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Wüstenschnee. Der Schnee bei den Spielen in Peking kommt aus der Kanone.

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Die Paralympics im Nachhaltigkeitscheck: Wüstenwunderland

Winterspiele ohne Schnee? In China ist alles möglich. Nur das mit der Nachhaltigkeit klappt bei den Paralympics vielleicht nicht ganz.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

In Yanqing ist es sehr trocken. Und sehr kalt. Es gibt wunderbare Bilder aus China, kristallklare Luft, ein blauer Himmel. Und richtig hohe Berge sind zu sehen. Das Skigebiet liegt 2300 Meter über dem Meeresspiegel. Höhenunterschiede, die vergleichbar sind mit Austragungsorten von Ski-Weltcups, wie Kitzbühel oder St. Moritz. Also sei Yanqing „durchaus ansprechend“, sagt Hans Peter Schmid im Videogespräch. Er ist Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung am KIT-Campus Alpin in Garmisch-Partenkirchen. Nur leider schneit es ja fast nie, man käme akkumuliert auf nicht mal 15 Zentimeter. In St. Moritz sei es 17 Mal so viel. „Yanqing - das ist fast schon eine Halbwüste“, sagt Schmid.

Bei den Olympischen Spielen grenzte es beinahe an ein Wunder, als es plötzlich zu schneien begann und schneite und schneite und schneite. Es brachte die Abläufe gehörig durcheinander und fand nur wenig Bewunderung, die Sportler waren aufgrund des Naturschnees eher unglücklich.

Klimakiller Kunstschnee

Technischer Schnee ist planbarer, bringt mehr Sicherheit, ein „wichtiges Argument im Elite-Rennsport, wo man sich stark verletzten kann“, sagt Schmid. Die kalte und trockene Luft in Yanqing eigne sich bestens, um den technischen Schnee zu produzieren. Doch dafür braucht es Wasser. Sehr viel Wasser. Nis Grünberg, Lead Analyst am Mercator Institute for China Studies, forscht unter anderem zur nachhaltigen Entwicklung Chinas und bestätigt am Telefon den „großen Wassermangel der gesamten Region um Peking“. Die ohnehin knappen Wasservorräte würden noch mehr belastet werden.

Während der Spiele produziert das TechnoAlpin den Schnee vor Ort. Auf Nachfrage sagt das südtiroler Unternehmen, dass das Wasser an der Ski-Alpin-Rennstrecke aus einem Becken entnommen werde, welches sich in der Nähe der Hauptpumpenstation für die Beschneiungsanlage befände. Es habe aber keine Informationen, woher dieses Wasser käme.

Volle Kanone. Technischer Schnee ist für den Spitzensport bestens geeignet.
Volle Kanone. Technischer Schnee ist für den Spitzensport bestens geeignet.

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Um technischen Schnee haltbarer zu machen, werden zum Teil Zusätze in das gesprühte Wasser gegeben. In Deutschland, Österreich und in Italien ist das gesetzlich verboten. TechnoAlpin versichert, keine Zusatzstoffe zu verwenden. Die vom Unternehmen gelieferten Anlagen seien für den Einsatz bei den Spielen maßgeschneidert worden. Welches - eventuell chinesische - Unternehmen im Anschluss übernehmen wird, ist nicht bekannt. Auch die Lage in China ist nicht ganz klar.

Wie grün ist der Strom?

Neben dem Beifügen, etwa von Eiweißen abgetöteter Bakterien, und dem extrem hohen Wasserbedarf, sieht Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein die technische Beschneiung auch aufgrund des hohen Energieverbrauchs kritisch. Laut der Deutschen Presseagentur spricht ein Elektriker im Umspannwerk Gonghui davon, dass die Austragungsorte zu hundert Prozent mit grüner Energie versorgt werden würden. TechnoAlpin hat selbst keine Informationen darüber, „woher der Strom bezogen wird und wie grün dieser ist“.

Wie und ob die Angaben Chinas dazu überprüft werden, kann auch Experte Grünberg nicht sagen: „Das ist im Grunde der Kernpunkt“. Es bestünde aufseiten der Gastgeber ein Problem der Glaubwürdigkeit. Er sehe aber „zumindest theoretisch keinen Widerspruch mit dem, was möglich ist“. Eine grüne Bestromung sei physisch und infrastrukturell machbar, Grünberg habe keinen prinzipiellen Grund zur Skepsis. Natürlich seien die Winterspiele aber auch als ein Showcase gedacht. Für ihn sind die Winterspiele mehr als „nur Propaganda und Showeffekt“ – die Klimapolitik werde von China „schon ziemlich ernst genommen“, sagt er.

Umsiedeln für das Skiressort

Da stellt sich natürlich die Frage, inwieweit es klimapolitisch vertretbar ist, für den Bau einer Wettkampfstätte die Grenzen eines Naturschutzgebietes zu verlegen? Ob 600 angebrachte Vogelhäusern oder das Pflanzen von Bäumen diesen Verlust der Biodiversität ausgleichen? Aufgrund der angelegten Schneisen für die Skipisten warnt Schmid vor einer erhöhten Erosionsgefahr: In den Bergen käme es zu Schlamm, weiter unten zu Überschwemmungen.

Das Pflanzen von Bäumen soll den Verlust der Biodiversität ausgleichen.
Das Pflanzen von Bäumen soll den Verlust der Biodiversität ausgleichen.

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Weiter unten wohnen derzeit die paralympischen Sportlerinnen und Sportler. Und vorher die Einwohner und Einwohnerinnen von Teizicheng, Guyangshu und Xidazhuangke. 1583 Personen mussten vor vier Jahren ihre Heimat verlassen, um Platz zu schaffen für die Bauten, die die seit Jahrhunderten landwirtschaftlich geprägte Region erstrahlen lassen sollen. Die Ländereien der Familien mussten dem Traum von Olympia und dem geplanten Skiressort für die chinesische Oberschicht weichen. Auf Nachfrage schreibt das Internationale Olympische Komitee (IOC), wurden diese Personen aber in die Altersversicherung aufgenommen. Auch Grünberg spricht hier von möglichen Top-Down-Entscheidungen an Orten, die geografisch und strukturell schlichtweg die besten Möglichkeiten geboten hätten.

Laut IOC habe die Regierung der betroffenen Distrikte mit den Menschen verhandelt, sie umgesiedelt und Kompensierungen angeboten sowie Schulungen, um deren Lebensumfeld und -qualität zu verbessern. Das ZDF jedoch spricht von „Entwurzelung ohne Ausbildung, ohne Perspektive“. Umgesiedelte Familien haben bis heute keine Arbeit und leben noch von den Entschädigungszahlungen. Der Boden ist weg und die Zukunftspläne der Regierung schreiben Glanz und Glamour vor statt Landwirtschaft.

Die Veranstalter bewarben die Winterspiele als „Vision einer nachhaltigen Zukunft“. Doch selbst wenn der Bus mit grünem Strom fährt und Familien jetzt fließend Wasser haben, können auch die Vogelhäuser nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Winterspiele weit davon entfernt sind. 

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