zum Hauptinhalt
Kreml in Moskau.

© dpa

Deutschland und Russland: Vernetzt mit dem Kreml

Kaum ein Land ist so gut mit Russland vernetzt wie Deutschland. Wer knüpft im politischen Berlin die entscheidenden Kontakte nach Moskau?

Für Matthias Platzeck war es einer der ersten großen Auftritte in seinem neuen Amt an der Spitze des Deutsch-Russischen Forums (DRF). Der frühere Brandenburger Regierungschef hatte am vergangenen Donnerstag Wladimir Jakunin zu Gast, den Chef der russischen Staatsbahn, der zum engen Machtzirkel um Präsident Wladimir Putin zählt und dem Kuratorium des DRF angehört. Es ist das Credo der Organisation, den Dialog mit Russland auch in schwierigen Zeiten weiterzuführen. Doch als Jakunin begann, das Podium für antiwestliche und schwulenfeindliche Propaganda zu nutzen, wurde deutlich, dass die renommierte Organisation Gefahr läuft, sich zu einem Sprachrohr des Kremls machen zu lassen.

Das Forum ist die bekannteste Organisation, die sich um das deutsch-russische Verhältnis bemüht. Auf den ersten Blick beeindruckt die Mitgliederzahl von 384 wenig. Anders als in anderen bilateralen Freundschaftsgesellschaften sind die meisten Mitglieder des DRF allerdings keine normalen Bürger. Mehr als die Hälfte von ihnen kommt aus der Wirtschaft, jedes zweite Dax-Unternehmen gehört dem DRF an. Die Organisation wirbt offensiv um Firmen und preist in einer Imagebroschüre die guten Kontakte nach Russland als „Mehrwert“ an: „Wir sind ein Partner mit exzellentem Renommee und den besten Verbindungen – unseren Mitgliedern stehen in beiden Ländern alle Türen offen.“ Außerdem verspricht das Forum Hilfe bei der Personalakquise und mit Kontakten in die russischen Regionen über „Elitenetzwerke“.

Im Vorstand des DRF sitzt kein einziger Putin-Kritiker

Tatsächlich holt das DRF immer wieder hochrangige russische Politiker zu Podiumsdiskussionen nach Berlin, die für Russlandinteressierte aus Politik und Wirtschaft als Pflichtprogramm gelten. Dagegen findet ein vergleichbarer Dialog mit kremlkritischen Russen oder Vertretern der Zivilgesellschaft kaum statt. Ähnliches spiegelt sich auf der Projektebene wider. Im Bereich Jugendaustausch werden Begegnungen von „Young Leaders“ oder Karrierebörsen organisiert – Projekte, die auch die Interessen der Mitgliedsunternehmen im Blick haben. Ein Schüleraustausch wird dagegen weder angeboten noch direkt gefördert.

Im Vorstand des DRF sitzt kein einziger Putin-Kritiker. Neu dabei ist seit März Philipp Mißfelder, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion und kürzlich dadurch aufgefallen, dass er gemeinsam mit Altkanzler Gerhard Schröder und Putin in St. Petersburg feierte. Weitere Vorstandsmitglieder sind unter anderen Sergej Nikitin von der russischen Handelskammer in Berlin sowie der Unternehmensberater Heino Wiese, der früher SPD-Bundestagsabgeordneter war und zuvor Wahlkampf für Schröder gemacht hatte. Auch der Energiekonzern Wintershall und die Commerzbank sind im Vorstand vertreten.

Ehrenamtlicher Forschungsdirektor des DRF ist Alexander Rahr, eine Schlüsselfigur in den informellen deutsch-russischen Netzwerken. Wegen seiner guten Kontakte in den Kreml wurde er bei den Bemühungen um eine Freilassung des Ex-Jukos-Chefs Michail Chodorkowski zu Rate gezogen. Kritiker sehen Rahr dagegen als führenden Putin-Apologeten in Deutschland. In der öffentlichen Debatte taucht Rahr oft nur als „Russland-Experte“ auf – dabei arbeitet er als Berater für Wintershall, ein Unternehmen, das eng mit Gazprom kooperiert.

Die Wirtschaft nutzt die Treffen, um Anliegen direkt an die russische Führung heranzutragen

Organisatorisch vom DRF getrennt, aber praktisch mit ihm eng verbunden ist der Petersburger Dialog. Dieser soll die Zivilgesellschaften beider Länder zusammenbringen, aber angesichts politischer Differenzen stockt das Gespräch gerade in diesem Bereich. Dagegen wird der Austausch in den Arbeitsgruppen Wirtschaft, Bildung und Kultur als gut beschrieben. Als jedoch im vergangenen Jahr Bundeskanzlerin Angela Merkel und Putin anders als üblich nicht an der Abschlussrunde teilnahmen, sprangen Sponsoren ab. Ein Zeichen dafür, dass die Wirtschaft die Treffen in erster Linie dafür nutzt, ihre Anliegen direkt an die russische Führung heranzutragen. Den deutschen Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs leitet Lothar de Maizière (CDU), der letzte Regierungschef der DDR. Das Gremium ist mit Vertretern aus Parteien, Stiftungen und der Wirtschaft besetzt, die Gräben zwischen Putin-Kritikern und jenen, die um mehr Nachsicht mit Russland werben, sind groß.

Die älteste Organisation, die sich den deutsch-russischen Beziehungen widmet, ist der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Getragen wird er von fünf Spitzenverbänden, darunter der Bundesverband der deutschen Industrie. Rund 200 Firmen, vom Mittelständler bis zum Dax-Unternehmen, gehören dem Ost-Ausschuss an. Den Arbeitskreis Russland leitet EonVorstand Bernhard Reutersberg, der zugleich Kuratoriumsvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums ist. Der Ost-Ausschuss tritt für eine engere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Russland nach dem Motto „Wandel durch Handel“ ein. Derzeit warnt der Vorstandsvorsitzende Eckhard Cordes davor, dass umfassende Sanktionen gegen Russland der europäischen Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen würden. Es gebe in der Ukraine-Krise „gemeinsam auch eine Menge zu verlieren“, betonte Cordes. Der Ost-Ausschuss gilt als sehr einflussreich im politischen Berlin.

Die Agenda-Titelseite vom 20. Mai.
Die Agenda-Titelseite vom 20. Mai.

© Tsp

Ein Pendant auf russischer Seite ist der Verband der russischen Wirtschaft in Deutschland, der 2011 in den Räumen der russischen Botschaft in Berlin gegründet wurde. Stellvertretender Vorsitzender ist Alexander Rahr. Und auch ein anderer alter Bekannter vertritt nun die Interessen der russischen Wirtschaft: Co-Präsident des Beirates ist Ex-Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der dieses Amt bereits innehatte, als er noch im Bundestag saß. Gemeinsam mit der russischen Botschaft und dem Ost-Ausschuss veranstaltete der Verband 2013 den Unternehmerkongress Deutschland-Russland. Der einzige Gastredner aus der aktiven Politik war Mißfelder.

Eine weitere Neugründung im Bereich der deutsch-russischen Netzwerke, der Verein „Deutschland-Russland – Die neue Generation“, wendet sich an junge Führungskräfte. Bei der Gründung stand der ehemalige russische Botschafter Wladimir Kotenjow Pate. Seine Frau sitzt im Kuratorium, die beiden Kinder waren anfangs im Vorstand. Dem Kuratorium gehören zudem Rahr, Glos und der Unternehmensberater Wiese an – auch Mißfelder ist wieder dabei. Der einzige weitere aktive Politiker in dem Gremium ist der niedersächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil, der früher sowohl in Schröders als auch in Wieses Wahlkreisbüro gearbeitet hat. Geldsorgen hat der Verein nicht, er verweist stolz auf hochkarätige Unterstützer aus der Wirtschaft. Die jährliche „Young Leaders“-Konferenz wird von Eon und Gazprom Germania gesponsert – und von der russischen Staatsbahn, deren Chef Jakunin ist. Diese Förderung deutet darauf hin, dass man das Netzwerk im Kreml mit Wohlwollen betrachtet.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 20. Mai 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag in Sitzungswochen des Bundestages erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

Zur Startseite