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Die Medaillen im Snowboard Cross SB-UL-Event der Männer gingen alle nach China.

© Imago

Gastgeber China räumt bei Paralympics ab: Mission Wintergold

Bislang spielte China bei Winter-Paralympics so gar keine Rolle. Doch nach einer „Talentfindung unter Zwangsmaßnahmen“ trumpft das Gastgeberteam nun auf.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Für die chinesische Regierung sind die Paralympics eine Machtdemonstration. Mit der Vergabe der Sommerspiele 2008 an Peking begann das Wettrüsten. Die größten und meisten Trainingszentren im Para-Sport stehen heute in China, der Staat steckte Millionen in den Erfolg. Menschen mit Beeinträchtigungen aus den entlegensten Winkeln des Landes wurden zusammengezogen und gesichtet. „Das ist ein Darwinismus“, sagte die deutsche Paralympics-Legende Karl Quade einmal, „den andere Länder sich nicht leisten können oder nicht leisten wollen.“

Mit reichlich Expertise aus dem Ausland produziert China seit fast 20 Jahren Paralympicssieger am Fließband. Die Volksrepublik holte bei den vergangenen fünf Sommerspielen die allerallermeisten Medaillen.

Da stellt sich natürlich die Frage: Lässt sich diese Erfolgsgarantie auch für die Heimspiele im Winter sichern? Bislang reichte es für die wenig wintersportaffinen Chinesen lediglich zu einer einzigen Medaille. Dass sich das unbedingt ändern soll, zeigen die Anstrengungen, die China seit der Vergabe 2015 unternimmt. Es klang nach einem wahnwitzigen Kommando. Doch am ersten Wettkampftag der Winterspiele holten die chinesischen Sportlerinnen und Sportler direkt die meisten Medaillen (acht) unter den teilnehmenden Nationen.

Die Anzahl der Wintersportler mit Beeinträchtigung erhöhte sich seit 2015 in kurzer Zeit von 50 auf 1000. Das lag vor allem daran, dass China seine gewachsenen Strukturen nutzte und den Para-Sportlern eine neue Mission auftrug. Aus Leichtathleten wurden Biathleten, aus Handbikern Skifahrer und aus Basketballern Eishockeyspieler. „Talentfindung geht mit Sicherheit, wenn man das mit Zwangsmaßnahmen macht – wie wir das auch aus anderen Ländern kennen – schneller als bei uns, aber das ist Spekulation“, sagt Präsident Friedhelm Julius Beucher vom Deutschen Behindertensportverband.

Die Ausbildung übernahmen Profis aus dem Ausland

Seit mehreren Jahren nun erlernen all diese Sportlerinnen und Sportler nahezu komplett neue Bewegungsabläufe, fast keiner von ihnen bewegte sich zuvor schon mal auf Skiern oder Kufen. Die Ausbildung übernahmen dabei zu einem großen Teil professionelle Trainer aus dem Ausland. Der riesige Vorsprung, den Nationen mit Wintersporttradition gegenüber den Beginnern aus China haben, sollte – so die Vorstellung der Regierung – im Schnelldurchlauf aufgeholt werden. Einem Pyramidensystem gleich sind die Talentiertesten mit dem größten Willen durchgekommen. Die Spitzenteams der einzelnen Disziplinen sind in Leistungszentren einquartiert und trainieren von morgens bis abends. Bei den wenigen Weltcups, die trotz Pandemie möglich waren, sorgten die chinesischen Starter mit einigen Podestplatzierungen bereits für Staunen. Am Samstag war das Aufsehen schließlich groß, als das Team China mit zwei Goldmedaillen und jeweils drei Mal Silber und Bronze die Wettkampftage erfolgreich begann.

Zhu Daqing und ihr Guide Yan Hanhan gewannen Silber für China.
Zhu Daqing und ihr Guide Yan Hanhan gewannen Silber für China.

© IMAGO/Xinhua

Der Erfolg des Para-Sports wirkt in China durchaus bis in die Gesellschaft hinein. Zumindest in den Großstädten. Laut Karl Quade, langjähriger Chef de Mission des deutschen Teams, sei es wichtig, dass solche Großveranstaltungen im Gastgeberland zu nachhaltigen Veränderungen führen. Peking beschreibt er als gutes Beispiel dafür. Die Barrierefreiheit habe deutlich zugenommen. Dennoch bleibe viel zu tun.

Als einer der ersten Staaten unterzeichnete China vor den Heimspielen die UN-Behindertenrechtskonvention. In Unternehmen und an Universitäten gilt eine Quote für Menschen mit Behinderung – doch die Strafgelder bei Nichteinhaltung sind so gering, dass viele lieber zahlen. Zudem hapert die Inklusion nicht nur im Arbeitsmarkt, sondern meist schon früher an den Schulen: Die Hälfte der Menschen mit Beeinträchtigung seien Analphabeten, sagte Yang Li Xiong von der Volksuniversität Peking vor einiger Zeit dem Deutschlandfunk. „Ihre Situation gleicht eher dem Leben in einem Gefängnis“, ergänzte der Professor.

Da heraus schaffen es wohl vor allem die Para-Sportler, die wenigen unter vielen Tausenden, denen bei einer Medaille eine satte Prämie winkt. Doch wirklich frei, das kann man nicht anders sagen, klingt auch ihr Leben nicht.

Lilith Diringer

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