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In Griechenland bleiben einigen Banken ganz geschlossen. Vor allem für Rentner, die oft keine EC- oder Kreditkarten haben, ist die Situation schwierig.

© AFP

Bankenkrise in Hellas: Griechische Bankautomaten: Bei 60 Euro ist Schluss

Die Banken sind geschlossen, Athen ist im Ausnahmezustand. Verzweifelt versuchen vor allem Rentner, an Bares zu kommen. Bisher waren viele Griechen gegen weitere Sparmaßnahmen, aber jetzt könnte die Stimmung kippen – gegen die eigene Regierung.

Sie schimpft, sie flucht, sie verdammt sie. „Verbrecher! Diebe! Das sind sie alle, die Politiker, die Banker!“ Die kleine, alte Dame will sich nicht beruhigen. Maria Kontopoulou, 81, steht zusammen mit anderen Rentnern vor einem Nebeneingang an der Athener Hauptfiliale der National Bank of Greece, einem der größten privaten Geldinstitute des Landes. „Und ich habe diesen Tsipras auch noch gewählt“, sagt sie. Die Rentner, die hier Schlange stehen, diskutieren mit dem Direktor der Niederlassung, einem Mann mit marineblauen Anzug und randloser Brille. Ihm ist der Stress anzusehen: Er zieht unaufhörlich an seiner E-Zigarette.

„Wie kommen wir jetzt nur an unsere Rente?“, fragt Kontopoulou. „Ich muss doch etwas essen, meine Miete zahlen. Wo soll das nur hinführen?“ Schon den ganzen Vormittag geht das so, seit Stunden muss der Filialleiter wütende Senioren beruhigen. In den Händen halten sie ihre Kontobücher, denn gerade ältere Menschen besitzen in Griechenland häufig keine EC- oder Kreditkarten. Normalerweise ist das kein Problem, sie bekommen ihr Geld direkt am Schalter ausgezahlt.

Seit Montag aber heißt das, dass sie nicht einmal die 60 Euro am Geldautomaten abheben können, die trotz der Kapitalverkehrskontrollen jeder griechische Bankkunde am Tag noch bekommt. Lange hatten sich Premierminister Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis gegen Kapitalkontrollen und eine Schließung der Banken gesträubt. Nachdem am Wochenende die verunsicherten Kunden aber rund zwei Milliarden Euro aus den Geldautomaten geholt hatten, schien dieser Schritt unvermeidlich. Den Banken drohte der Zusammenbruch, zumal die Europäische Zentralbank (EZB) nicht bereit ist, die Notkredite für die griechischen Banken weiter zu erhöhen.

Die Bankschalter sind nun geschlossen, aber auch an den Geldautomaten – die meisten sind seit Montagmittag wieder in Betrieb - ist nicht viel zu holen. Mit maximal 60 Euro pro Tag geht es in Griechenland noch weitaus knapper als in Zypern zu, wo im März 2013 während der Finanzkrise ebenfalls die Banken für eine Woche schlossen. Die Zyprer konnten damals anfangs 100 Euro, später 300 Euro pro Tag aus den Automaten ziehen.

Der Athener Bankdirektor versucht, die aufgebrachten Rentner zu beschwichtigen. „Heute Nachmittag wird eine Liste von Bankfilialen veröffentlicht, die morgen nur für die Auszahlung der Renten öffnen werden“, sagt er. Tatsächlich hat die Regierung verkündet, dass die Banken für die Rentner eine Ausnahme machen werden. „Und wie sollen wir von der Liste erfahren?“, fragt Kontopoulou zurück. Der Filialleiter überlegt kurz. „Das wird dann wohl im Fernsehen kommen“, antwortet er schließlich.

Sie verstecken das Geld unterm Kopfkissen

Athen befindet sich am Montag im Ausnahmezustand. Seit Monaten hat sich die Lage im Land zugespitzt, schon seit Wochen fühlten sich viele Griechen als lebten sie in einer Art neumodischem Pompeji. Irgendwie drohte die Katastrophe, aber sie war nicht greifbar. Auf eine Deadline folgte die nächste, Ultimaten wurden gesetzt und wieder verlängert. Also gingen die Menschen weiter arbeiten, an den Strand, ins Café, die Sommerferien begannen. Jetzt aber ist sie da: die Katastrophe. Und sie wird live in die ganze Welt übertragen. Rund um das Parlament sind die Sendewagen internationaler Fernsehstationen aufgefahren. Die Regierung versucht, zumindest provisorisch gegenzusteuern und hat angeordnet, dass Busse und Bahnen kostenlos fahren, weil viele Menschen nicht mehr genügend Bargeld haben, um sich ein Ticket zu kaufen.

Dass den Griechen nun wegen der Kapitalverkehrskontrollen innerhalb einer Woche das Bargeld komplett ausgehen könnte, ist aber wohl nicht zu befürchten. Denn von den rund 37 Milliarden Euro, die Unternehmen und Privatkunden in den vergangenen sechs Monaten wegen der politischen Turbulenzen von ihren Konten abgezogen haben, ist nach Schätzungen aus Bankenkreisen nur etwa ein Fünftel ins Ausland geflossen. Finanzexperten gehen davon aus, dass die Griechen rund 15 bis 20 Milliarden Euro in ihren Wohnungen versteckt oder in Schließfächern gebunkert haben.

Premierminister Alexis Tsipras hat sich am Sonntagabend in einer Fernsehansprache an die griechischen Bürger gewandt: Die Beschränkungen der Notkredite für griechische Banken durch die Europäische Zentralbank und die Entscheidungen der Eurogruppe zielten darauf ab, Griechenland zu erpressen und die demokratische Abstimmung zu verhindern, beschwor der Premier die Zuschauer. Nun gelte es, ruhig zu bleiben. Bankguthaben seien sicher, Renten und Gehälter würden weiter gezahlt.

Überweisungen in andere Länder sind vorerst nicht möglich. Wer zum Beispiel Geld ins Ausland schicken will, weil dort der Sohn oder die Tochter studiert, muss eine Genehmigung der Finanzbehörden einholen. Wie das in der Praxis funktionieren soll, ist noch unklar. Auch wenn die Bankfilialen frühestens am 7. Juli wieder öffnen sollen, also am Dienstag nach dem geplanten Referendum, laufen die meisten Transaktionen normal weiter. Überweisungen innerhalb des Landes sind per Internet- oder Telefonbanking möglich. Auch Daueraufträge werden planmäßig ausgeführt. Zahlungen mit Kreditkarten sind ebenfalls möglich.

Touristen können unbegrenzt Geld abheben

An anderen Banken bildeten sich Schlangen vor den Geldautomaten.
An anderen Banken bildeten sich Schlangen vor den Geldautomaten.

© dpa

Anders als in Zypern, gibt es es in Griechenland Ausnahmen für Touristen: Wer mit einer ausländischen Kredit- oder Bankkarte an einen Geldautomaten geht, für den gilt die 60-Euro-Grenze nicht. Er kann so viel Geld aus dem Automaten ziehen, wie es dem Limit seiner Karte entspricht. Und wie geht es den Touristen in dieser Situation?

Erstmal geht der Urlaub für die meisten weiter wie gehabt. Am Fuß der Athener Akropolis halten die Reisebusse, die Touristengruppen steigen die Stufen zu den Propyläen und zum Parthenon hinauf. Es weht ein angenehm kühler Westwind. Aber auch die meisten Urlauber haben gemerkt, dass dies für die Griechen alles andere als ein normaler Tag ist. „Heute Morgen haben wir drei Geldautomaten ausprobiert, aber alle streikten“, sagt die deutsche Touristin Bettina Graber. Die 66-Jährige ist mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester unterwegs. Auch bei zwei Bankfilialen in der Nähe ihres Hotels standen die Urlauberinnen am Vormittag vor verschlossenen Türen. „Wir haben noch 200 Euro, das wird wohl reichen – morgen reisen wir sowieso ab“, sagt die Frau.

Ganz so einfach wie in der Theorie dürfte es in der Praxis ohnehin nicht klappen. In vielen griechischen Restaurants wurden Kreditkarten schon in der Vergangenheit nur ungern entgegen genommen. Denn Kartenumsätze kann man vor dem Fiskus nicht verschleiern, Barzahlungen schon. Jetzt ist die Abneigung vieler Wirte, Hoteliers und Einzelhändler gegenüber dem Plastikgeld noch gewachsen. „Auch wenn mir die Kreditkartenzahlungen auf dem Konto gut geschrieben werden, wer weiß, ob ich mein Geld je wiedersehe?“, fragt der Besitzer eines Andenkenladens in der Nähe des Akropolis-Museums. „Schließlich muss ich meine Lieferanten bezahlen, und die bestehen auf Vorkasse.“

Wenn Bettina Graber über ihre Abreise redet, dann klingt es nicht so, als fiele den Schwestern der Abschied schwer. Im deutschen Fernsehen, das sie in ihrem Hotel über Satellit empfangen können, haben sie die Sondersendungen aus Athen verfolgt. „Wer weiß, was auf das Land noch zukommt.“

Das sehen viele Griechen genauso. Bei seinen eigenen Leuten dringt Premierminister Tsipras mit seinem Appell, Ruhe und Gelassenheit zu bewahren, kaum noch durch. Seit dem Wochenende bilden sich auch an den Tankstellen lange Schlangen. Manche Kunden kommen mit Benzinkanistern, weil sie befürchten, dass mit einem Austritt aus der Währungsunion die Ölimporte zusammenbrechen. Nahrungsmittel, die man lange lagern kann, wie Nudeln, Reis und Mehl, werden in den Supermärkten verkauft wie lange nicht. Dagegen macht sich zur Hauptgeschäftszeit eine eigentümliche Stille in den Athener Fleisch- und Fischmarkthallen breit. „Die Leute halten ihr Bargeld zusammen“, erklärt ein Verkäufer hinter seiner Theke. „Was nicht unbedingt nötig ist, wird nicht gekauft.“ Noch gespenstischer wirkt die Situation in den Bekleidungs- und Elektronikgeschäften in der Innenstadt. Von Kunden keine Spur. Auf der Hermes-Straße, Athens beliebtester Einkaufsmeile, war am Montag ebenfalls deutlich weniger Betrieb als sonst.

Es bilden sich zwei Lager

Die Geschäftsleute machen sich große Sorgen. Eigentlich gilt der Sommer als Hochsaison in Griechenland, die Monate Juli und August sind die Hauptreisezeit. Doch die Angst der Verbraucher und die zu erwartenden Stornierungen der Touristen lassen erhebliche Verluste für die griechische Wirtschaft in den kommenden Wochen und Monaten befürchten.

Es ist kaum zu erwarten, dass sich in der Woche vor dem Referendum die Lage noch beruhigen könnte. Im Gegenteil, jetzt hat bereits der Wahlkampf begonnen. Für Montagabend waren die ersten großen Demos der verfeindeten Lager angekündigt, beide beanspruchen den zentralen Syntagma-Platz für sich. Die „Nein“-Proteste, die die griechische Regierung in ihrem Kurs unterstützen und „gegen das Austeritätsregime“ ankämpfen, haben bisher bei Facebook rund 35.000 Unterstützer. Für die „Ja“-Demonstration, die „für Europa und gegen die Drachme-Lobby“ trommelt, haben sich bisher 25 000 Menschen angemeldet. Schon in den vergangenen Wochen hatte es immer mal wieder Demonstrationen für oder gegen den Verhandlungskurs der Syrizaregierung gegeben, noch nie aber waren sie so groß und ausdrücklich auf Konfrontation angelegt.

Viele Griechen sind sich nicht sicher, ob es am Ende der Woche tatsächlich zum Referendum kommt, oder ob die Regierung schon vorher kapituliert. Bislang waren viele politische Beobachter in Griechenland davon ausgegangen, dass die Regierung die Mehrheit in der Bevölkerung in dem Referendum zu einem „Nein“ bewegen kann. Denn eine Mehrheit der Griechen lehnt weitere Sparmaßnahmen ab, sie werden als unsozial empfunden. Nun scheint diese Stimmung aber zu kippen. Es lässt sich zwar bisher nicht sicher belegen, aber hört man auf die Gespräche der Menschen in den Straßen, merkt man schnell, dass die Unterstützung für Syriza derzeit schwindet. Aktuelle Meinungsumfragen zeigen, dass nur knapp ein Drittel der Griechen für einen offenen Bruch mit den Geldgebern ist. Der Rest fürchtet den Austritt aus dem Euro mehr als alles andere. Sie empfinden die Abstimmung am Sonntag als eine Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder eine sichere Währung, aber weitere harte Kürzungen und soziale Härten. Oder dem Diktat der Troika entfliehen, aber dafür das Risiko eingehen, bald ohne Euro dazustehen.

Doch es gibt immer noch viele Griechen, die der Verhandlungsstil ihres Regierungschefs beeindruckt: „60 Euro pro Tag reichen mir, mehr kann ich sowieso nicht ausgeben“, sagt Christos Ioannidis. Der 69-Jährige sitzt in einem der traditionellen Kaffeehäuser im Viertel Makrygianni, unterhalb der Akropolis. Rund 690 Rente bekommt er im Monat. Der alte Mann wirkt gelassen. „Ich vertraue Alexis Tsipras“, sagt er. „Gut, dass er den Europäern die Stirn bietet und sich nicht unterkriegen lässt.“ Die Geldgeber hätten den Griechen mit dem Spardiktat der vergangenen fünf Jahre ihre Würde genommen, sagt der Rentner. Dass Griechenland jetzt auf den Staatsbankrott zusteuert, scheint ihn nicht zu stören. „Was haben kleine Leute wie ich schon zu verlieren?“

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