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Präventionsambulanz: Auf die sanfte Tour

Beifußkrautrauch bei Bauchschmerzen, Qi-Gong gegen Menstruationsstörungen: An der Charité vereint die neue Präventionsambulanz jetzt Schul- und Alternativmedizin.

Sophie Blumenthals* Körper funktioniert seit fünf Jahren nicht mehr wie der einer gesunden Frau. Ihre Menstruation hat ausgesetzt und kommt nicht wieder. Amenorrhö wird das genannt, und bei Sophie Blumenthal hat es vermutlich eine psychische Ursache. Sie hat auch Darmprobleme, und das Luftholen fällt ihr manchmal schwer. Dabei ist sie erst 21. „Ich war schon öfter bei anderen Ärzten, die mir hier und da Pillen gegen die Symptome verschrieben haben. Aber die haben nie richtig geholfen“, sagt sie.

Deshalb sitzt sie an einem Sommernachmittag Michael Teut gegenüber, in einem der zwei frisch gestrichenen Behandlungszimmer der gerade eröffneten Ambulanz für Prävention und Integrative Medizin (Champ) der Charité. Teut ist einer von sechs Ärzten, die dort eine für das Klinikum neue Form der Behandlung ausprobieren. Teut ist Allgemeinmediziner, aber auch Spezialist für Homöopathie und Naturheilkunde. Eine Stunde lang fragt er seine neue Patientin aus. „So viel bin ich noch nie gefragt worden. Das ging ja querbeet“, sagt Sophie Blumenthal hinterher.

Sie soll ihm zum Beispiel alles darüber erzählen, was sie isst und trinkt. Also spricht sie von ihrem Heißhunger auf Ananas und Rote Beete. „Das ausführliche Erzählen über den Allgemeinzustand hat schon eine therapeutische Wirkung wie bei einer Psychotherapie“, sagt Teut. Er halte sich zurück, spreche selbst möglichst wenig. Narrative Medizin nennt sich das. Nach dem Gespräch verschreibt Teut Sophie eine homöopathische Lösung und rät zu Qi-Gong-Kursen, die in der neuen Ambulanz abgehalten werden. Qi Gong ist eine chinesische Meditations- und Bewegungsform und Teil der traditionellen chinesischen Medizin.

Außerdem bekommt Sophie Blumenthal Informationen zu den Vorträgen, die die Mitarbeiter regelmäßig anbieten, um in ihre Arbeit einzuführen – in die Komplementärmedizin. Dazu gehören für Ambulanzgründer Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin, alle Alternativen zur Schulmedizin – sogar Omas Hausmittel wie Zwiebelohrenwickel. Für die Vorträge über ihre richtige Anwendung hat Willich die Heilpraktikerin und Buchautorin Annette Kerckhoff engagiert. „Auch das ist ein Element der Naturheilverfahren“, sagt Willich. „Wenn auch ein untergeordnetes.“

Teuts Kollege Benno Brinkhaus bestätigt das. Er kennt sich besonders gut mit Tees aus. Außerdem ist er Akupunkturexperte und wendet Verfahren wie die Moxibustion an: Eine Zigarre aus Beifußkraut wird neben dem kleinen Zeh abgebrannt, um etwa Bauchschmerzen zu behandeln. Aber Brinkhaus ist auch Internist, konventionelle Medizin bleibt ein wichtiger Bestandteil seiner Behandlung: „Als Arzt habe ich immer vor Augen, dass die Beschwerden etwas sehr Ernstes sein können, wie ein Tumor.“ Wenn „die Alarmglocken läuten“, schickt er den Patienten sofort zum zuständigen Facharzt.

„Mit der Ambulanz wollen wir die Trennung zwischen Schulmedizin und Alternativverfahren aufheben, sie integrieren“, sagt Willich. Bis vor Jahren noch standen sich die Lager recht misstrauisch gegenüber, aber jetzt bewegen sie sich aufeinander zu. Rund 250 der 6300 bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin registrierten Mediziner haben inzwischen eine homöopathische Zusatzqualifikation. Mit der Einrichtung der Ambulanz sei diese Tendenz zum ersten Mal in einer Universitätsklinik angekommen, sagt Stefan Willich. Und „es kooperieren viele Kollegen, von denen ich das nicht erwartet hätte“.

Vorbehalte gegen die Ambulanz sind aber noch nicht überall abgebaut. Günther Jonitz zum Beispiel, Chirurg und Präsident der Ärztekammer Berlin, sagt, grundsätzlich seien zwar „die meisten Todesursachen vermeidbar durch eine gesunde Lebensweise, vor allem Herzinfarkte und Schlaganfälle“, er sei auch sehr für Alternativverfahren – jedoch seien individuelle Präventionsangebote wie das der Ambulanz nicht besonders geeignet: „Solche Einzelangebote nutzen fast ausschließlich Menschen, die sowieso schon auf ihre Gesundheit achten. Die wirklich Gefährdeten werden kaum in die Ambulanz kommen.“ Deshalb müsse Prävention auf der sozialpolitischen Ebene geschehen.

Da stimmen ihm die Ambulanzärzte zu. „Für die Krankenkassen hat Prävention einen viel zu niedrigen Stellenwert“, sagen sie. 2,74 Euro Ausgaben für Prävention – das ist der Richtwert im Sozialgesetz pro Versichertem und Jahr. Dabei gilt Prävention mittlerweile als wichtiger medizinischer Faktor. Auf den Zusammenhang von Lebensweise, Gesundheit und Lebenserwartung weist etwa das Robert- Koch-Institut in der aktuellen Studie „Gesundheit in Deutschland“ hin.

Stefan Willich forscht seit zehn Jahren auf dem Gebiet der integrativen Medizin. In dieser Zeit haben Mitarbeiter seines Instituts zum Beispiel nachgewiesen, dass Akupunktur als Zusatz zu herkömmlichen Therapien tatsächlich wirksam ist. Das zeigte eine Studie mit mehr als 100 000 Patienten. Sie litten unter Migräne und anderen chronischen Schmerzerkrankungen. „Es ist ein logischer Schritt, diese Ergebnisse jetzt in der Versorgung anzuwenden.“

Das Angebot der Ambulanz richtet sich zum einen an gestresste Menschen, die einer Erkrankung vorbeugen wollen. „Ein Beispiel wäre der viel beschäftigte 45-jährige Manager, der wissen will, ob mit seinem Herz-Kreislauf-System alles in Ordnung ist und wie er einen Schlaganfall verhindern kann“, sagt Stefan Willich. Ab August stehen zwei sogenannte Gesundheitstrainerinnen bereit: eine Psychologin und eine Kommunikationswissenschaftlerin. Sie werden Antistresstraining, Bewegungstraining und Ernährungsberatung anbieten. Und sie werden helfen, den „Alltag umzuprogrammieren“.

Patienten der zweiten Ambulanzzielgruppe empfehlen die Ärzte ebenfalls häufig eine Lebensumstellung: Es sind chronisch Kranke, etwa mit Rückenleiden oder Migräne. „In der Akutmedizin sind Schulmediziner richtig gut, bei chronischen Erkrankungen können wir oft nur sehr eingeschränkt helfen“, sagt Stefan Willich. Wie bei Sophie Blumenthal. Willichs Kollege Teut hat ihr ein niedrig dosiertes homöopathisches Mittel verschrieben, das die körpereigene Selbstheilung anregen soll. In großen Dosen ruft es die gleichen Symptome hervorruft, unter denen der Patient leidet. Per E-Mail soll sie mit Teut in Kontakt bleiben und ihm berichten, wie es ihr geht.

Wie bei allen anderen Patienten der Ambulanz werden ihre Daten ausgewertet. Denn „Champ“ ist in erster Linie eine Forschungseinrichtung. Willich will mit seinem Team die Wirksamkeit alternativer Medizin nachweisen; bislang sei es vor allem die schlechte Datenlage für die Wirksamkeit, die Skepsis hervorrufe. Studienergebnisse seien nötig, um seinem Projekt Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Für Probanden der geplanten Sonderstudien zu einzelnen Medikamenten, zum Beispiel zu anthroposophischen Arzneien, ist die Behandlung in der Ambulanz übrigens kostenlos. Alle anderen müssen selbst zahlen – nach einer Preisliste, die gerade erstellt wird; ein langes Erstgespräch mit einem Arzt kostet zum Beispiel 80 bis 100 Euro. *Name geändert

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