zum Hauptinhalt
Ausgeglichen: Frank-Walter Steinmeiers Politikstil kommt dem Sehnen der Deutschen nach Konsens entgegen.

©  Mike Wolff

Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident: Der Präsentable

Sein erster Wahlkampf war ein Desaster. Heute ist Frank-Walter Steinmeier der beliebteste Politiker der Deutschen – und seine Kandidatur ein Coup für die SPD.

Von Hans Monath

Im Ausland, natürlich. Wo anders kann sich Frank-Walter Steinmeier aufhalten, als die wahrscheinlich wichtigste Nachricht seiner politischen Karriere bekannt wird? Rund 400 000 Flugkilometer absolviert der deutsche Außenminister in jedem Jahr. An diesem Montag ist er gerade in Brüssel, als am Morgen um 9 Uhr 12 die erste Nachrichtenagentur meldet: „Auch CDU-Präsidium für Steinmeier als Bundespräsident (Kreise)“. Das Wort „Kreise“" bedeutet, dass die CDU ihre Entscheidung noch nicht verkündet, sondern ein ungenannter Informant sie weitergegeben hat.

Im EU-Ratsgebäude im Europaviertel tagen gerade die Außenminister. Doch die Journalisten, die vor dem Eingang auf das angekündigte Pressestatement des Außenministers warten, werden enttäuscht: Der freundliche Mann mit den weißen Haaren und der schwarzen Hornbrille, dem in Berlin gerade der Weg ins Schloss Bellevue freigeräumt worden ist, macht sich rar im Moment des Triumphes. Denn noch ist nichts offiziell. Und jedes Wort des designierten Präsidenten wird nun darauf untersucht werden, ob es den Ansprüchen genügt, die die Republik stellt an den Inhaber des höchsten Amtes im Staate.

Dafür tritt knapp zwei Stunden später Sigmar Gabriel an das rote Pult im Willy-Brandt-Haus und preist die Entscheidung für seinen Parteifreund als wichtiges Signal in schwierigen Zeiten. Der SPD-Chef ist gut gelaunt, die Fragen der Journalisten beantwortet er ungewöhnlich wohlwollend.

SPD-Chef Sigmar Gabriel erhöht Druck auf die CDU

Der Parteivorsitzende gibt sich Mühe, seinen eigenen Part zur Bundespräsidenten-Kür kleinzureden. Auf die Frage nach seiner Rolle im Ringen der Koalition um die Nachfolge von Joachim Gauck sagt er: „Ich habe gar nichts geschafft, sondern die Person Frank-Walter Steinmeier hat überzeugt.“

Doch jeder weiß, am besten Sigmar Gabriel selbst, dass ihm in diesem Moment ein machtpolitischer Coup gelungen ist, der ihn noch weiter stärkt in der Debatte über den nächsten Kanzlerkandidaten der SPD: Gegen die Absprache mit der Union hatte der SPD-Chef im Alleingang den beliebtesten deutschen Politiker zum besten Kandidaten ausgerufen und damit den Druck auf den Koalitionspartner erhöht.

Es war ein Risiko, denn nicht die SPD, sondern die Union stellt die größte Gruppe in der Bundesversammlung. Gegen CDU und CSU hätte Steinmeier allenfalls in einem dritten Wahlgang eine Chance auf eine relative Mehrheit gehabt, wenn genügend Grüne und Linke für ihn gestimmt hätten. Doch Kanzlerin Angela Merkel holte sich auf der Suche nach einem zugleich von der Union geschätzten und überzeugenden Kandidaten eine Absage nach der anderen.

Niemand dürfte über die Entscheidung von CDU und CSU glücklicher sein als Steinmeier selbst. Ihm soll zunächst unwohl gewesen sein, dass sein impulsiver Parteichef ihn so früh in den Ring geschoben hatte.

Denn Frank-Walter Steinmeier, dem nun eine Abstimmung mit offenem Ausgang in der Bundesversammlung erspart bleibt, ist kein Mann, der das Risiko liebt und der ohne gründliche Absicherung den offenen Kampf sucht.

Lieber bereitet er sich gründlich vor, prüft alle Alternativen und bindet jeden ein, der zum Gespräch bereit ist – so wie er es auf dem Weg ins Präsidentenamt nun mit CSU-Chef Horst Seehofer getan hat. Steinmeier war am vergangenen Sonnabend eigens nach München geflogen, um den bayerischen Ministerpräsidenten zu überzeugen. Der hatte ihn schon vorher gelobt – vor allem wegen seiner eher versöhnlichen Töne gegenüber Russland.

Warum ist ausgerechnet Frank-Walter Steinmeier zum beliebtesten deutschen Politiker aufgestiegen? Das Amt spielt dabei eine wichtige Rolle, denn die meisten bundesdeutschen Außenminister haben bisher in Umfragen Spitzenwerte erreicht.

Vor allem aber kommt der Politikstil des 60-Jährigen der deutschen Sehnsucht nach Konsens entgegen: Die hartnäckige Arbeit für einen Ausgleich der Interessen, auch wenn die Konfliktlage völlig verfahren ist, ist die Leitlinie seiner diplomatischen Arbeit in seiner ersten Amtszeit von 2005 bis 2009 und nun auch in seiner zweiten am Werderschen Markt.

Auf insgesamt fast acht Jahre Amtszeit wird er es im Falle seiner Wahl zum Bundespräsidenten gebracht haben, nur Hans-Dietrich Genscher war länger Chefdiplomat. Die Deutschen kennen den Sozialdemokraten als den Mann, der jahrelang am Atomabkommen mit dem Iran arbeitet, der sich um die Eindämmung der Gewalt im Ukraine-Konflikt bemüht oder auf der Suche nach politischen Lösungen für den syrischen Bürgerkrieg auch zu Gesprächen nach Riad und Teheran fliegt.

In seiner politischen Karriere hat dem promovierten Juristen wohl noch nie jemand Kompetenz abgesprochen. Der meist unaufgeregte „Macher“ gebe den Menschen „das Gefühl, dass eine Politik, die sie nicht verstehen, bei ihm in guten Händen ist“, hieß es in der „Zeit“ vor wenigen Jahren – und das stimmt erst recht in einer Zeit, da „die Welt aus den Fugen ist“, wie Steinmeier gerne sagt.

Dass der Ostwestfale häufig dröhnend lacht und seinem Gegenüber oft freundschaftlich auf den Rücken schlägt oder an die Schulter fasst, zeigt, dass er Menschen mag – vielleicht nicht die schlechteste Voraussetzung für einen Bundespräsidenten. Steinmeier ist von robuster Physis und zum Leidwesen mancher Diplomaten auch nach Tagen voller Termine spät nachts noch hellwach und unternehmungslustig.

Es hat viele Menschen, die sich nicht jeden Tag mit Politik beschäftigen, vor sechs Jahren beeindruckt, dass Steinmeier seiner schwer erkrankten Frau Elke Büdenbender eine Niere spendete.

Als der Politikwissenschaftler Torben Lütjen vor sieben Jahren in der bisher einzigen Biografie Steinmeiers dessen Weg aus seinem ostwestfälischen Heimatort Brakelsiek in die Politik beschrieb, fand er nur wenige Zeitzeugen, die schlecht über den Sohn eines Tischlers und einer Forstarbeiterin urteilten. Dabei hatte der damals schon eine lange Karriere hinter sich – vom linken Jurastudenten in Gießen über den Medienreferenten in Gerhard Schröders Staatskanzlei in Niedersachsen zum Leiter des Bundeskanzleramtes und zum Chef des Auswärtigen Amtes. In seiner Anfangszeit als Außenminister galt Steinmeier als Schröders Mann – schließlich hatte der ihm im Willy-Brandt-Haus den Auftrag erteilt, seine „Friedenspolitik“ zu verteidigen.

Attacken nimmt Steinmeier oft persönlich – und reagiert nicht immer souverän

„Steinmeier ist ein Mann der Kabinettsvorlage, nicht der großen Erzählung“, urteilte der Biograf damals – und tatsächlich hatte Steinmeier fast 15 Jahre als politischer Beamter Entscheidungen vorbereitet, für die andere in Wahlkämpfen Mehrheiten erkämpfen mussten. Als der Ex-Kanzleramtschef in der Anfangsphase der ersten großen Koalition durch einen Untersuchungsausschuss zur Rolle des BND im Irakkrieg massiv unter Druck geriet und deshalb tief verunsichert war, höhnte ein Ministerkollege aus der Union, Steinmeier sei eben „bloß ein Beamter und kein Politiker“.

Noch Jahre später reagierte Steinmeier sehr empfindlich, wenn er auf seine damalige Rolle etwa im Umgang mit dem Guantanamo-Gefangenen Murat Kurnaz angesprochen wurde, obwohl die Ausschuss-Mehrheit ihn von Fehlverhalten entlastet hatte. Über ein dickes Fell verfügt der nächste Bundespräsident nämlich nicht: Attacken und Kritik nimmt er schnell persönlich – und nicht immer geht er souverän damit um. Als ihm die „Zeit“ in seiner ersten Amtszeit mangelnde Achtung von Menschenrechten und „Diktatorenknutscherei“ gegenüber Russland und China vorwarf, suchte Steinmeier nicht den öffentlichen Austausch zum Thema. Doch die Kritik zeigte später Wirkung: In seiner zweiten Amtszeit änderte der Chefdiplomat seine Politik.

Als Lütjen seine Biografie veröffentlichte, hatte Steinmeier selbst noch keinen einzigen Wahlkampf absolviert. Den ersten erlebte er dann im Jahr 2009 als Kanzlerkandidat der SPD – und fuhr mit 23 Prozent gegen Angela Merkel das historisch schlechteste SPD-Ergebnis ein. Vom „Tiefpunkt meiner politischen Karriere“ sprach der Architekt der Agenda 2010 später. Auch deshalb wies er die Idee weit von sich, jemals wieder die SPD als Spitzenmann in einen Bundestagswahlkampf zu führen.

Dass er – gar nicht beamtenhaft – auch über einen gehörigen Machtinstinkt verfügt, zeigte Steinmeier, als er sich noch am Abend dieser Wahlniederlage zum künftigen SPD-Fraktionschef ausrief, bevor die frustrierten Genossen ihm die Schuld zuschieben konnten. Seit sieben Jahren sitzt Steinmeier auch im Bundestag: Seinen Wahlkreis Brandenburg/Potsdam-Mittelmark hat er schon zwei Mal direkt geholt.

Seine internationale Erfahrung und Bekanntheit dürfte Steinmeier nutzen, wenn er im Februar zum Bundespräsidenten gewählt wird. Ein natürliches überwölbendes Thema, eine „Erzählung“ im Sinne des Biografen Lütjens, mit dem er seine Amtszeit hindurch die politische Kultur des Landes prägen könnte, ist aber noch nicht erkennbar.

Das Verhältnis von Bundespräsident zu Kanzler oder Kanzlerin war in der Geschichte der Republik immer mal wieder belastet – und manchmal war diese Spannungen durchaus produktiv, etwa wenn Richard von Weizsäcker zum Ärger Helmut Kohls die „Monopolherrschaft der Parteien“ kritisierte. Die Republik debattierte damals wochenlang über die Grenzen der Parteienherrschaft – und die Parteien gelobten, ihre Macht nicht zu missbrauchen.

Dass Steinmeier die politische Praxis ähnlich scharf angehen könnte wie damals Weizsäcker, ist eher unwahrscheinlich. Schließlich hat er die Arbeit im Zentrum der Macht lange selbst geprägt - und umgekehrt sie ihn. Eher dürfte er das tun, was sich auch Vorgänger Joachim Gauck vorgenommen hatte: um Verständnis werben für die Zwänge, denen auch die besten und stärksten Politiker unterliegen. Ein bequemer Bundespräsident will Steinmeier jedenfalls nicht werden. Er werde „auch Dinge sagen, für die es keinen Applaus gibt“, sagte er der „Bild“-Zeitung.

Sein einziger öffentlicher Wutausbruch wurde gleich zum Youtube-Hit

Wenig verachtet der Außenminister so sehr wie scharfe, zugespitzte Urteile etwa über Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern, die zwar Schlagzeilen bringen, aber alle deutschen Bemühungen zur Verbesserung der Lage nur erschweren. Auch deshalb warnte Steinmeier im Juni vor der Armenien-Resolution des Bundestages. Aus diesem Grund hatte er auch vor neun Jahren Streit mit der Kanzlerin riskiert, als er deren Empfang für den Dalai Lama im Kanzleramt kritisierte.

Über seine Botschaften als Präsident wird sich Steinmeier vorher mit klugen Leuten beraten: Schon als Kanzleramtsminister hatte er Mitarbeiter damit beauftragt, wichtige politische und gesellschaftliche Debatten für ihn zu verfolgen, die über die Probleme der Tagespolitik hinausreichten. Er nahm sich Zeit, damit die Experten ihn auf den neuesten Stand bringen konnten. Steinmeier ist kein Einzelkämpfer, der wie Joschka Fischer alle Urteile selbst ausbrütet und dann missioniert, sondern eher ein dialogischer Typ. Sein Horizont ist weit: Seit Jahren nimmt er Künstler und Intellektuelle, wie Schriftsteller Ilija Trojanow, Filmemacher Sönke Wortmann und Musiker Till Brönner, auf Reisen mit. Mit vielen ist er befreundet, manche von ihnen haben für seine Wahl als Präsident geworben.

Aus der langen politischen Karriere des SPD-Politikers ist übrigens nur ein einziger öffentlicher Wutausbruch überliefert. Bei einem Auftritt auf dem Alexanderplatz wurde Steinmeier im Mai 2014 als „Kriegstreiber“ beschimpft. Mit hochrotem Kopf schimpfte Steinmeier zurück („Ihr sollt euch überlegen, wer hier die Kriegstreiber sind!“) und landete einen Youtube-Hit. Als Bundespräsident muss er sich solche Auftritte versagen, auch wenn sie ihn als Politiker menschlich machen. Aber die Distanz zu den Menschen wird größer werden – vor der Nähe wütender Demonstranten werden Sicherheitsbeamte das Staatsoberhaupt bewahren.

Nach dem Tag, an dem sich CDU und CSU zu Frank-Walter Steinmeier als ihrem Bundespräsidenten bekannt haben, werden die Deutschen ihn wieder in seiner alten Rolle sehen: In Ankara trifft der Außenminister an diesem Dienstag Vertreter der Regierung und der Zivilgesellschaft. Angesichts der feindseligen Äußerungen der türkischen Führung gegen die deutsche Regierung soll der Außenminister die autokratische Politik seiner Gastgeber ansprechen, ohne damit neue Konflikte zu provozieren. Selbst für den erfahrenen Krisenmanager könnte das eine Aufgabe werden, die ihn an den Rand der Selbstverleugnung führt. Denn wo auch immer Steinmeier noch hinreist: Sobald er den Mund aufmacht, spricht ab jetzt der künftige Bundespräsident.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false