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Die Mannschaft der Ukraine ist in Peking angekommen.

© imago images/AFLOSPORT

Der Ausschluss der Russen bei den Paralympics: Zeichenwende

Die Ukraine wird in Peking an den Start gehen. Die Teams der Russen und Belarussen dürfen nicht antreten. Einfach war diese Entscheidung für das IPC nicht.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Die Ereignisse überschlugen sich in den vergangenen Tagen. Nach der Entscheidung vom Mittwoch, als das Internationale Paralympische Komitee (IPC) den Start der Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus unter neutraler Flagge genehmigt hatte, wurde der öffentliche Druck auf IPC-Präsident Andrew Parsons zu groß. Begründung war gewesen, dass sich der Dachverband an seine Regeln halte und dass „die Athleten nicht die Aggressoren“ des Krieges der Russen in der Ukraine seien. 16 Stunden später beschloss der IPC-Vorstand nach einer eigens einberufenen Sitzung den Athletinnen und Athleten die Teilnahme an den Paralympics in Peking nun doch zu verweigern.

Karl Quade, Chef de Mission der deutschen Mannschaft, hatte durchaus Respekt für diese Rolle rückwärts. „Das ist in der internationalen Sportpolitik noch nicht so häufig vorgekommen“, sagt er. Die Entscheidung verhindere aber natürlich nicht den fürchterlichen Krieg, deshalb gelte weiterhin „unser Mitgefühl den Menschen in der Ukraine“.

Es ging für einen kurzen Moment unter, dass es die Mannschaft der Ukraine bis nach Peking geschafft hatte und trotz der Situation im eigenen Land an den Start geht. „Es ist ein Wunder, dass wir hier sind“, sagt Valerij Schuskewitsch, der Präsident des Nationalen Paralympischen Komitees der Ukraine: „Der einfachste Weg wäre gewesen, in der Ukraine zu bleiben. Aber wenn die Ukraine bei den Spielen abwesend ist, würde dies bedeuten, dass es die Ukraine in der Welt nicht mehr gibt.“ Ein Teil der Mannschaft war zu Kriegsbeginn in einem Trainingslager in Italien gewesen und von dort nach China aufgebrochen. Der Teil aus der Ukraine musste erst außer Landes gebracht werden. Bei der Eröffnungsfeier am Freitag in Peking lief das Team als vierte Nation ein. Und das taten sie sehr stoisch. Vereinzelt streckten Athleten ihre Faust gen Himmel.

Russland bricht bereits zum dritten Mal den Olympischen Frieden

Der russische Präsident Wladimir Putin hat mit dem Kriegsbeginn bereits zum dritten Mal den Olympischen Frieden gebrochen, der für gewöhnlich bis eine Woche nach den Paralympics gilt. Das erste Mal geschah dies 2008, als Putins Truppen in Georgien einmarschierten. 2014 folgte die Besetzung der Krim. Für Friedensforscher Wolfgang Dietrich ist diese Nähe zu den Olympischen Spielen vielleicht nicht zufällig: „Es könnte Teil der kommunikativen Kriegsführung sein. Gerade bei diesem Krieg sehen wir, wie wichtig das ist. Es sind ja nicht nur die Waffen, die da sprechen“, sagt der Professor von der Universität Innsbruck. Er und viele Altersgenossen seien mit diesem Respekt vor dem Olympischen Gedanken aufgewachsen, erklärt er: „Mit dem Angriff auf die Ukraine schändet Putin diesen Gedanken.“

Bei der Eröffnungsfeier 2014 in Sotschi vertrat aus Protest lediglich Mykhaylo Tkachenko sein Land. Bei Siegerehrungen deckten die ukrainischen Sportler die Medaillen mit den Händen ab.
Bei der Eröffnungsfeier 2014 in Sotschi vertrat aus Protest lediglich Mykhaylo Tkachenko sein Land. Bei Siegerehrungen deckten die ukrainischen Sportler die Medaillen mit den Händen ab.

© picture alliance / dpa

Der Olympische Frieden wird von den Vereinten Nationen per Resolution verabschiedet. „Es ist ein nobler Gedanke – aber nicht alle Menschen mit politischer oder militärischer Verantwortung sind auch nobel“, sagt Dietrich: „Olympische Spiele wurden schon oft für politische Zwecke missbraucht. Ein Beispiel ist Berlin 1936.“

Dass Russland den Frieden nicht schon während Olympia gebrochen hat, sieht der Experte in der Freundschaft zu China begründet: „Meiner Ansicht nach eine Frage der diplomatischen Taktik. Eine Woche eher hätte China sehr verärgert.“ Seine Position zum Ausschluss der Russen bei den Paralympics ist klar: „Ich finde es zynisch zu sagen, während die einen mit Raketen auf zivile Städte schießen, sollen die anderen bei irgendwas um die Wette kämpfen.“

Bei Olympia protestierte ein Ukrainer gegen den Krieg

Die Sportlerinnen und Sportler der übrigen Nationen, die in den kommenden neun Tagen an den Start gehen, wollen den Fokus nun auf ihre Leistungen lenken. „Nein, über eine Geste der Solidarisierung mit den Ukrainern habe ich bisher nicht nachgedacht“, sagt Anna-Lena Forster, die bei der Eröffnungsfeier zusammen mit Martin Fleig die deutsche Fahne trägt. Das IPC will solche Bekundungen wohl auch vermeiden.

Dieser Einschnitt in die Meinungsfreiheit sei ein Problem, erklärt Mareike Miller, Kapitänin der Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft und Präsidiumsmitglied bei Athleten Deutschland e.V.: „Sportlerinnen und Sportler, die sich innerhalb des menschenrechtlich gedeckten Rahmens zu Anliegen ihrer Wahl äußern wollen, sollte diese Möglichkeit offenstehen. Das gilt auch für das Podium oder das Spielfeld.“

Vladyslav Heraskevych aus der Ukraine hielt bei Olympia ein Plakat in die Kameras.
Vladyslav Heraskevych aus der Ukraine hielt bei Olympia ein Plakat in die Kameras.

© IOC/OBS/Handout via Reuters

Bei den Olympischen Spielen hatte der ukrainische Skeleton-Rennfahrer Vladyslav Heraskevych ein Schild mit der blau-gelben Flagge und der Aufschrift „No War in Ukraine“ hochgehalten. Das IOC ergriff keine Sanktion – offizielle Erklärung: „,Kein Krieg’ sei eine Botschaft, mit der wir uns alle identifizieren können.“ Miller geht fest davon aus, dass einige Sportlerinnen und Sportler die Aufmerksamkeit der nächsten Tage nutzen werden, um Zeichen zu setzen.

Für die Ukraine beginnt der Protest mit der bloßen Anwesenheit. „Sie ist ein Zeichen dafür, dass die Ukraine ein Land war, ist und bleibt“, sagt Schuskewitsch.

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