und dem göttlichen Spiel zu Ehren am Spielfeldrand entfachen.

Eine kleine Bastelarbeit, gefunden am Elbestrand, erfreut nebenher mein Herz. Der emsige Sammler und Begründer des Dresdner Fußballmuseums, Jens Genschmar, hat ein rührendes Buchwerk zur Geschichte des Dresdner Fußballs heraus gegeben. Wie allen wahren Künder unseres Sports, hat er die Wiege an seinen Lieblingsort gestellt. Nicht ganz unerwartet heißt jener Ort Dresden. Und das Buch: Dresden – Wiege des Fußballs. Es besticht durch eine großartige Auswahl an Abbildungen und Dokumenten. Hut ab vor dieser Sammelwut! Das Buch ist eine Zierde jeder Schrankwand und ließ mich die streitsüchtigen blonden Bestien auf Skiern fast vergessen. Auch wenn ich als Jena-Fan naturgemäß der Ansicht bin, die Wiege des Fußballs steht selbstverständlich im Paradies, in Jena.

Dynamo Dresden ist mal wieder vom DFB wegen vermeintlicher Fanrandale gesperrt worden. Dynamo ist in Berufung gegangen, die Fangemeinde der einstigen Volkspolizeikicker indes sucht Trost im FDGB-Pokal. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund, der nebenher alles andere als frei war, sponserte regelmäßig den nationalen Pokalwettbewerb in der DDR. Nun haben Dynamo-Fans den grundlogischen Vorschlag gemacht, diesen Pokalwettbewerb wieder einzuführen. Um den finanziellen Verlust der Kaffeesachsen in Grenzen zu halten.

Ich sehe es schon deutlich vor meinem dritten Auge: Alle einstigen Zonenklubs werden teilnehmen, das Gewinnerteam darf  zwei Wochen Urlaub machen. In Nordkorea. Bikini, Sandburg, Folterkeller. Aus Chile wird eine Honeckermumie eingeführt, die den FDGB-Pokal überreicht. Die Spieler und Funktionäre können sich ein bisschen heldenhaft fühlen. Wie man hört, will die deutsche Wirtschaft Asiens letztem originalem Diktator Beine machen. Weil auch doch dort unten alles besser werden soll. 

Buchtipp: Dresden - die Wiege des Fußballs: Fußball in Bildern 1874-1945, Jens Genschmar, 159 Seiten, Verlag Edition Sächsische Zeitung Dresden 2012, 19,90 Euro

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