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Paar und Beziehung. In Monika Grütters’ Umfeld wird es nun als Fehler betrachtet, den umtriebigen Kai Wegner nicht stärker in der Parteiführung eingebunden zu haben.

© imago images / IPON

Bitter im Abgang: Machtkampf in der Berliner CDU

Monika Grütters konnte beim Strippenziehen nicht mit ihrem Herausforderer Kai Wegner mithalten. Die Partei findet damit zu ihrer Stärke zurück: der Intrige.

Es ist der eine Moment, in dem Monika Grütters, Mitglied der Bundesregierung und Berlins CDU-Landeschefin, die Kontrolle verliert: Sichtbar in Eile stürmt sie in Richtung der Landesgeschäftsstelle ihrer Partei, erwartet von Reportern und Fotografen, die sich am Tag der Bekanntgabe ihres Verzichts auf eine erneute Kandidatur für den CDU-Vorsitz ein exklusives Statement erhoffen. Grütters greift nach der Tür, rüttelt, flucht und versetzt ihr einen Tritt – vergebens. Die Tür ist verschlossen. „Das passt ja jetzt“, sagt Grütters in Richtung der Fotografen. Die Auslöser klicken, das Bild ist im Kasten: Eine Partei schließt ihre Chefin aus.

Die Opposition ist in Trümmern – das ist die Lage. Die Berliner CDU ist wieder ohne ein Gesicht, das sich jenseits der Stadtgrenze und der Landespolitik sehen lassen kann. Die Partei wirkt wie zurückgefallen in die düstere Phase nach dem Machtverlust von 2001: zerstritten und ohne jede Chance, die SPD um die Macht zu bringen. Der Mann, der in der vergangenen Woche angekündigt hatte, als Gegenkandidat von Grütters Landeschef werden zu wollen, spricht nicht vom neuen Berlin, sondern von den Ortsvereinen seiner Partei.

Kai Wegner hat mit seinem Angriff auf Grütters und seiner kaum versteckten Kritik an der Arbeit des Fraktionsvorsitzenden Burkard Dregger die CDU zurück katapultiert in eine Zeit der politischen Selbst-Zerlegung.

Kleingärten und „Champagner-Saufen“

Bei der eilig einberufenen Pressekonferenz bemüht sich Grütters um Fassung. „Wenn ich meiner Partei mit diesem Schritt dienen kann, ist es mir das auch wert“, sagt sie am Ende ihres Statements, eingerahmt von Generalsekretär Stefan Evers zur Rechten und dem designierten Amtsnachfolger Kai Wegner zur Linken. Sekunden vorher waren ihr bei dem Satz „Mir ist diese Entscheidung nicht leicht gefallen“ die Tränen gekommen. Wichtig war ihr zu betonen, vor zweieinhalb Jahren eher aus Pflichtbewusstsein der eigenen Partei gegenüber denn aus eigenem Antrieb den Vorsitz übernommen zu haben. Die CDU habe 2016 ihr „historisch schlechtestes Wahlergebnis“ eingefahren, die Moral der Partei sei „schwer erschüttert“ gewesen, betonte Grütters. „Ich habe mich nicht nach dem Amt gedrängt“, sagte sie in Gegenwart des Mannes, der nun eben das tut.

Grütters’ Leute sind vor allem empört über den Eindruck, in der Zeit seit ihrem Amtsantritt vor gut zwei Jahren sei zu wenig passiert. „Die Landesgeschäftsstelle war doch eine Rumpelkammer, als wir hier angefangen haben“ sagt einer von ihnen, „hier hat nichts funktioniert, es gab nicht mal ein vernünftiges Organigramm, aber lauter demotivierte Mitarbeiter.“ Verantwortlich damals als Generalsekretär bis zu seiner Ablösung: Kai Wegner.

Der sagt heute, er wolle, dass die CDU auch wieder in den Kleingärten präsent ist. Zu einer Kleingartenkonferenz aber lud erst sein Nachfolger Stefan Evers ein. Heute lobt die Bundespartei den organisatorischen Zustand der Berliner CDU. Evers soll nun die für den Landesparteitag am 18. Mai benötigte Wahlvorbereitungskommission leiten. Eine zentrale Aufgabe, wie die Chefin und ihr Stellvertreter versichern. Ob der am kommenden Freitag aus dem Amt des Kreischefs von Charlottenburg-Wilmersdorf scheidende Evers auch unter Wegner Generalsekretär bleibt, ließ dieser auf Nachfrage offen. Im schlimmsten Fall muss Evers seine eigene Nachfolge organisieren, eine Erniedrigung.

Nicht erniedrigt, wohl aber angefasst zeigte sich Grütters ob der Art und Weise, auf die Wegner seine Kandidatur öffentlich gemacht hatte. „Es ist nie schön, wenn so etwas über die Presse bekannt wird“, sagte die Parteichefin in Richtung ihres designierten Nachfolgers. Der ließ sich nichts anmerken, auch als Grütters von „unnötigem Schaden für die CDU“ sprach, die sie mit ihrer Entscheidung abwenden wolle. „Wettstreit ist gut, Zerrissenheit ist schlecht“, sagte Grütters noch, ohne zu erklären, warum ausgerechnet in der Berliner CDU Ersteres allzu schnell in Letzterem endet.

Die Aussage Wegners „Ich kann mich an keinen Punkt erinnern, an dem wir uns mal gefetzt haben“, konterte Grütters mit den Worten „Ganz einfach ist es trotzdem nicht.“ Beim Thema Einbindung von Frauen in Partei und Ämter widersprach sie ihrem Stellvertreter: Sinngemäß hatte Wegner erklärt, nicht nur die Personen, sondern die Inhalte würden zählen. Grütters reagierte mit Kopfschütteln. Später sagte Grütters, die Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen gehe solange gut, „bis man gleichgezogen hat“.

Es geht bloß ums Geben und Nehmen

Wie viele persönliche Animositäten in der Berliner CDU eine Rolle spielen, wird auch deutlich an Äußerungen aus dem Grütters-Lager: „Das Nicht-Ehepaar Seibeld/Rissmann kommt doch aus dem Champagner-Saufen nicht mehr raus“, heißt es da zum Beispiel.

Prädikat: im Abgang bitter. Beide, die Vize-Parlamentspräsidentin Cornelia Seibeld wie auch ihr Partner, Mitte-Kreisverbandschef Sven Rissmann, gehören zu den Unterstützern Wegners. Der sucht schon mehr oder weniger offen nach einer Generalsekretärin, so ein Zufall aber auch. Und warum ist Grütters-Vorgänger Frank Henkel auf einmal wieder auffällig präsent? Der wäre schon zu Beginn der Legislaturperiode gerne Mitglied des Parlamentspräsidiums geworden, nachdem ihm seine Partei eine aussichtsreiche Bundestagskandidatur verwehrt hatte.

In der Partei wird eine Geschichte erzählt, wie gezielt Wegner seine Kandidatur im Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf vorbereitet haben soll, dessen Vorsitz im Zug des Machtkampfes jetzt der Grütters-Vertraute Evers verlor. Die Geschichte geht so: Wegner habe einen Gastwirt, der als Kommunikator ein einflussreiches Parteimitglied ist, allein dreimal besucht und mit allerlei Angeboten für sich zu gewinnen versucht, mit dem Ziel, einer Vertrauten die Vorherrschaft im Ortsverband Schmargendorf zu sichern.

Geschichten wie diese haben stets eine doppelte Bedeutung: Sie handeln von den Versuchen, andere zu beeinflussen. Und sie erzählen von Parteifreunden, denen es bloß ums Geben und Nehmen geht. So reden sie wieder übereinander in einem Stil, der jahrelang nicht zu vernehmen war.

Klar wird an dieser Geschichte, dass eine Bundeskulturministerin mit vollem Terminkalender da niemals mithalten kann. Auch am Freitag ist sie wieder in Sachen Kultur unterwegs, sie trifft sich zwischen der Nachricht ihres Verzichts auf den Vorsitz und der offiziellen Verkündung mit einer französischen Delegation. Auch der Versuch, einen gemeinsamen Termin mit der Abgeordnetenhausfraktion zu vereinbaren, war schwierig, das Treffen kam erst nach Monaten zustande.

Bitte meinen Namen nicht nennen!

Inzwischen wird es selbst in Grütters’ Umfeld als Fehler betrachtet, nicht erkannt zu haben, dass der umtriebige Wegner hätte eingebunden werden müssen – vielleicht sogar weiter als Generalsekretär. Grütters Verzicht auf den Vorsitz lag am Ende jene einfache Rechenart zugrunde, die man in der Berliner CDU noch am ehesten beherrscht: die Addition. Im allerbesten Fall wäre sie noch auf 40 Prozent gekommen, wahrscheinlich weniger. Da macht das Kämpfen keinen Sinn mehr.

Wie viele Funktionäre in die Pläne Wegners eingebunden waren, und vor allem: seit wann, ist nicht ganz klar. Sicher ist wohl nur, dass die Absicht zum Sturz von Grütters zur Unzeit publik wurde. Geradezu erschrocken bekundeten selbst langjährige politische Freunde Wegners und Gegner von Grütters, sie hätten nichts damit zu tun, nichts davon gehört und seien selbst ganz überrascht. Aber auch das nur vertraulich behandeln! Bitte meinen Namen nicht nennen!

Gescheitert ist Grütters an den Betonköpfen ihrer Partei und ein bisschen auch an sich selbst. Die Betonköpfe hatten in der Berliner CDU über Jahrzehnte das Sagen. Grütters war Reformerin statt, um es krawallig zu sagen, Revolutionärin. Im Verbund mit ihrem Vorgänger im Amt, Frank Henkel, dem Ex-Spitzenkandidaten und Ex-Innensenator, hat sie die Parteiführung reformiert: „Präsidium“ nannte sich, wie auf der Bundesebene, der Leitungskreis um die Vorsitzende, und darin fanden sich sehr bewusst nicht alle Kreisvorsitzenden von Spandau bis Marzahn-Hellersdorf, von Reinickendorf bis Steglitz-Zehlendorf und Treptow-Köpenick.

Kreischefs waren in der Regel Männer

Deren Denke war immer gewesen: Die Parteiführung sind eigentlich wir. Unsere Macht leitet sich ganz mathematisch ab aus der Stärke der Kreisverbände. Und mit unserer Macht bestimmen wir, wer etwas wird in der Berliner CDU, vom Stadtrat bis zum Spitzenkandidaten.

Dieses Denken sicherte den Funktionären der Berliner CDU ihren Einfluss und der Partei in den Jahren nach dem Machtverlust durch den Bankenskandal von 2001 ein krisengeschütteltes Dasein in der Opposition. Mal machten die Kreischefs einen von sich zum Spitzenkandidaten. Mal holten sie einen von außen – nichts funktionierte. Erst als Frank Henkel, einer aus der Runde, die anderen von seinen Möglichkeiten gegen den SPD-Sonnenkönig Klaus Wowereit überzeugen konnte, verstummte der Dauerstreit. Wowereit fand Henkel damals „authentisch“. Und Henkel führte die CDU zurück in den Senat, wenn auch als Juniorpartner.

Wegners Kreisverband gehört zu den mitgliederstarken. Spandau hatte immer Gewicht, wie Reinickendorf, wie Neukölln, wenn auch nicht so viel wie Steglitz-Zehlendorf oder Charlottenburg-Wilmersdorf. Die Kreischefs waren in der Regel Männer. Ihr Verständnis von Opposition ist nicht besonders differenziert. Es besagt, dass die CDU die bessere Regierungspartei ist, für innere Sicherheit und „die Wirtschaft“ steht und alles weitere sich schon ergibt.

Einer von Wegners Vorgängern im Amt des Generalsekretärs beschimpfte einen führenden SPD-Mann mal als „Politiknutte“, weil der sich den Grünen als Koalitionspartner zuwandte. Dieser Mann, Ingo Schmitt, war auch Kreischef von Charlottenburg-Wilmersdorf, dem früheren Heimatverband von Monika Grütters. Was bedeutete, dass Schmitt damals jede Menge Einfluss auf den politischen Werdegang von Grütters hatte.

„Moni“ auf Platz eins der Landesliste

Schmitt, der Mann aus West-Berlin, Rechtsanwalt, und Grütters, die aus Münster zugewanderte Geisteswissenschaftlerin verstanden sich nicht so gut. Und schon im Umgang mit einem Kreisverbands-Mächtigen wie Schmitt erwies sich Grütters als empfindlich. Dessen politischer Stil lag ihr nicht. Grütters war zu Beginn ihrer politischen Laufbahn Sprecherin des Wissenschaftssenators, ins Abgeordnetenhaus kam sie als Teil einer jungen Generation, die der damalige Fraktionschef Klaus Landowsky aufbaute.

So verlegte sie die Startbasis für ihre bundespolitische Laufbahn vom Westen, der den Schmitts und Wegners gehörte, in den Osten, nach Marzahn-Hellersdorf. Sie ließ die politischen Runden in zweitklassigen Kreuzberger Pizzerien hinter sich, kümmerte sich um das, was sie am meisten mochte, Kultur und Kulturpolitik, führte die Stiftung Brandenburger Tor.

Und die Kreischefs, die in der Berliner CDU das Sagen hatten, zahlten den Preis, mit dem Grütters dafür entschädigt wurde, dass sie die starken Männer im Westen ihre Politspielchen spielen ließ: „Moni“ wurde auf Platz eins der Landesliste für den Bundestag gewählt. Die Kreischefs schmückten sich und ihre Partei mit einer Kandidatin, die sich über Berlin hinaus sehen, hören und zeigen lassen konnte, eine Liberale, eine überzeugte Katholikin, eine Frau mit Charme und Redetalent. Und bald auch mit einem guten Draht zur Kanzlerin sowie einem Amt, in dem sie der Stadt viel Gutes tun konnte.

Leute fürs zugewanderte Bürgertum

Den Niederungen des Berliner CDU-Betriebs enthoben, versuchte Grütters doch, ihn zu verändern. Sie löste Wegner als Generalsekretär ab und holte mit Stefan Evers einen jungen Parteifreund, dem alles Kantig-Konservative abgeht. Schon bei Evers’ Wahl vor gut zwei Jahren signalisierten ihr viele Delegierte: Übertreib’ es nicht mit dem Reformtempo und den neuen Leuten.

Sie gewann mit Burkard Dregger einen modernen Konservativen als Fraktionschef. Dregger macht Opposition mit Substanz, nicht laut, aber nachhaltig. Er arbeitet sich zum Beispiel am Innensenator Andreas Geisel und dem Versagen des Staatsschutzes vor dem Attentat auf dem Breitscheidplatz ab. Oder er erklärt als Sohn eines bekannten sehr konservativen CDU-Politikers, warum sein Vater nichts für die AfD übrig gehabt hätte.

Grütters, Evers, Dregger – das sind CDU-Leute aus Berlin, die ein zugewandertes bürgerliches Publikum nicht abschrecken, sondern sogar gewinnen können, wenn dieses Publikum überlegt, welcher Partei in einer Stadt mit permanenten Wohnungsbau-, Verkehr- und Schulärger seine Stimme gehören könnte. Wer will, kann das in der Phase zwischen zwei Wahlen auch an den Meinungsumfragen erkennen: Da hat die CDU von 16 auf 20 Prozent zugelegt.

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