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Ungebeugt. Weibliche Formen der Ränge gibt es in der Bundeswehr nicht. Erika Franke wird angesprochen als Frau Generalstabsarzt.

© Maris Hubschmid

Familienfreundliche Bundeswehr: Frau General lässt strammstehen

Tritt sie auf, stehen Männer stramm. Erika Franke verkörpert eine Bundeswehr, wie sie Ministerin Leyen gerne hätte: In der Frauen ganz selbstverständlich Karriere machen. Doch die ranghöchste Soldatin Deutschlands hatte in der Männerdomäne zu kämpfen.

Von Maris Hubschmid

Ihr Chauffeur darf jetzt den Schirm aufspannen, wenn es regnet. „Das ist neu“, sagt er. „Man stelle sich vor: Ein General, der den Regen scheut!“ Das würde natürlich sofort als ein Zeichen der Verweichlichung gewertet. Wenn da aber eine Frau aus dem Wagen steige, sei das etwas anderes, haben sie ihn in der VIP-Schulung gelehrt. Also liegt nunmehr im Kofferraum der große blaue Schirm immer griffbereit.

Bevor sie sich verwandelt, schließt Erika Franke die Bürotür. Sie streift die sportlichen Halbschuhe ab, faltet die weiße Jeans, legt das gestreifte Oberteil zusammen, wechselt in das olivgrüne T-Shirt und den Feldanzug. Zuletzt zieht sie die schweren, robusten Lederstiefel an. Die Zivilistin verstaut sie im Schrank. Wenn gegen sieben die ersten Kollegen kommen, ist sie: Frau General.

Von der Leyen will mehr Erika Frankes in der Truppe

Erika Franke, 61, kinnlanges graues Haar, arbeitet seit 25 Jahren für die Bundeswehr. Als sie vor neun Jahren zum General befördert wurde, war sie die einzige Frau in diesem Stand.

Über ihrem Schreibtisch: Ein Bild der Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen. Die Politikerin wünscht sich mehr Erika Frankes, mehr Frauen in der Truppe. 20 Prozent sollen es werden, hat sie am Wochenende gesagt. Elf Prozent sind es heute. Bis auf schwerste Tätigkeiten können Frauen alles so gut wie Männer, erklärte die Ministerin. Aber künftige Konflikte würden nicht über Muskeln, sondern über den Kopf entschieden. Und weil Männer häufig nur Männer fördern, sei es wichtig Frauen in Führungspositionen zu bringen. Erika Franke ist da angelangt. Sie ist Deutschlands ranghöchste Soldatin, Befehlshaberin über 300 Mann. Seit 2013 trägt sie zwei Sterne. Keine Frau vor ihr hat das erreicht. Warum eigentlich?

Auch zivil sei Frau General "ein bisschen zackig", sagt ihr Mann über Erika Franke.
Auch zivil sei Frau General "ein bisschen zackig", sagt ihr Mann über Erika Franke.

© Maris Hubschmid

Wer immer Erika Franke auf dem Gang, im Treppenhaus, auf dem Vorplatz über den Weg läuft, legt sofort die Hand an die Mütze. „Guten Morgen, Frau Generalstabsarzt!“ Auf der Wiese vor dem Gebäude sammeln sich schon die Soldatinnen und Soldaten, bilden ein U. Es ist Quartalsappell an diesem Montag im Frühling.

Man kann jetzt sagen: Erika Franke ist Vorkämpferin, einen schönen Doppelsinn hätte das. Stimmt aber eigentlich nicht, sagt sie. Das mit dem Soldat sein, das habe sich mehr zufällig ergeben. Wenn sie ehrlich ist: Hätte man ihr als junger Frau gesagt, dass sie heute im Namen der Bundesrepublik Deutschland ein Dutzend Soldatinnen und Soldaten auszeichnen und in den Ruhestand verabschieden würde, „hätte ich gestaunt“. Was aber heißt es, Frau in der Bundeswehr zu sein? Sich in einer Umgebung zu bewegen, die so männerbesetzt ist, dass es nicht einmal vorgesehen ist, Dienstgrade zu beugen. Generalin, der Begriff existiert nicht. Erika Franke ist Frau General, genauer: Frau Generalstabsarzt.

Erika Franke wurde in Ost-Berlin geboren. Spielte Handball in der höchsten DDR-Liga. Als die Mauer fiel, lebte sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in der Gertrud-Kolmar-Straße, ganz in der Nähe vom Brandenburger Tor. Von ihrem Wohnzimmerfenster aus sahen sie, wie die vertraute Flagge mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz von der Quadriga geholt wurde. „Das war beklemmend.“

Dominant? Sie ist eher auf Harmonie bedacht

An der Wand links neben der Ministerin reihen sich Zeichnungen von Gebäuden und Landschaften. Wo immer Erika Franke im Dienst war, hat sie sich ein Bild schenken lassen. Das Potsdamer Stadtschloss. Die roten Dächer von Prizren. „Männer sammeln immer so... wie heißt das?“, fragt sie den Kapitänleutnant neben sich. „Wappen, Frau Kommandeur!“ „Wappen, genau! Daraus mache ich mir nichts.“

War sie ein burschikoses Kind? Irgendwie durchsetzungsstark, dominant, herrisch gar? Eher im Gegenteil, sagt sie. Stets auf Harmonie bedacht, mit einem großen Hilfsbedürfnis. Schon früh wollte sie Ärztin werden. In den Schulferien putzte Erika ehrenamtlich Klinikflure, nach dem Studium an der Humboldt-Universität bekam sie eine Stelle am Krankenhaus der Volkspolizei. Ihr Spezialgebiet: Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie.

In den vergangenen Monaten hat es neue Bedeutung erlangt. Erika Franke hat Soldaten in Ebola-Einsatzgebiete entsendet, Inspekteure aus afrikanischen Ländern empfangen, die Nachsorge für Rückkehrer koordiniert. Ist schon ein Weilchen her, dass sie selber Wundabstriche gemacht oder Glasröhrchen in Petrischalen versenkt hat.

Ein Frau auf dieser Position, das wäre doch mal was

Aus dem Krankenhaus der Volkspolizei wurde nach der Wende das Bundeswehrkrankenhaus. Man bat sie, zu bleiben. Erst später aber erfuhr sie am eigenen Leib, was es heißt, Soldatin zu sein. Im Auslandseinsatz in Bosnien 1997, da wurde ihr eingeschärft: Tritt nur auf die betonierten Wege! Im Gras lauern die Minen. Als sie dann wieder in Berlin war, konnte sie wochenlang keinen Fuß mehr auf einen Rasen setzen.

Berlin ist ihre Heimat geblieben. Freitagnachmittag hin, Sonntagabend zurück. Erika Franke wohnt in Mitte. 2001 wurde sie Dezernatsleiterin in Bonn, später stellvertretende Abteilungsleiterin im Einsatzführungskommando in Potsdam, noch später Chefärztin des Bundeswehrkrankenhauses in Ulm. „Jedes Mal war es so, dass der Posten an mich herangetragen wurde.“ Und andere Erwartungen äußerten: Mensch Erika, endlich eine Frau auf dieser Position, das wäre doch mal was.

Ursula von der Leyen will die Bundeswehr zum attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands machen.
Ursula von der Leyen will die Bundeswehr zum attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands machen.

© dpa

Die Verteidigungsministerin, die aus ihrer Zeit als Familienministerin wohl einiges gelernt hat, will, dass das Normalität wird. Noch Anfang des Jahres hatte sie das ambitionierte Ziel ausgegeben, die Bundeswehr zu nicht weniger als dem attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands zu machen. Etwa 100 Millionen Euro soll das in den kommenden fünf Jahren kosten. Die Truppe soll familienfreundlich werden. Es entspricht dem Zeitgeist.

Erika Franke musste sich noch in einer Männerwelt vortasten. Und auch: sich ihr ausliefern. Da gab es einige, die ihr das Leben schwer machten. Über Wichtiges wurde abgestimmt, wenn sie im Urlaub war. Andere unterließen alles, was sie nicht direkt angeordnet hatte. „Nach dem Motto: Soll die sich abstrampeln.“

„Wir“ und „die“ – so habe sie selber das nie empfunden, sagt Franke. Die Herren wohl aber schon. „Ich bin nicht angetreten, um ihnen ihr Reich streitig zu machen.“ Nicht aus einer feministischen Motivation heraus – einfach nur, um einen guten Job zu machen. Und doch wird sie dieses Prädikat nicht los: Frau.

Auch die Bundeswehr weiß das für sich zu nutzen. Dies ist nicht das erste Interview, das Erika Franke gibt, und man merkt ihr an, dass sie viel lieber über Inhalte spricht, über die Reform der Akademie, von der reinen Ausbildungsstätte hin zur Forschungseinrichtung. Man merkt aber auch: Sie rechnet damit, dass am Ende doch bloß wieder zu lesen ist, dass sie gern strickt und fünf Enkel hat.

Als Ärztin ist sie eigentlich dem Leben verpflichtet

Als sie zur Ersten Zwei-Sterne-Generalin der Bundeswehr befördert wurde, da titelte ein Münchner Boulevardblatt über einem Foto von ihr: „Zwei Sterne für die Oma.“

Erika Franke hat gelernt, keinen Interpretationsspielraum zu lassen, klare Ansagen zu machen. Der Mann: ein hierarchisch denkendes Wesen. Der Soldat zumal. „Befehl und Gehorsam gehören hier einfach dazu.“

Genau wie die Waffe. Früher gingen die Sanis, wie die Sanitätstruppe intern genannt wird, unbewaffnet mit den Streitkräften los. Aber das war, bevor die Bundeswehr eine Einsatzarmee wurde, Politiker von kriegsähnlichen Verhältnissen sprachen. Bei ihrem zweiten Auslandseinsatz, 2000 im Kosovo, musste Erika Franke sich die Pistole anschnallen. Befremdlich habe sich das angefühlt. „Schließlich habe ich als Ärztin einen Eid geschworen, mich immer dem Leben zu verpflichten.“ Aber Soldat sein, das bedeutet auch, dass es in manchen Situationen einer Waffe bedarf, um das eigene Leben oder das eines Patienten zu retten.

„Du darfst der Truppe nicht zur Last fallen. Musst die militärischen Grundregeln beherrschen“, sagt Franke. Sie beherrscht sie. Vor zwei Wochen ist sie wieder zur Schießübung gegangen. Vier von fünf möglichen Treffern, im ersten Anlauf.

Stillgestanden. Immer mehr Frauen entscheiden sich für die Bundeswehr. Geht es nach Verteidigungsministerin von der Leyen sollen Frauen bald 20 Prozent ausmachen.
Stillgestanden. Immer mehr Frauen entscheiden sich für die Bundeswehr. Geht es nach Verteidigungsministerin von der Leyen sollen Frauen bald 20 Prozent ausmachen.

© Maris Hubschmid

„Sanitätsakademie der Bundeswehr – stillgestanden!“ 400 Soldatenstiefel knallen zusammen, als sie an das Pult mit der Deutschlandflagge tritt. Ein geradezu exotischer Farbtupfer in einer Kulisse aus grauem Himmel, ockerfarbenen Kasernenbauten und moosgrünen Tarnanzügen. Mit ihren 1,62 Meter scheint Franke die kleinste Person auf dem Platz zu sein.

Warum gibt es nicht mehr von ihrer Art? Rein rechnerisch wird das schwierig. Da Frauen erst seit 2001 bei den Streitkräften zugelassen sind, können die meisten noch gar nicht über den einfachen Offizierstatus hinausgekommen sein. Allein die Ärztinnen haben einen Vorsprung. Wenigstens eine andere Ärztin mit Generalsrang gibt es inzwischen. Macht zwei Frauen, denen 200 männliche Generäle gegenüberstehen.

An diesem Montag in München darf Erika Franke neun junge Soldaten auszeichnen. Sechs davon sind Frauen. Sie treten vor. Manche bemühen sich, ernst zu gucken. Erika Franke lächelt.

Wenn er in den Rückspiegel schaue, sagt ihr Chauffeur, sehe er zwei Gesichter. Das eine sei wahrlich Respekt einflößend. „Dann weiß ich: Jetzt bloß die Klappe halten.“ Aber es gibt auch das andere. Die Frau, die von der Rückbank herzlich zurücklacht.

Ihrem Sohn rät sie von der Bundeswehr ab

Je mehr Frauen sich für die Bundeswehr entscheiden, desto besser, sagt Erika Franke. Sie zählt auf, was sich an ihrem Stützpunkt in den letzten Jahren getan hat: Soldaten gehen in Elternzeit, es gibt ein Angebot für Kinderbetreuung, die Umbaupläne für die Kaserne sehen vor, dass jedes Zimmer sein eigenes Bad bekommt. Da ist er also, der weibliche Einfluss. Oder? Reine Berechnung, sagt Franke. „Das brauchen wir, wenn wir als Arbeitgeber attraktiv sein wollen.“ Schließlich hat die Bundeswehr seit Abschaffung der Wehrpflicht ein Nachwuchsproblem.

Ihr Sohn ist Truppenoffizier. Hat sie ihm empfohlen, eine Bundeswehrkarriere zu machen? Nein, sagt sie. Aber auch nicht davon abgeraten? „Doch. Ich glaube an die Bundeswehr und das, was sie tut. Aber wenn es die eigenen Kinder betrifft, bekommt das eine andere Dimension.“

Warum will jemand Soldat werden? Erika Franke spricht vom Dienst an der Gesellschaft, von Gerechtigkeitsglaube, vor allem aber von Gemeinschaft. Bei ihrem ersten Auslandseinsatz, 1997 in Sarajevo, da haben sie auf dem Markt zusammen eingekauft und gekocht.

Das Soldatenleben kann heiter sein. Unbeschwert ist es nie. Bevor Soldaten zum Auslandseinsatz antreten, wird ihnen geraten, ihr Testament zu schreiben. Erika Franke ist im Panzer an Kindern vorbeigefahren, die mit nackten Füßen unterwegs waren – im Winter. In einem Heim in Bosnien-Herzegowina brachten Eltern ihr ein Kleinkind, das in Deutschland am Herzen operiert und dann abgeschoben worden war. „Die Medikamente waren alle und ich konnte nichts tun.“ Dieses Bild werde sie nie wieder los.

Das Leben offenbart sich als schrecklich verletzlich, wenn man ihm in Uniform entgegentritt. Wenn sie etwas gequält habe, dann, nicht überall halten und helfen zu können, sagt sie. „Das ist schließlich mein Beruf.“ Nicht alle sehen das so. Damals in Ulm, als sie als Chefin des Bundeswehrkrankenhauses mit gutem Beispiel vorangehen wollte, zog sie am Volkstrauertag mit der Büchse in die Fußgängerzone, um für anonyme Gräber zu sammeln. Da beschimpften Menschen sie als Mörder. „Das hat mich getroffen.“

Herr Franke bringt Untersetzer mit für die Gläser und Tassen, als er Filterkaffee serviert. In ihrem Wohnzimmer: Polstermöbel, Stoffbären und Spitzendeckchen. Gerade haben sie sich eine neue Schrankwand aus Kirschbaumholz zugelegt.

"Ein bisschen was Zackiges" hat sie auch in zivil

Seit 38 Jahren sind sie verheiratet. Er arbeitet in einem Busunternehmen.„Ein bisschen was Zackiges, wenn es so darum geht, Dinge zu organisieren, hat sie schon“, sagt er. „Aber es will eben auch viel untergebracht werden an so einem Wochenende.“

Das wird bald anders. In einem Jahr wird sie selbst vortreten, ihre Abschiedsurkunde erhalten. Nach aller Voraussicht wird es dann wieder nur männliche Zwei-Sterne-Generäle in Deutschland geben. Dafür hat Erika Franke dann die Zeit, die sie oft vermisst: Für Kinder, Enkel, Mutter, entspannte Einkaufsbummel. Und den Schrebergarten.

In Brandenburg haben ihr Mann und sie ein kleines Grundstück. Die anderen Laubenpieper wissen nicht, was sie beruflich macht. „Wozu auch?“, sagt Erika Franke. Der einzige Kampf, der dort wichtig ist, ist der gegen Unkraut und Maulwürfe.

Der Text erschien auf der Dritten Seite im gedruckten Tagesspiegel

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